Hanns Eisler

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t1 Konzertführer
Hanns Eisler
Hanns Eisler

Leipzig, 6. Juli1898 – Berlin, 9. September 1962

Die Musik Hanns Eislers ist heute weitgehend aus dem Konzertsaal verdrängt. Politische Gründe sind hierfür maßgebend verantwortlich, daneben freilich auch die Tatsache, dass Eislers Musik im Wesentlichen selbst keine Auseinandersetzung mit dem Konzertsaal sucht. Nahezu jedes seiner Orchesterwerke enthält ganz unverhohlene politische Aussagen, zumindest aber stellen sie sich als Gebrauchsmusik für andere Zwecke als bloß für das Konzerterlebnis heraus. Das gilt auch für die sechs Orchestersuiten op. 23, op. 24, op. 26, op. 30, op. 34 und op. 40 sowie die Fünf Orchesterstücke (1938), das heißt Musik zu Filmen, so etwa zu Kuhle Wampe oder zum Dokumentarfilm 400 Millionen, den Joris Ivens 1938 über China dreht. Die Fünf Orchesterstücke sind Auszüge aus diesen Filmmusiken. Die Sätze Andante, Allegro, kleine Passacaglia, Presto, Finale (Improvisation) hatten in der Filmmusik die Überschriften „Landschaft“, „Wiederaufbau“, „politische Flüchtlinge“, „Sandsturm“ und „Bombardement“. Die Musik Eislers geht allerdings weit über bloße Illustration hinaus. Traditionelle kompositorische Mittel sind gleichsam als ‚kritischer Kontrapunkt‘ in die Musik eingearbeitet, sie repräsentieren Haltungen und provozieren Hörerwartungen, die im dialektischen Verhältnis zum Ausgesagten (sei es zum Bild oder, in Vokalkompositionen, zum Wort, mitunter auch allein zur vorausgegangenen oder folgenden Musik) stehen.

Auch die Kammersymphonie aus dem Jahre 1940 (Eisler hatte 1933 Deutschland verlassen müssen und lebte zu dieser Zeit in den USA) ist identisch mit der Musik zu einem Film über arktische Landschaften. Bezeichnend ist, dass Eisler für die Darstellung von „entstehenden Gletschern“, „Schneesturm“ oder „Gletscherzusammenbruch“ genuin musikalische Formen wie etwa eine Choralbearbeitung oder ein Scherzo mit Trio verwendete.
Als relativ ‚autonome Musik‘ kann die Kleine Symphonie op. 29 aus dem Jahre 1932 gelten. Doch auch hier ist der kritische Ton unverkennbar. Im Grunde ist die Musik eine freche Karikatur der damals um sich greifenden neoklassizistischen Tendenzen. Der dritte Satz beispielsweise ist eine choralartige Invention, gespielt von Trompete und Posaune mit ‚Wow-wow‘-Dämpfer. Die Zartheit des Tons, die Eisler fordert, mischt sich mit Kläglichkeit. Dass Eislers Kleine Symphonie prägnanter und schärfer ausfällt als die meisten neoklassizistischen Produkte dieser Zeit, verweist auf seinen Rang als Komponist.

Eislers symphonisches Hauptwerk ist die Deutsche Symphonie, ein gewaltiges elfsätziges Werk, das größtenteils zwischen 1934 und 1937 entstand, nur der ganz kurze letzte Satz wurde 1958/59 vor der Uraufführung hinzukomponiert. Acht Vokalsätze stehen drei rein instrumentalen Sätzen (Nr. 3, Nr. 6 und Nr. 10) gegenüber, die für sich genommen eine eigene Symphonie darstellen. Die Vokalsätze nach Texten von Bertolt Brecht haben die Überschriften: Präludium „O Deutschland, bleiche Mutter“, Passacaglia „An die Kämpfer in den Konzentrationslagern“, „Erinnerung (Potsdam)“, „Sonnenburg“, „Begräbnis des Hetzers im Zinksarg“, „Bauernkantate“, „Arbeiterkantate“, Epilog „Seht unsere Söhne“. Die Deutsche Symphonie ist ein Kompendium nahezu aller kompositorischer Techniken Eislers, des sarkastisch gebrochenen Tonfalls, der Zitattechniken (etwa die Internationale), der Szenen mit gesprochenen bzw. geflüsterten Worten, die gewissermaßen ein reales Gespräch mit musikalischer Kommentierung wiedergeben, oder auch der Musik als Sprache, wo das Wort verstummt (die ersten beiden orchestralen Sätze stehen hinter Texten, die vom Konzentrationslager sprechen). So ist der gewaltige Block der Deutschen Symphonie ein umfassendes Bild von der Zeit des deutschen Faschismus.
Hingewiesen sei noch auf das Requiem Lenin aus dem Jahre 1937, das mit vergleichbaren Techniken arbeitet. Es ist freilich kaum jemals zu hören.

In seinem Todesjahr 1962 schrieb Eisler einige Lieder, die dem Typus des symphonischen Orchesterlieds sehr nahestehen. Sie sind mit Ernste Gesänge überschrieben und nach Texten von Friedrich Hölderlin, Berthold Viertel, Giacomo Leopardi, Hans Richter und Stephan Hermlin komponiert. Es ist ein ausgesprochen empfindsames und zumeist stilles Werk, das durch eigentümlich schlichte melodische Linien und karge, manchmal betont überzeichnete Begleitung eine eindringliche Wirkung hervorruft. Die Ernsten Gesänge haben denn auch deutliche Züge eines resümierenden Alterswerks.
Reinhard Schulz

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.