Die frühen Symphonien KV 16-KV 338

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t1 Konzertführer
Wolfgang Amadeus Mozart
Die frühen Symphonien KV 16-KV 338

Die vielen Reisen, die Mozarts Leben wie ein riesiger Pulsschlag durchziehen, haben auch sein Schaffen rhythmisiert. Es als ‚Reagieren auf‘ (mit höchster Neugier) Erfahrenes, Erlebtes zu bezeichnen, bedeutet in dem Maße keine Geringschätzung, als es ihm gelang, die verschiedenen nationalen ‚gouts‘ zuerst persönlich sich anzueignen und letztlich, ab 1782, in der Universalität der Wiener Klassik zu verschmelzen. Die Symphonien als einigermaßen zweckfreie Kompositionen erlauben es am besten, diesen Rhythmus, diesen Herzschlag von Adaption und Verschmelzung nachzuzeichnen.

Über drei Jahre dauerte jene ‚Wunderkinder-Tournee‘ durch ganz Westeuropa, bei der Nannerl und Wolfgang Mozart von ihrem Vater nicht nur höchst geschickt gemanagt und präsentiert wurden, sondern die auch unzählige Kontakte, den Kindern Weltoffenheit und Wolfgang Amadeus Mozart vor allem unschätzbare musikalische Erfahrungen ‚vor Ort‘ brachte. In London, der kapitalistischen Metropole Europas, begegnete Mozart Johann Christian Bach, dem ‚Londoner‘ der Bach-Söhne; seinem Einfluss sind Mozarts frühe Symphonien in vielem verpflichtet. Mozart war gerade erst neun Jahre alt geworden, als am 21. Februar 1765 im Haymarket-Theatre einige der ganz frühen Symphonien gespielt wurde, vielleicht KV 16, KV 22 bzw. KV 19, vielleicht aber auch jene Symphonie KV 19a, die erst Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wiederaufgefunden wurde, als sie aus einer süddeutschen Privatsammlung in die Bayerische Staatsbibliothek gelangte. Die lockere, kontrastreiche Reihung der einzelnen Abschnitte kennzeichnet dieses Werk ebenso wie kombinatorische Themenverbindungen, die allerdings nie im Sinne einer motivisch-thematischen Arbeit substantiell einander angenähert werden. Vor kurzem wurde in der dänischen Stadt Odense die Kopie einer Symphonie a-moll KV 16 a aufgefunden. Stilanalysen zeigen jedoch, dass dieses Werk, das einige durchaus originelle Züge aufweist, vielleicht doch nicht von Mozart stammt.

Kaum ein halbes Jahr hatten sich die Mozarts in Salzburg aufgehalten, als die Reise für mehr als ein Jahr (1767 bis 1769) nach Wien ging. Seine Begegnung mit dem Typus der ‚Wiener‘ Symphonie – viersätzig mit Menuett – hat Mozart in der Werkgruppe der Symphonie KV 43, KV 45 und KV 48 ‚auskomponiert‘. Auf der Rückreise beschlossen Wolfgang und Leopold Mozart jeder eine Symphonie in G-dur dem gastfreundlichen Stift Lambach als Geschenk zu überreichen. Diese Doppelgabe hat gelegentlich für Unruhe in der Musikwissenschaft gesorgt. Man vermutete Vertauschung und Irrtümer. Neueste Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass die Zuschreibung der Symphonie KV 45a an Wolfgang Amadeus Mozart richtig ist, allerdings hat Mozart mit dieser Symphonie auf ein Werk zurückgegriffen, das er bereits 1766 in Den Haag komponiert hatte und für diesen Zweck nur überarbeitete. Ebenfalls in diese Gruppe gehört die schöne Symphonie KV 45b, die in ihren relativ kurzen Sätzen bereits ein neues Formgefühl ausprägt: Jeder Satz zeichnet einen geschlossenen Bogen, wird getragen von seinem eigenen Gewicht. Das Menuett besitzt Haydnsche Eleganz, während das Finale mit seinem Schwung auf die Divertimenti KV 136-138 vorausweist.
Nach knapp einjährigem Salzburg-Aufenthalt brechen Leopold und Wolfgang Mozart am 13. Dezember 1769 nach Italien auf. Sie überqueren mitten im Winter den Brennerpass, um rechtzeitig zur Karnevalszeit – der großen Opernsaison – in Mailand zu sein.

Schon vorher, in Mantua, gilt es einen jener vielen Symphonietermine einzuhalten, denen wir unter anderem die Symphonien KV 81, 84 und KV 74 verdanken. Mozart erweist sich, kaum, dass er italienischen Boden betreten hat, als Meister der italienischen Sinfonia – kein Wunder angesichts der engen Verflechtungen Salzburgs mit der italienischen Musikkultur. In Rom schreibt Mozart im April 1770 die beiden Symphonien KV 95 und KV 97, in denen er das (österreichische) Menuett in die italienische Sinfonia einführt.

Mit Paris, London, Wien und Mailand / Rom / Neapel hat Mozart, als er mit fünfzehn Jahren im März 1771 nach Salzburg zurückkehrt, alle musikalischen Zentren der damaligen künstlerischen Welt kennengelernt. Die Symphonien KV 75 und KV 110 vom Sommer 1771 geben sich wieder ganz österreichisch. Sie wirken wie ein Atemholen vor der Phase des Experimentierens, die nun im Symphonieschaffen Mozarts beginnt.
Schon die in Mailand komponierte Symphonie F-dur KV 112 mit einem an Haydn orientierten Allegro vermeidet in ihrer ganz und gar ‚unitalienischen‘ Art die bisher übliche Anpassung an lokale Geschmäcker. Die Gattungsnormen, der hohe Anspruch, der sich zu dieser Zeit im Symphonieschaffen Joseph Haydns etabliert, wird auch für Mozart zum schöpferischen Problem.
Wir besitzen keine theoretischen Äußerungen über Mozarts Arbeitsweise, aber die acht großen Symphonien, die er in knapp zehn Monaten 1771/72 in Salzburg schreibt, geben beredtes Zeugnis, wie sich Mozart dem neuen Anspruch, Symphonien zu schreiben, stellt. So wird nun das Kräftespiel von Differenzierung (der Charaktere) und Integration (der thematischen Substanz) deutlicher.

In der Symphonie F-dur KV 130 greift die Schlussgruppe die kurzen Vorschläge des Hauptthemas auf, isoliert jedoch davon den Quartfall. Con sordino setzt der zweite Satz, ein Andantino grazioso, ein, an dessen Schluss sich allerdings etwas Seltsames ereignet: Das thematische Gefüge lockert sich, Hornquintenmelodik breitet sich aus – und nun folgt zum ersten Mal in Mozarts Symphonien eine ‚Coda‘, auf deren Funktion, „die thematische und immer auch die affektive Substanz des Satzes in höchster Konzentration zusammenzufassen“, Ludwig Finscher hingewiesen hat: Ohne Dämpfer und unisono intoniert das ganze Orchester den Themenkopf des Satzes, um anschließend den Quartfall, der schon die Thematik des ersten Satzes durchzogen hat, zu präsentieren. Damit ist aber die substantielle Einheit des zweiten Satzes, der mit derselben Quart beginnt, mit dem ersten Satz wie in einem Kommentar herausgestrichen. Und wie ein Motto eröffnet derselbe Quartschritt dann auch das Finale, das weit mehr ist als der übliche ‚Kehraus‘. Man beachte nur die komplizierte Harmonik des zweiten Themas. Einen harmonischen Scherz inszeniert Mozart im Menuett der Symphonie, wo die Violen obstinat in das F-dur ihr tonartenfremdes c-h-c-h hineinspielen.
Aber auch in der Themenbildung selbst verfährt Mozart nun bewusster. Kaum je sind es ‚große‘ Gedanken, eher sogar typische Begleitfloskeln, Unscheinbares, das aber gerade deswegen flexibel, formbar, gestaltbar ist und so den neuen kompositorischen Ansprüchen besser entgegenkommt: der thematisierte Quartfall in KV 130, die allmählich stufenweise aufsteigenden Viertelrepetitionen in der Symphonie D-dur KV 133, die Dreiklangsarpeggien in der Symphonie A-dur KV 134, die die melodischen Sekundschritte weit in den Raum hinauslegen: In diesem Werk ist es übrigens auch eine Coda, die des ersten Satzes, in der eine Elementarisierung des thematischen Materials erfolgt: Melodisch er Sekundschritt und Dreiklangszerlegung, bis jetzt als erstes Thema verbunden, werden bausteinartig getrennt.

Die dritte Italien-Reise, Oktober 1772 bis März 1773, brachte den Erfolg der Oper Lucio Silla KV 135 in Mailand, vergebliche Bemühungen um eine Anstellung und – die ‚italienischen‘ (dreisätzigen) Symphonien KV 184, KV 199 und KV 181. Ohne den italienischen Tonfall und Formverlauf preiszugeben, experimentiert Mozart hier ebenfalls: Schon der Beginn der Symphonie D-dur KV 181 (Mai 1773) mit seinem großflächigen Wechseln von Dur- und Moll-Akkorden beschwört eine Dramatik, die der (Opern-)Sinfonia vom Typus her gerade entgegengesetzt ist. Der – wiederum gattungstypisch – unmittelbar an den ersten anschließende zweite Satz mit seinem Oboensolo über der charakteristischen ‚sixte ajoutee‘ ist eine veritable, zweiteilige ‚Aria‘. Das Finale kontrastiert einen markigen ‚Geschwindmarsch‘ mit dem obligaten Trillergeflüster im Piano. Das Werk suggeriert so durch seine Dramaturgie eine (allerdings nicht individualisierte) innere ‚Handlung‘.

Sicher hat Mozart seinen Wien-Aufenthalt im Sommer 1773 dazu benutzt, seine Erfahrungen als Symphoniekomponist am dortigen Stand der Entwicklung zu überprüfen. Jedenfalls entstanden nach dieser Reise jene Symphonien KV 182, 183, 201, 202 und 200, in denen Mozart eine Tiefe der Gestaltung erreicht, die neben jeder Symphonie Joseph Haydns aus dieser Zeit bestehen können: Er vertieft nicht nur die substantielle Einheit der Sätze untereinander, sondern verleiht auch jedem Werk einen eigenen ‚Ton‘, ein unverwechselbares, individuelles Antlitz. Schon der weiche, ‚samtige‘ Pianoanfang der Symphonie A-dur KV 201 beschwört einen bestimmten ‚Ton‘. Das Gewebe verdichtet sich, ‚Melodie‘ und ‚Begleitung‘ werden einander angenähert: Der Oktavfall des Anfangs erscheint ab Takt 4 in der Begleitung, der melodische Quartschritt zu Beginn des zweiten Satzes schwingt in verschiedener Rhythmisierung – wie in einem Vexierspiel – in den anderen Stimmen nach. Neben dem Oktavfall bildet der ‚galante‘ Halbtonreiz a-gis-a das eigentliche Zentrum des Werkes. Beide werden in den Hauptthemen sowohl des ersten wie auch des vierten Satzes miteinander verbunden. Und noch etwas fällt an diesem Werk auf: das wundervolle Gleichgewicht der Bewegungen. Die Aufwärtsbewegung des ersten Themas wird im ersten Satz von den Viertelnoten des zweiten Themas aufgefangen und umgekehrt. Und alles ist Melodie: Noch in der Schlussgruppe wird ein neues, sangliches Thema in Imitationen ausgebreitet. Der punktierte Rhythmus, der im zweiten Satz als neues Element auftaucht, erfasst bald alle thematischen Gestalten und nähert sie im Sinne einer geheimnisvollen ‚Allverwandtschaft‘ einander an, greift sogar über die Satzgrenzen hinaus auf das Menuett über, gestrafft und im Nachspiel zu energischen Repetitionen der Bläser verdichtet. Sollte es Zufall sein, dass der erste Forte-Einsatz im Menuett die Töne a-gis-a anschlägt, die auch schon in der Schlussgruppe des zweiten Satzes angeklungen waren? Obwohl das Finale, wie der erste und zweite Satz, in Sonatensatzform steht, erhält es durch die markante Abkadenzierung, der sich eine aufschließende Tonleiter sowie eine spannungsvolle Pause anschließt, eine ritornellartige Gliederung: Erst die beiden Schlussakkorde lösen diese Spannung ein. Die ‚kleine‘ g-moll-Symphonie KV 183 vom Oktober 1773 ist Mozarts Beitrag zur „romantischen Krise“ (Landon), die in etlichen Moll-Symphonien Haydns und anderer Komponisten anklingt. Schon vor Mozarts Wien-Aufenthalt ist die g-moll-Dramatik‘ konventionell geworden. Und konventionell ist auch die Intervallfolge, mit der das Werk anhebt: Schon im Barock war die Folge (Quart)-Kleine Sekund-Verminderte Septime eine Chiffre für Schmerz, Klage, Trauer. Allerdings durchdringt das ganze Werk eine Schroffheit, die weit über die barocke Typenlehre hinausgeht: Die Satzstruktur ist meist blockhaft-starr (etwa in der expressiven, aus ganzen Noten bestehenden Oboenmelodik); aufschießende Dreiklangszerlegungen mit anschließendem Doppelschlag weisen weit voraus auf Beethovens f-moll-Klaviersonate op. 2 Nr. 1 sowie auf das Finale von Mozarts eigener ‚großer‘ g-moll-Symphonie KV 550; abrupte dynamische und harmonische Kontraste mögen auf die Zeitgenossen wie ein Schock gewirkt haben, etwa wenn in der ersten Themengruppe ein D-dur-Dreiklang erlischt und unvermittelt ein B-dur-Dreiklang folgt. Am schonungslosesten allerdings verfährt Mozart in den häufigen Unisonoführungen, die an zentralen Stellen des Werkes stehen: Der erste, der dritte und der vierte Satz beginnen mit Unisonopassagen! Und im ersten Satz leitet ein Unisono vom ersten zum zweiten Thema über und nahtlos von der Exposition in die Durchführung hinein: Hier erscheint nun – als geniale Realisierung der Idee des Werkzyklus – vorausgenommen das Hauptthema des Finales in kanonischer Führung. Am Ende des ersten Satzes intensiviert Mozart den Unisonoanfang durch zweimalige Imitation, ehe die Violinen auf das g, ihren tiefsten Ton, fallen und dort einen Marschrhythmus intonieren, der wie eine tragische Besiegelung des Satzes wirkt. Als gäbe es eine ‚andere‘ Seite dieser Schroffheit, erklingt als zweites Thema des folgenden Andante ein wunderbar schwereloses Klangfeld, während das streng dreitönige Hauptthema eher Ernst, nur gelegentlich Trost ausstrahlt. Einzig das Trio des Menuetts, ein sechsstimmiger, reiner Bläsersatz, bringt einen unbeschwerten Divertimentoton in das Werk – seltsam fremd freilich auch er in dieser Umgebung. Nie mehr wieder hat Mozart so durchgehend schroff – radikal – komponiert.

Vier Jahre sollte es dauern, bis Mozart wieder eine Symphonie, die sogenannte Pariser Symphonie, im Juni 1778 schrieb. Gelegentlich wurde die großflächige thematische Anlage dieser D-dur-Symphonie KV 297 als Schwäche moniert, als Preisgabe der Errungenschaften der letzten Salzburger Symphonien. Mozart musste sich jedoch mit diesem Werk in den Pariser ‚Concerts spirituels‘ einem großen, anonymen Publikum und dessen Wünschen stellen. Viele Korrekturen im ersten Satz, Umarbeitungen und Streichungen im zweiten Satz lassen die Intensität, mit der Mozart an diesem Werk gearbeitet hat, erkennen, ja, er erklärt sich sogar bereit, nach der Uraufführung einen zweiten, einfacheren langsamen Satz zu schreiben, der allerdings heute fast nie gespielt wird. Heute erscheint das Andante mit seinem an das Lied Kuckuck ruft's aus dem Wald erinnernden Themenkopf und der zweiten Themengruppe, die zwischen kräftigen Unisonogängen und zarter Chromatik wechselt, als Inbegriff natürlicher Schlichtheit. Trotz aller Zugeständnisse an das breite Publikum findet Mozart Platz, symphonisch zu ‚arbeiten‘: Im ersten Satz löst die Schwungkraft des Unisonoanfangs nicht nur lange Sequenzketten aus, sondern sie wird auch im Verlauf des ganzen Satzes immer weiter gesteigert bis hin zur machtvollen Intensivierung am Beginn der Reprise mit den wuchtigen Basseinsätzen und dem Harmoniewechsel nach H-dur. Das Finale wiederum – dessen zweistimmigen Pianoanfang Mozart bewusst als Überraschung gegen die Pariser Konventionen komponiert hat – bringt ein polyphones zweites Thema, das in der Durchführung zu einem kunstvollen, modulierenden Kanon ausgearbeitet wird. Das Werk, in großer Besetzung mit je zehn ersten und zweiten Violinen, acht Celli und sechs Kontrabässen aufgeführt, zwang die Zuhörer, „einen... starcken und anhaltenden lärmen und händeklatschen zu machen“, und ließ Mozart selbst nicht mehr los: der große ‚symphonische‘ Gestus war gefunden.

Nach der Rückkehr von dieser durch den Tod der Mutter mit Trauer überschatteten Pariser Reise entstehen die Symphonien KV 318 in G-dur (April 1779) und KV 319 in B-dur (Juli 1779), beide ursprünglich dreisätzig, erst später, vermutlich 1782, wurde der Symphonie KV 319 für Wiederholungsaufführungen in Wien das nachkomponierte Menuett eingefügt. Der Tonfall von KV 318 ist durchweg italienisch, doch nähert sich Mozart durch die reiche Instrumentation an den Gestus der Pariser Symphonie an. Und Mozart findet eine Lösung der Dreisätzigkeit, die ein völlig neues Licht auf den Werkzyklusgedanken wirft: Strenggenommen besteht das Werk nämlich nur aus einem Satz, in dem am Ende der Durchführung ein zweiter, langsamer Satz eingeblendet wird. Mit diesem Werk hat Mozart den Typus der ‚italienischen‘ Symphonie für sich abgeschlossen. Denn trotz ihrer ursprünglichen Dreisätzigkeit ist die Symphonie KV 319 durchweg ‚österreichisch‘. Alle Durchführungen sind kontrapunktisch-polyphon gehalten. Damit führt Mozart die Final-Idee der Pariser Symphonie weiter. In der Durchführung des ersten Satzes ertönt sogar jenes Vierton-Motiv, das Mozart bereits in der Credo-Messe, KV 192 verwendet hat und das er im Finale der Jupiter-Symphonie zu höchstem Glanz veredeln sollte, ein schlichtes Motiv, ursprünglich ein einfaches Versatzstück, das gern für Übungen der Musikschüler verwendet wurde. Ein kurzes Spielmotiv unterbricht immer wieder die Themeneinsätze und gliedert sie: Es scheint fast, als würde sich Mozart auf jenen ‚klassischen‘ Stilhöhensatz, den Joseph Haydn zur selben Zeit in seinen Streichquartetten exponiert, vorbereiten. Noch allerdings bleibt alles Episode, bleibt zu verweisen auf die ‚Teststrecke‘ der Durchführung.
Ende 1780 reist Mozart nach München, wo am 29. Januar 1781 sein ldomeneo (KV 366) zum ersten Mal erklingt. Von dort geht es direkt nach Wien: Hier kommt es zum Bruch mit dem Salzburger Erzbischof – Mozart hat Salzburg den Rücken gekehrt.

Gleichsam als Einstand in Wien wird am 3. April in einer Akademie der ‚Tonkünstler-Societät‘ die im Vorjahr entstandene Symphonie C-dur KV 338 aufgeführt. In seiner Pariser Symphonie hatte sich Mozart mit großflächigen, ‚pastosen‘ Themendispositionen dem Problem der ‚großen‘ Symphonieform genähert. Nun löst er dieses Problem sozusagen von der anderen Seite, indem er mit kleinen, oft nur ein bis zwei Takte langen Formgliedern arbeitet, die wie Bausteine aneinandergefügt und kombiniert werden. Mit dieser bei den Mannheimer Symphonikern gern verwendeten Technik erzielt Mozart jedoch eine wunderbare Flexibilität des formalen Ablaufs – in seltsamen Kontrast zur Modellhaftigkeit der Bausteine –, eine beinahe organische Prozesshaftigkeit. Polyphonie, bis jetzt hauptsächlich in die Durchführungsabschnitte der Symphonien verwiesen, durchdringt nun das gesamte Gewebe: Eine kurze chromatische Linie eröffnet die zweite Themengruppe, um dann sofort eine entgegengesetzt strebende Melodie zu kontrapunktieren. Diese Art kurzmotivischer Polyphonie hat Mozart in der Prager und der Jupiter-Symphonie noch weitergeführt. Die Durchführung stellt zuerst zwei neue Elemente vor: breite Streicherbewegungen und ein verhaltenes, räumliches Abtasten des As-dur-Dreiklangs. Erst danach beginnt das ‚Durchführen‘ im strengen Sinn, das aber nur noch mit Spurenelementen der ‚Bausteine‘, hauptsächlich aber mit einem Klein-Sekund-Pendel arbeitet, das zunehmend reduziert wird. Das nur auf den Streicherklang gestellte Andante di molto gehört zu den Sätzen Mozarts, deren innere Logik eine staunenswert schlichte Natürlichkeit hervorbringt. Alle vier Themengruppen werden durch ein ‚galantes‘, emphatisches Seufzermotiv verbunden. Das Finale wiederum lebt ganz vom „unendlich feinen Muskelspiel der Streicher“ (Hans Werner Henze), von virtuosen Dreiklangszerlegungen, die so erst wieder im Finale von Schuberts Großer C-dur-Symphonie auftauchen, und von den ‚naiven‘ Terzenparallelen der beiden Oboen in der Durchführung. Das Menuett KV 409, das gern als dritter Satz der Symphonie gespielt wird, hat zwar ursprünglich keinen Bezug zur Symphonie, doch rechtfertigt die außerordentliche Schönheit dieses Satzes den schon zur Tradition gewordenen Eingriff ein wenig.
Gerhard Eduard Winkler

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.