Symphonien 1761-1765

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t1 Konzertführer
Joseph Haydn
Symphonien 1761-1765

Am 1.Mai 1761 tritt Haydn seinen Dienst als Vizekapellmeister (neben Gregorius Joseph Werner) beim Fürsten Paul Anton Esterházy an, dessen Nachfolger ein Jahr später Nikolaus ‚der Prächtige‘ wird. (Bei ihm bleibt Haydn bis 1790.) Um das hervorragende Esterházy-Orchester in seiner Vielfalt und Virtuosität herauszustellen, schreibt Haydn drei konzertante Symphonien (Nr. 6-8), die eine ganz neue Synthese aus Serenade, Symphonie und Concerto grosso bringen und mit ihren Titeln Le Matin (Nr. 6), Le Midi (Nr. 7) und Le Soir (Nr. 8) ausdrücklich an Concerti Vivaldis anknüpfen. Der 1762 gestorbene Brotherr war ein Bewunderer solcher Musik. Haydn komponierte also eine Art ‚Programmmusik‘, zum Beispiel in der langsamen Einleitung zu Nr. 6 eigens einen Sonnenaufgang, der den der späten Schöpfung vorwegnimmt, und im Finale von Nr. 8 den bekannten Topos ‚La Tempesta‘, wie ihn auch etwa Ignaz Holzbauer im Finale seiner Symphonie op. 4 Nr. 3 (Tempesta di mare) benutzt hat oder Vivaldi in seinem Concerto op. 8 Nr. 5; neu ist dagegen Haydns Aufspaltung des Orchesters in verschiedene, eigens profilierte Klanggruppen und Soloinstrumente, unter denen sich sogar ein Fagott und ein Kontrabasssolo findet. Im Adagio-Satz der Symphonie Nr. 7 kommt Haydn auf die kompositorische Idee, die Musik dadurch ‚sprechend‘ zu machen, dass er den Satz als ‚Szene und Arie‘ entwirft, also als Übertragung einer Opernform auf die wortlose Instrumentalmusik. Es handelt sich um ein Accompagnato-Rezitativ für Solovioline und Orchester (zwei Oboen und Streicher) und ein Duett (Arie) für Solovioline und Solovioloncello mit Begleitung (zwei Flöten und Streicher), das in einer großen auskomponierten Kadenz gipfelt. Die stilistische und klangliche Vielfalt der drei Tages-Symphonien ist einzigartig. Haydn hätte nicht besser seine außerordentliche musikalische Phantasie beim Amtsantritt unter Beweis stellen können. Außerdem zeigte er hiermit, dass er für die Musiker, nicht etwa für den Schreibtisch komponieren wollte. Er exponierte eine neue Facette seiner Experimentierlust.

Die folgenden vier Symphonien von 1762 (Nr. 9, 25, 14 und 36) knüpfen an die Lukavec-Phase an. Im Finale von Nr. 14 gibt Haydn ein weiteres Beispiel für seine Kunst des doppelten Kontrapunkts (Anfang), mit Nr. 9 schreibt er ein Musterbeispiel der italienischen Opern-Sinfonia, Nr. 25 ist möglicherweise gar nicht von ihm und Nr. 36 enthält, anknüpfend an die Symphonien Nr. 6-8, einen langsamen Konzertsatz für Violine und Violoncello und ein Finale (im Zweivierteltakt), das in glücklicher Weise kontrapunktische Arbeit mit lockerer Erscheinung zu verbinden versteht. Der erste Satz scheint gar von Johann Christian Bach zu stammen, obwohl Haydn nachweislich zu dieser Zeit von diesem Bach-Sohn noch keine einzige Note hat kennen können. Freilich lag dessen musikalische Art, unter anderem das ‚singende Allegro‘, durch die Musik der italienischen Opernkomponisten ohnehin in der Luft.

Die erste Symphonie, die Haydn im Jahre 1763 komponierte, führt dagegen in unerwarteter Weise inhaltlich (nicht formal, wie noch in der Symphonie Nr. 3) bereits an die Schwelle der ‚klassischen‘ Haltung. Es ist eine der wenigen Symphonien Haydns in E-dur (Nr.12); zwei Jahre später wird er mit der Symphonie Nr. 29 seine zweite und letzte in dieser Tonart schreiben. Die Symphonie Nr.12 ist jedoch noch dreisätzig, allerdings mit einem erstmaligen Adagio-Mittelsatz, der bisher nur in den inkommensurablen Tages-Symphonien vorkam. Haydn war niemals ein Adagio-Komponist; seine langsamen Sätze sind in der Regel Andante- oder sogar Allegretto-Charaktere. Bezeichnenderweise werden sich Adagio-Sätze in der Phase häufen, in der sich Haydn der zentralen Musiksprache der Wiener Klassik nähert: in den Symphonien ab etwa 1774 und vor allem in den sechs großen Symphonien der Jahre 1782 und.1783, unmittelbar vor den sechs Pariser Symphonien. Das Adagio der Symphonie Nr. 12 ist strenggenommen kein ‚echtes‘, sondern ein Siciliano-Typus (in e-moll). Es scheint, als wolle Haydn mit der Adagio-Vorschrift auf den individuellen Charakter des Satzes hinweisen, der im Übrigen die gesamte Symphonie betrifft, denn nie zuvor hat Haydn in ähnlicher Weise musikalische Haltungen und Charaktere so vollendet im Ausdruck entworfen wie hier. Möglicherweise verzichtete er deshalb auf ein Menuett und auf den ‚Kehraus-Charakter‘ des Finales (das ja ein Tempo di Menuetto hätte sein können). Was bei dieser Symphonie ins Ohr fällt, ist der ‚klassische‘ und kantable Periodenbau, der erstaunlich genug ist. Die folgende Symphonie Nr. 13 D-dur ist wieder viersätzig mit dem Menuett an der ‚regulären‘ dritten Stelle, und sie enthält bedeutende Novitäten, unter anderem eine überraschende, leise Reprise im ersten Satz, auf die eine einmalige Forte-Fanfare der hier ausdrücklich vierfach besetzten Hörner (wie später in Nr. 72 und Nr. 31 auch) folgt, ferner einen Adagio-Konzertsatz für Violoncello und ein gewichtiges, geradtaktiges Finale mit dialogartiger Struktur. Der Wechsel zwischen einem viertönigen Streichermotiv, das übrigens den Beginn des Finales von Mozarts letzter Symphonie antizipiert und auch in der Symphonie Nr. 56 (Kopfsatz) wiederkehrt, und einem synkopischen Bläsermotiv als rhythmisches Agens stiftet eine dichte Struktur, in der auch wieder kontrapunktische Verfahren eine Rolle spielen. Im Finale der darauffolgenden Symphonie Nr. 40 F-dur liegt dann, als Konsequenz daraus, tatsächlich ein Fugensatz vor. Bekanntlich hat sich der junge Haydn ja auch mit dem Gradus ad Parnassum des Wiener Kontrapunktikers Johann Joseph Fux beschäftigt. Ein letztes Fugen-Finale schreibt er in der Symphonie Nr. 70 (1779).

Die Reihe der Symphonien des Jahres 1764 ist durch Autographe belegt; die ersten beiden (Nr. 21 A-dur und Nr. 22 Es-dur) sind Kirchensonaten, aber in neuer Art, ohne Triosonatensatz, dafür, im Adagio von Nr. 21, erstmals monothematisch und von größter Ausdrucksintensität und, im Fall des ersten Satzes von Nr. 22, mit einer archaischen thematischen Verbindlichkeit versehen, einem Verfahren, das an die Technik der Choralbearbeitung erinnert, wenngleich der thematische Choral Haydns eigene Erfindung ist. Was der Symphonie den nicht authentischen Beinamen Der Philosoph eintrug, ist die Verwendung von zwei Englischhörnern an Stelle der Oboen. Sie tragen auch die ‚Choralmelodie‘ in langen Notenwerten vor. Robbins Landon glaubt in diesem Satz die Verwirklichung der bekannten (späteren) Äußerung Haydns vorzufinden, er habe in seinen Symphonien „moralische Charaktere“ darstellen wollen. Das mag wohl sein, aber es dürfte doch erst auf die thematischen Charaktere der späteren Symphonien ab etwa 1769 zutreffen. Die Tendenz, das Finale zum Gegengewicht des Kopfsatzes zu erheben, ist auch in der Symphonie Nr. 21 anzutreffen, ja, Robbins Landon meint sogar, es sei eigentlich in der Haltung ein erster Satz. Immerhin ist es, auch von der Taktart her (Vierviertel-Allegro), kein tanzartiger ‚Kehraus‘ mehr, ähnlich wie im Finale der Symphonie Nr. 24 D-dur. Im ersten Satz dieser Symphonie setzt Haydn auch den Expansionsdrang des Kopfsatzes aus Nr.17 fort und konzipiert zum ersten Mal einen unerwarteten Repriseneintritt in Moll (!). Die Symphonie Nr. 23 G-dur enthält einen jener typischen Andante-Sätze Haydns, der zudem von einem geradezu obsessiven Bassmotiv, einer Art ‚Schleifer‘, beherrscht wird und ganz eigenartig wirkt. Das Menuett ist wieder, wie in Nr. 3, ein Kanon.

Die Symphonien des Jahres 1765 markieren deutlich einen qualitativen Sprung. Zwar schreibt Haydn mit der Symphonie Nr. 30 C-dur zum letzten Mal ein Tempo di Menuetto als Finale seiner im Übrigen vorletzten dreisätzigen Symphonie, aber im ersten Satz entwickelt er das in Nr. 22 exponierte Verfahren der ‚Choralbearbeitung‘ nun im Bereich der Sonatenform, also eines Allegro-Satzes, weiter, benutzt allerdings diesmal einen bekannten cantus firmus: eine gregorianische Osterweise (Alleluja), nach der die Symphonie auch benannt wird. (Sie ist in der Stimme der zweiten Violine versteckt.) Die letzte E-dur-Symphonie, Nr. 29, ist ein weiteres Beispiel für die Monothematik im ersten Satz, die ihren Höhepunkt im Kopfsatz der Symphonie Nr. 28 A-dur erlangt. Was in Nr. 29 noch lyrische Monothematik war, wird hier zum rhythmischen Feuerwerk und zum bewussten Umgang mit dem metrischen Gegenpaar von auftaktigem und abtaktigem Dreiachtelmotiv, einem der Wesenselemente des Wiener klassischen Satzes. Während das Finale von Nr. 28 vermutlich erst zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt wurde, ist das aus Nr. 29 der unbestreitbare Zielpunkt der Symphonie. Man sieht, Haydn überdenkt auch immer wieder die innere Dramaturgie, die zyklische Anlage und Gewichtsverteilung seiner Symphonien. So kommt er dann in der Symphonie Nr.31 D-dur, mit vier statt nur zwei Hörnern, auf eine weitere zyklische Formidee: auf den Zusammenschluss von Anfang und Ende. Der Beginn der Symphonie kehrt ganz am Schluss des Finales wieder. Es handelt sich um genau die ersten und letzten Takte des Kopfsatzes, die dort beim Repriseneintritt ausdrücklich fehlten. So seismographisch verfährt Haydns Formgefühl. Das Finale ist übrigens das erste Variations-Finale Haydns und beschäftigt, im Anschluss an die Symphonien Nr. 6 -8, in den einzelnen Variationen verschiedene Soloinstrumente. In ihrer Mischung aus Serenade, Divertimento, Concerto grosso und Sinfonia erinnert die Symphonie ohnehin an jene Tages-Symphonien von 1761. Ihr Beiname Hornsignal verweist auf die Signalthematik des ersten Satzes (alla Posta).

Am Ende dieser Phase komponiert Haydn seine erste Symphonie in Moll, die Symphonie Nr.34 d-moll, allerdings noch im altertümlichen Kirchensonatentypus, wenn auch der Eingangssatz bereits die expressiven Töne eines Carl Philipp Emanuel Bach aufklingen lässt, die sich alsbald auch in Haydns Symphonik drastisch Gehör verschaffen werden. Der tragische norddeutsche Tonfall bestimmt später die Moll-Symphonien zwischen 1768 und 1772.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.