Metamorphosen

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t1 Konzertführer
Richard Strauss
Metamorphosen

Tief deprimiert von der Zerstörung des kulturellen Lebens durch den Zweiten Weltkrieg, die sich für ihn im Bombardement des Münchner Nationaltheaters am 2. Oktober 1943 manifestierte, zog sich Richard Strauss gänzlich zurück, gestattete sich nach der Uraufführung von Capriccio 1942 keine weiteren Kompositionen, betrachtete sein Werk als abgeschlossen. Als ihn Paul Sacher jedoch im August 1944 um ein halbstündiges Werk für Streichorchester bat, nahm Strauss die Gelegenheit wahr, seiner „Trauer um München“ – so das Motto zu Beginn der Partitur – Ausdruck zu verleihen. Aus seiner Introvertiertheit und seiner Beschäftigung mit den späten Werken Goethes heraus entstanden die Metamorphosen, Studie für 23 Solostreicher, die 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, vollendet waren. Zehn Violinen, fünf Bratschen, fünf Celli und drei Kontrabässe setzen in varianten Kombinationen zu einem Adagio-Spannungsbogen an, der sich unter steter Beibehaltung höchster Ökonomie und gleichzeitiger Intensität zu einem Agitato verdichtet, um schließlich wieder im Molto lento zusammenzusinken.

Die musikalische Haltung von Wehmut und Resignation wird assoziativ gebunden durch Wagner-Zitate und vor allem durch den Trauermarsch aus Beethovens Eroica; der Titel als strukturelles Programm wird verwirklicht, indem thematische Andeutungen ständigen Umgestaltungen unterworfen werden, die Substanz jedoch unberührt bleibt. Das eigentliche Thema, das sich aus den Andeutungen herauskristallisiert, bleibt bis zum Ende unausgesprochen, konstituiert sich erst aus den Metamorphosen des musikalischen Verlaufs. Strauss erfüllt so den antiken Begriff mit musikalischem Leben, die äußeren Gestalten ändern sich, das immanente Wesen bleibt unangetastet, unveränderlich und kann erst durch seine Verwandlungen erkannt werden.
lrmelin Bürgers

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.