Messe in C-dur op. 86 für Soli, Chor und Orchester

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t1 Konzertführer
Ludwig van Beethoven
Messe in C-dur op. 86 für Soli, Chor und Orchester

Als Komponist von Kirchenmusik ist Beethoven nur mit einigen wenigen Werken hervorgetreten, die sich alle gegen eine problemlose Einordnung in die herkömmlichen Bereiche dieser Gattung sperren, sei es das Oratorium Christus am Ölberge, zu dem Beethoven später selbst nicht mehr so recht stehen wollte, oder sei es der Gipfelpunkt aller Widersprüchlichkeit zum Konventionellen, die Missa Solemnis.

Auch die Messe in C-dur rief schon bei ihrer Uraufführung am 13.September 1807 in Eisenstadt Verblüffung und Befremden hervor. Fürst Nikolaus von Esterhazy, der das Werk zum Namenstag seiner Gattin in Auftrag gegeben hatte, kommentierte die Aufführung mit den Worten: „Aber, lieber Beethoven, was haben Sie denn da wieder gemacht?“ Die Reaktion des Fürsten demonstriert aufs deutlichste, dass Beethovens Werk von den üblichen Messkompositionen der Zeit auf gravierende Weise abwich. Beethoven hat wohl um diese Distanz zum Konventionellen gewusst, denn am 8.Juni 1808 schrieb er an seinen Verleger Breitkopf: „Von meiner Messe, wie überhaupt von mir selbst, sage ich nicht gerne etwas, jedoch glaube ich, daß ich den Text behandelt habe, wie er noch wenig behandelt.“ Anders als alle seine Vorgänger, allen voran Joseph Haydn, gliedert Beethoven die Messe in fünf selbständige Blöcke, die den Hauptteilen des katholischen Hochamts entsprechen: in Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Benedictus zusammengefasst und Agnus Dei. Innerhalb der einzelnen Teile besteht zwar eine Untergliederung, die aber nicht aus Einzelnummern, aus Arien, Ensembles und Chören zusammengestellt ist, sondern sich nach den tradierten Abschnitten des Textes richtet. Jeder Block ist so ein mehrgliedriges, symphonisches Ganzes, von Soli, Chor und Orchester gleichermaßen getragen. Abgeschlossene Arien-Nummern im bisherigen Sinn existieren bei Beethoven nicht, nur knappe solistische Abschnitte, an die sich die anderen Solostimmen sofort anschließen. Der ariose, konzertante Charakter in den Solistenpartien fehlt völlig. Nicht die materielle Anschaulichkeit des Textes steht im Vordergrund, sondern die Betonung seiner ideellen Bedeutung, Interpretation im eigentlichsten Sinn also.

Diesem Ziel ordnet Beethoven auch den instrumentalen Teil unter. Hier liegt der Grund für seinen Verzicht, auf die für ihn sonst so wesentliche Gestaltung der orchestralen Partien zu suchen. Er vermeidet jegliche thematische oder motivische Arbeit, wenn sie sich nicht aus den Singstimmen, also vom Text her, ableiten lässt. Das Wort und dessen Träger, Chor und Solisten, haben den unbedingten Primat inne, Beethoven geht es um die Aussage, nicht so sehr um die musikalische Ausgestaltung seiner ersten Messkomposition.
Irmelin Bürgers

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.