Die frühen Klavierkonzerte KV 175-415

Zurück
t1 Konzertführer
Wolfgang Amadeus Mozart
Die frühen Klavierkonzerte KV 175-415

Jugendwerke eines Genies pflegen für die Nachwelt von besonderem Interesse zu sein; nicht so sehr um ihrer selbst willen, sondern weil man sich von ihnen ein tiefergreifendes Verständnis erhofft für das als zentral angesehene OEuvre des Künstlers. In aller Regel ist das ein ebenso gangbarer wie fruchtbringender Weg. Im Fall Mozarts und insbesondere seiner Klavierkonzerte aber führt er ins Leere. Denn wo wären hier Entwicklungsstufen zu erblicken, wo gäbe es Stationen, von denen man auch nur halbwegs mit Recht behaupten könnte, da und dort ‚blitze‘ schon die Meisterschaft auf, im Übrigen aber hätte man es mit Vorformen und konventionellen Haltungen zu tun, die eben erst später im Individualstil zur Gänze aufgegangen wären?

Allenfalls beim neun- bzw. elfjährigen Mozart lässt sich solches beobachten, wenn er drei Sonaten des von ihm so verehrten Johann Christian Bach für Klavier und Orchester arrangiert (KV 107) oder im Jahre 1767 vier Klavierkonzerte (KV 37, 39, 40, 41) vorlegt (man lasse sich nicht durch die frühere Köchelnummer verwirren), die tatsächlich aber ‚Pasticci‘ waren, Zusammenstellungen und Instrumentationen fremder Originale. Um das herauszufinden, hat es lange genug gedauert; so gut, so mozartisch ‚klingen‘ sie schon. Den Musikforschern Wyzewa und Saint-Foix ist es zu verdanken, dass die Vorlagen verifiziert werden konnten; sie entstammten Kleinmeistern wie Rau Pach, Honauer, Schobert und Eckard, deutschen Komponisten aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Damit sind die ‚Übungen‘ Mozarts auch schon zu Ende.

Im Dezember 1773 komponierte der Siebzehnjährige in Salzburg sein erstes eigenständiges Klavierkonzert (D-dur KV 175), das vollkommen den eigenen ‚Ton‘ bereits repräsentiert. Mozart selbst schätzte es so sehr, dass er es 1778 in Mannheim, der Stadt der führenden Musiker und Komponisten ihrer Zeit, aufführte und es gar noch in Wien zumindest zweimal (am 3. März 1782 und am 23. März 1783) spielte. Dort allerdings tauschte er den ursprünglichen Finalsatz gegen ein ungemein pointiertes Rondo aus (KV 382), um dem Wiener Geschmack entgegenzukommen. Dem ist er auch gerecht geworden, denn nach der zweiten Aufführung schrieb er dem Vater nach Salzburg: „man hörte aber nicht auf zu klatschen und ich mußte das Rondeau repetiren: – es war ein ordentlicher Plazregen.“ Ungeachtet dessen ist der frühere Schlusssatz des D-dur-Konzerts der wesentlich aufschlussreichere, da er wie ein Motto Mozarts zentrales ästhetisches Anliegen formuliert: die Aussöhnung zwischen dem galanten und dem gelehrten Stil. Der strenge kontrapunktische Bau des Hauptthemas steht dem graziös-melodischen Seitenthema entgegen, von dem Alfred Einstein zu Recht meinte, es könnte selbst im Finale der Jupiter-Symphonie seinen Platz finden. Der konkrete Dialog zwischen Klavier und Orchester ist bereits ebenso vollendet realisiert, wie das übergeordnete Zwiegespräch zwischen den Epochen; der alte Kontrapunkt begegnet der aktuellen Buffogestik. Gleichsam als Signum für das innere Gewicht des Konzerts sieht Mozart die damals keineswegs selbstverständlichen Trompeten und Pauken innerhalb des konzertierenden Orchesters vor und bezeichnet das breitangelegte Andante als ma un poco adagio. Er weiß untrüglich, dass dies der erste und entscheidende ‚Wurf‘ für die Serie von insgesamt 23 (eigenen) Soloklavierkonzerten ist, die die Gattung aus der Taufe hebt und sie gleichzeitig zu einer unüberbietbaren Gipfelmarke führt. Denn direkte Vorbilder des Genres existierten nicht, zumindest nicht im Sinne der Mozartschen konzertanten Physiognomie.

Die Instrumentalkonzerte Johann Sebastian Bachs, die weitgehend noch dem terrassenförmigen Concerto-Typ huldigten, lernte Mozart erst Anfang der achtziger Jahre im Wiener Haus des Barons van Swieten kennen, ebenso diejenigen Philipp Emanuel Bachs. Ausgangspunkt waren einzig Johann Christian Bach sowie die Konzerte des Wieners Georg Christoph Wagenseil, die aber nichts anderes beabsichtigten als den galant-gesellschaftlichen Tonfall. Das Klavier hatte die dominierende Rolle inne; von einem Dialog konnte nicht die Rede sein. Mozart aber trat von Anfang an in das innere Wesen des Konzerts ein und definierte seine Idee als ein gleichberechtigtes Mit- und Gegeneinander von Solo und Orchester. Die konzertante Gattung wird zur imaginären Weltbühne, zum ideellen Theaterraum für die Musik selbst.

Wie wenig diese Tiefendimension des Klavierkonzerts mit der äußeren Fassade von Virtuosität oder Umfang zu tun hat, wird in den beiden Konzerten von 1776 deutlich, im B-dur-Konzert KV 238 und dem in C-dur KV 246, das Mozart im April dieses Jahres für die Gräfin Lützow, einer Schülerin seines Vaters, schrieb. Gerade das C-dur-Konzert bleibt in den technischen Anforderungen hinter den vorangegangenen Werken zurück, ebenso die Orchesterbesetzung, die aus Oboen, Hörnern und Streichern besteht. Dafür aber verbirgt sich hinter der scheinbaren ‚Unschuld‘ der Musik die Diskretion des Wissenden. Ohne dass auch nur ansatzweise ein Bruch entstehen würde, schiebt Mozart in den Rondo-Schlusssatz (Tempo di Menuetto) eine Passage in a-moll ein, die den Hörer eigentlich erst dann erreicht, wenn sie fast schon zu Ende ist. Das Orchester, das die Modulation vorbereitet hatte, reagiert jedoch unmittelbar und schweigt betroffen (Takt 113ff). Erst geraume Zeit später (nach 22 Takten) und einigen wenigen Begleitfiguren ist es sich der Situation, in die es das Klavier innerhalb eines Menuett-Kontextes gebracht hat, bewusst und zieht mit einem Porte-Unisono das Geschehen wieder an sich (Takt 136ff). Diese Stelle im meist unterschätzten Lützow-Konzert bringt das Situationsbewusstsein des Mozartschen Konzert-Kosmos schon hier auf den Punkt. Die Partner (Solo und Orchester) sind fähig, aufeinander zu hören, betroffen zu sein, zu agieren und zu reagieren. Der Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades, der das Wesen Wiener Klassischer Musik als erster vollkommen verstanden hat, beschreibt diese Haltung als „Diskontinuität“ der kompositorisch en Strukturen und damit der Musik selbst, eine Haltung also, die das Hier und Jetzt als gleichsam spontane Aktion zum Inhalt hat, im Gegensatz zu der „kontinuierlich“ fließenden Musik des Generalbass-Prinzips. Nirgendwo kann diese bahnbrechende Erkenntnis eindringlicher mitvollzogen werden als in Mozarts Klavierkonzerten.

Mit dem Klavierkonzert Es-dur KV 271 vom Januar 1777 erreicht Mozart dann einen kaum fassbaren Gipfelpunkt, den er später zwar noch modifizieren kann, aber nicht mehr übertreffen wird. Die instrumentalen Charaktere werden gleichsam vermenschlicht. Don Giovanni scheint Figaro die Hand zu reichen, den archaischen ldomeneo glaubt man in der Nähe Papagenos zu sehen; Werke, die zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht geschrieben waren. Schon die ersten Takte des Kopfsatzes sind schiere Aktion; keine Orchestereinleitung (sie wird nachgeholt), sondern das unmittelbare Aufeinanderprallen von Orchester und Klavier bestimmen diesen beispiellosen Anfang, den erst Beethoven in seinem G-dur-Konzert op. 58 –allerdings völlig verwandelt – aufgreifen wird. Vom ersten Moment an herrscht das direkte Geschehen. Dem entspricht das Ende des Satzes, in dem sich erstmals nach der Solokadenz das Klavier nochmals zu Wort meldet (Takt 332 ff), und zwar mit jenem Triller, der die erste Soloexposition (Takt 56ff) eingeleitet hatte. Die Alleinherrschaft des Orchesters am Ende des Kopfsatzes (in Form des letzten Ritornells) wird sublim in Frage gestellt. Erstmals festigt das Solo durch sein aktives Eingreifen die Grundtonart, wogegen sich das Orchester mit seinen Tuttischlägen (Takt 336/338) zwar auflehnen will, am Ende aber begleitend einlenkt.

Ein heftigerer Haltungswechsel, wie der vom Kopfsatz zum Andantino, ist kaum denkbar. Es ist der erste Moll-Satz innerhalb der Mozartschen Konzerte, ein Satz, der Abgründe aufreißt, unsagbare Trauer musiziert und nur mit dem Wort Fatalismus zu umschreiben ist. Das Solo scheint über den Themen des Orchesters zu schweben, es greift sie nicht auf, sondern phrasiert gedankenverloren seine eigene Wirklichkeit. Dieses Andantino balanciert zwischen Kantabilität und Rezitativ, einem Sprechen-Wollen, das in den letzten Takten dann unverhüllt nach außen kommt und damit zum Vorbild für das Andante von Beethovens viertem Klavierkonzert wird. Während es Beethoven aber um das philosophisch-ethische Modell als solches geht, um die Auseinandersetzung zwischen Individuum und Gesellschaft, sind bei Mozart die Dimensionen weiter gespannt. Die Musik wird zur Menschendarstellung. Doch damit nicht genug: Das Presto-Finale, das sprudelnd-virtuos zunächst so tut, als wüsste es nicht um das Vorangegangene, wird jäh unterbrochen durch ein eingeschobenes vollständiges Menuett, das eine gänzlich eigene Realität innerhalb des Schlusssatzes darstellt. Es ist ein Reflex, eine Betroffenheit der Musik selbst darüber, was im Mittelsatz geschehen war. Dieses Nachsinnen innerhalb des Finales weist unmissverständlich auf die konkrete innere Einheit eines mehrsätzigen Werkes. Die für Mozart stets verbindliche Satzfolge schnell-langsam-schnell tritt heraus aus dem Schatten einer bloßen Reihung und erhält einen inneren dynamischen Sinn. Der Geschehenscharakter weitet sich vom dialogischen Musizieren auf den übergreifenden Zusammenhang des Werkes selbst.
Nicht nur Alfred Einstein würde gern Näheres wissen über jene Mademoiselle Jeunehomme, von Mozart liebevoll „Jenomy“ genannt, für die er das Werk geschrieben hat. Denn stets in besonderer Weise ist Mozart Auftragsgebern und Widmungsträgern gerecht geworden.

So auch in jenem Konzert für drei Klaviere F-dur KV 242, das er 1776 für die Gräfin Lodron, eine Schwester des von ihm so gehassten Fürsterzbischof Colloredo, und deren Töchter komponierte. Fast ist man versucht zu sagen, Mozart wäre absichtlich hinter seinen Fähigkeiten zurückgeblieben, zumindest scheint es eine lästige Pflicht gewesen zu sein. Das Konzert verharrt im galanten Stil und verspürt wenig Lust, über Salzburger Konventionen hinauszukommen. Das andere, mehrfach besetzte Klavierkonzert, das in Es-dur KV 365  für zwei Klaviere, spricht eine andere Sprache. Mozart schrieb es Anfang 1779 für seine Schwester Nannerl und sich selbst; ein glänzendes Virtuosenstück, gar nicht mechanisch wie das Tripelkonzert. Denn neben dem eminent Spielerischen der beiden Solisten, die sich Themen und Pointen wie Jongleure zuwerfen, kommen dunkle Farben ins Spiel: im sehnsüchtigen Andante und vor allem im c-moll-Mittelteil des Schlussrondos, einer Tonart, die bei Mozart die kontrapunktische Arbeit geradezu herausforderte. Die Nähe zum Schwesterwerk, der Sinfonia concertante für Violine und Viola KV 364 wird damit auch musikalisch evident. Danach kehrte er zum mehrfach besetzten Konzert nicht mehr zurück.
Den Reigen der Klavierkonzerte nimmt Mozart erst wieder i n Wien auf, nach seiner Übersiedelung im Jahre 1781. Kein Wunder, denn Klavierkonzert bedeutete Öffentlichkeit, wichtigen Gelderwerb und Anerkennung. Keines der Konzerte ist für die Schublade geschrieben. In Wien gab es die ‚Academien‘, zumeist im Augarten oder im Hoftheater, bei denen Mozart zumindest in den ersten Jahren gut verdiente. Im März 1783 spielte er zwei von drei neuen Klavierkonzerten, die gleichzeitig in handgeschriebenen Exemplaren als ‚Subscription‘ angeboten wurden. Nach einigem Hin und Her mit einem Pariser Verleger erschienen die drei Konzerte 1785 bei Artaria in Wien als Opus IV, ein Hinweis, dass Mozart sie offensichtlich als geschlossene Gruppe verstand.

Es handelt sich um die Konzerte in F-dur, A-dur und C-dur KV 413-415, die die immense Reihe von insgesamt fünfzehn Klavierkonzerten der Wiener Zeit einleiten. Zwischen Herbst 1782 und Januar 1783 entstanden (in welcher Folge, darüber kann man nur mutmaßen), vermitteln sie zwar den virtuosen Tonfall, der dem Wiener ‚Gusto‘ entgegenkam – Mozart suchte selbstverständlich den Erfolg –, gehen aber weit über Bravourauftritte, wie oft behauptet wird, hinaus.
So findet sich etwa im A-dur-Konzert KV 414 zunächst ein spielerisch-virtuoser Kopfsatz, dem als veritables Gegengewicht ein Andante nachfolgt, dessen Solobeginn (Takt 21 ff) fast wie ein Vorgriff auf Beethovens Adagios und Schuberts einsame Monologe wirkt; ehe dann das ‚Gespräch‘ zwischen Klavier und Orchester aufgenommen werden kann. Den ‚Kennern‘ dürfte auch nicht entgangen sein, dass die Finalsätze in diesen Konzerten entschieden aufgewertet werden, wenn man das inkommensurable Es-dur-Werk KV 271 unberücksichtigt lässt. KV 413 weist als Schlusssatz, wie das Lützow-Konzert, ein Tempo di Menuetto auf, das aber so gar nicht den galanten Anforderungen entspricht, sondern als ‚strenger‘ Satz gearbeitet ist; sequenzierend und imitierend – am Ende fast unterkühlt im Piano endend. Im C-dur-Konzert KV 415 sind es zwei erschreckend unvermittelt einsetzende Adagio-Abschnitte (Takt 50ff und Takt 221 ff), eingetrübt nach c-moll, die einen heftigen Affektwechsel des an sich munteren Rondo-Themas verursachen. Und im Kopfsatz desselben Konzerts unterläuft Mozart den marschartigen Charakter des Hauptthemas (einen beliebten Topos des Militärisch-Signalhaften), indem er imitierend das Thema von den Streichern (!) eröffnen lässt, obwohl das Motiv die Trompeten und Pauken als Struktur geradezu beinhaltet (sie setzen erst in Takt 10 ein). Und im Allegretto-Finale von KV 414 werden immer wieder chromatisch aufsteigende Bassfiguren in den sonst so launig-beweglichen Satz gleichsam eingeschmuggelt.

So sind diese Konzerte tatsächlich ein ‚Mittelding‘. Sie sind ebenso geeignet für die ‚Kammer‘, da die Bläser bewusst kaum strukturell wichtige Aufgaben erfüllen, sondern meist nur kolorieren und verstärken (man kann sie ohne große Einbuße weglassen und sind von Mozart auch ad libitum gemeint), wie auch für diejenigen, die sensible Ohren haben für die ständigen Haltungswechsel zwischen Klavier und Orchester. Und – wie es wohl Mozart formulieren würde – „einen großen Effect machen die Concerten obendrein“.
Bernhard Rzehulka

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.