Symphonie Nr. 8 F-dur op. 93

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t1 Konzertführer
Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 8 F-dur op. 93

Beethovens achte Symphonie ist das Werk eines Humors, dem nicht zu trauen ist. Was die Hörer der Uraufführung am 27.Februar 1814 im Redoutensaal der Wiener Burg verdutzte, ist die Ursache für den hartnäckigen Mangel an ‚Popularität‘, der dieser Symphonie bis heute anhaftet. Beethoven selbst nannte sie die „kleine“, ohne jedoch damit einen Fingerzeig zu geben, ihre Bedeutung in Abrede stellen zu dürfen, wie das später unter dem ideologischen Druck der ‚titanischen‘ Beethoven-Rezeption geschah. Eingespannt zwischen der antinapoleonischen Symphonie Nr. 7 und dem lärmenden, aber nichtsdestoweniger höchst erfolgreichen Effektschinken Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria op. 91 vermochte sie sich allerdings auch nur schwer zu behaupten, denn ‚spektakulär‘ war sie in einem ganz anderen, subtilen Sinn als die Schlachten-Symphonien dieses Abends. Und Humor in der Musik, sofern er nicht mit dem Holzhammer auftritt, hat es ohnehin schwer, sich durchzusetzen. So schränkte der Konzertbericht der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung den Erfolg des Abends im Hinblick auf die achte Symphonie erheblich ein: „Alles war in gespannter Erwartung, doch wurde diese, nach einmaligem Anhören, nicht hinlänglich befriedigt und der Beifall [...] nicht von jenem Enthusiasmus begleitet, wodurch ein Werk ausgezeichnet wird, welches allgemein gefällt; kurz, sie“ – die achte Symphonie – „machte – wie die Italiener sagen – kein Furore.“ Wenn auch der anonyme Rezensent betonte, dass nicht zuletzt die seltsame Programmgestaltung die Schuld an dem Misserfolg des „neuesten Produkts der Beethovenschen Muse“ trage, so liegt der Grund für das Befremden, das es auslöste, doch noch tiefer. Beethoven jedenfalls kommentierte die Nachricht mit der Bemerkung, die achte Symphonie sei natürlich auch „viel besser“ als die siebente.

Schon der Anfang verheißt höchste Konzentration, denn es geht gleich in medias res, und es dauert auch nicht lange, bis man glaubt, sich in einer Durchführung zu befinden, obwohl es noch die Exposition ist. Das Übergreifen des Durchführungsprinzips auf den ganzen Satz ist formgeschichtlich bedeutsam, denn es zeigt, dass Beethoven gerade in den ‚kleineren‘ Dimensionen die größten Spannungen austrägt. Die Coda ist eine zweite Durchführung, und die zentrale Durchführung führt in drohende Bereiche des rhythmisch-metrischen Kampfes, die man zunächst nicht erwartet. So reflektiert bezieht Beethoven das traditionelle Hörverhalten ins Komponieren ein. Überhaupt ist die achte Symphonie ein Werk der reflektierten Distanz, auch zur Gattungskonvention. An Stelle des Scherzos schreibt Beethoven ausdrücklich ein ‚Tempo di Menuetto‘ (also kein bloßes ‚Menuett‘), in dem es außerdem von Anfang an nicht mit rechten Dingen zugeht: Es fängt an mit der Begleitung, nachdrücklich mit Sforzati versehen, Trompeten und Pauken fahren vorlaut, nämlich verfrüht, mit einem Auftaktmotiv dazwischen, das dann erst die Violinen ‚regulär‘ zum Vordersatz benutzen. (Beim Nachsatz benehmen sich die Trompeten und Pauken ‚richtig‘, indem sie den Violinen antworten.) In der Reprise fällt die Pauke sogar den Trompeten ins Wort, mit denen sie doch von alters her zusammengehört. Und die Ruhe des behaglichen Trios ist trügerisch, denn im letzten Teil gebärdet sich das anfängliche punktierte Motiv höchst sonderbar, erscheint im Bass und mit aufmüpfigem Sforzato just der unbetonten dritten Taktzeit versehen. Das ist ebenso verfremdet, wie die pompöse, aber ‚falsche‘ Attitüde des Menuett-Beginns.

Noch merkwürdiger ist die Tatsache, dass die auskomponierte thematische Einheit der Symphonie vom zweiten Satz ausgeht (!), der zudem gar kein langsamer Satz ist, sondern die Idee von Haydns Uhrwerk-Satz in dessen Symphonie Nr. 101 aufgreift und ironisch vertieft. Der Satz geht übrigens nicht, wie die neuere Beethoven-Forschung nachgewiesen hat (Stanley Howell, Kathryn John, Harry Goldschmidt), auf einen Kanon Beethovens zu Ehren des Metronom-Erfinders Mälzel zurück. Der Kanon ist eine der vielen Fälschungen des Adlatus Schindler aus den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts, um die ‚authentischen‘ Beethovenschen Tempogebungen für sich zu pachten. Wie dem auch sei, dieses Allegretto scherzando setzt die Idee des ‚Tickens‘ in musikalisches Partiturgewebe um, bei dem es niemals ganz geheuer ist. Stets sind zum Beispiel die Phrasen der ‚tickenden‘ Bläser und der Melodiefragmente in den Streichern gegeneinander verschoben, und die vorgetäuschte Harmlosigkeit des Ganzen ist nur dessen Kehrseite, die in dem unvermittelten, kurzen Schluss mit seinem raschen und riesigen Crescendo die Manier Rossinis parodiert.

Der ‚Humor‘ der achten Symphonie ist ein gefährlicher, hinterhältiger; das bekommt man im Finale zu spüren, das immerhin die Formvorstellung selbst in die Irre führt. Es ist weder ein Sonatenrondo noch überhaupt in herkömmlichen Schemata erfassbar. Beethoven erlaubt sich hier, das Problem des Finales und auch des Schließens selbst mit kritischem Formbewusstsein, äußerlich jedoch in ‚humoristischem‘ Sinn, auszukomponieren – und das mit allen Konsequenzen. Bereits die außerordentliche Länge des Satzes – er umfasst immerhin über fünfhundert Takte! – ist mehr als merkwürdig, aber gar erst die Entwicklung im Inneren! Geht man davon aus, dass es sich zunächst um eine, wenn auch in den Tonartverhältnissen obskure Sonatenform handelt – die Exposition endet ‚falsch‘ auf der Tonika und die Reprise ebenso ‚falsch‘ auf der Subdominante –, dann verblüfft die zweite Hälfte des Satzes mit einer Umkehrung der thematischen Verhältnisse: das prägnante, freilich rhythmisch seltsam flimmernde Hauptmotiv wird nun degradiert und zugleich vereinfacht zur Begleitung eines neuen, chaconneartigen Kontrapunkts, der immer mehr die Oberhand gewinnt und zu einer Steigerung einschließlich Beschleunigung führt. Ist nun dieser neue thematische Abschnitt eine zweite Durchführung? Technisch gesehen ist es eine, aber nicht thematisch, denn nichts erinnert an die Exposition. Und thematisch ist die Episode gleichsam ein Rondocouplet, ohne jedoch eines im technischen Sinn zu sein. Die Paradoxie des Schlussproblems ist also auskomponiert, der Satz nimmt eine unerwartete Wendung („fast zu ernst“, könnte man mit Schumann sagen), führt aber zu einer zweiten Reprise, in der sich dann jenes berühmte cis, das in Takt 17 so unvermittelt musikalisch die Zunge herausgestreckt hat, für sein Erscheinen noch nachträglich rechtfertigt, indem es das Hauptmotiv zum ersten und einzigen Mal nach cis-moll ablenkt. Der brutale Tonartwechsel in die Haupttonart (Takt 392) – ohne jede Modulation – macht dann jedem Ohr vernehmbar, dass eine Formsynthese hier gar nicht mehr möglich war. Beethoven demonstriert, dass es nur einen Schluss in Anführungsstrichen gibt, den er mit einer Coda von 52 Takten, ganz betont auf der Tonika verharrend, äußerlich herbeizwingt.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.