Don Juan, Tondichtung nach Nicolaus Lenau, op. 20

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t1 Konzertführer
Richard Strauss
Don Juan, Tondichtung nach Nicolaus Lenau, op. 20

Mit diesem Werk ist seinem vierundzwanzigjährigen Schöpfer im wahrsten Sinne des Wortes ein ‚Wurf‘ gelungen, der in seinem gesamten orchestralen Oeuvre einzig dasteht; der endgültige Durchbruch zum Reifestil der Gattung und das Selbstbewusstsein des Komponisten werden hier zum Ausdruck eines Lebensgefühls der damals jungen Generation. Die kraftvolle, in Sinnenfreude schwelgende Diesseitigkeit steht in scharfem Kontrast zu der problembeladenen, um letzte Geheimnisse ringenden Symphonik Mahlers. Der Don Juan des Gedichtfragments von Lenau (entstanden 1843) hat keinerlei metaphysische Dimension und sieht dem Tod mit Gleichmut entgegen. Das Werk ist voll von Schwung und schier schäumendem Temperament, offenbart gleichwohl, um wieviel näher Strauss sich an Wagner als an Liszt oder Berlioz anschließt: Orchestrale Polyphonie und Harmonik verraten mit ihrem ständigen Weiterfließen, das kaum Ruhelagen kennt, deutlich dem Einfluss des Tristan; ein entscheidender Unterschied in der Geisteshaltung aber wird am Schluss deutlich – statt Wagnerscher Verklärung beendet Strauss, nach einer letzten großen Steigerung, sein Werk mit einer beinahe lakonisch-kurzen Coda, die Don Juans Ende gleichsam nur ‚mitteilt‘. Solche persönlichen Züge wie überhaupt die Tatsache, dass Strauss seinen Stil zu nächst in Instrumentalwerken entwickelte, statt sich früh an Musikdramen zu versuchen, bewahrten ihn vor Wagner-Epigonentum. Die farbige Leuchtkraft des Orchesterklangs und die bereits in den Tondichtungen entwickelte psychologische Differenzierung werden indessen zu wichtigen stilistischen Voraussetzungen für das Bühnenschaffen des Komponisten. Auch in Don Juan, formal als Rondosatz mit durchführungsartigen Abschnitten angelegt, sind diese Eigenarten schon ausgeprägt.
Hartmut Becker

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.