Frédéric Chopin

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t1 Konzertführer
Frédéric Chopin
Frédéric Chopin

Zelazowa-Wola bei Warschau, 1. März 1810 – Paris, 17. Oktober 1849

Das Orchester spielt im Werk Chopins kaum eine Rolle. Stücke nur für Orchester gibt es gar nicht, und in den Kompositionen für Klavier und Orchester ist der Orchesteranteil klein, zumindest unscheinbar. Immerhin sind es insgesamt sechs Werke, die Chopin für Klavier mit Orchesterbegleitung schrieb: außer den zwei bekannten Konzerten op. 11 und op. 21 die Variationen über ‚La ci darem la mano‘ aus Mozarts Don Giovanni op. 2, die Fantasie über polnische Themen op. 13, den Krakowiak op. 14 sowie Andante spianato und Polonaise op. 22. Vom letzten Werk abgesehen, das zumindest teilweise erst in Paris komponiert wurde, entstanden diese Stücke sämtlich noch in Chopins Warschauer Zeit, also vor Ende 1830. In Paris, so scheint es, gab es für Chopin keine Veranlassung mehr, für Orchester zu schreiben. Der Ort, für den er fortan einzig und allein komponierte, war der Salon. Vor allem aber scheint Chopin an allen Gattungen und Formen der Musik, die er nicht in eigener Person und ohne die Mithilfe anderer aufführen und lebendig werden lassen konnte, kaum Interesse gehabt zu haben. Bekanntlich schrieb er weder Opern noch Kirchenstücke und auch auf dem Gebiet der Kammermusik erscheint die Cellosonate op. 65 von 1845/46 nur als die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Es ist allerdings auch von jeher der Verdacht geäußert worden, Chopin habe andere Gattungen gemieden, weil er sich ihnen technisch nicht gewachsen gefühlt habe. Die Instrumentation in den Werken mit Orchester beispielsweise, nicht eben brillant oder auch nur gekonnt, führte fast zwangsläufig zu dem Vorwurf, Chopin habe nicht zu instrumentieren verstanden. Überdies wird seit langem behauptet, Chopin habe sich bei der Instrumentation seiner beiden Konzerte helfen lassen, wenn sie nicht ganz und gar von anderer Hand herrühre. Da die Partiturhandschriften nicht erhalten sind, kann man diese Behauptung leider nicht auf ihre Richtigkeit hin prüfen. Die Konsequenz der Vorwürfe gegen die Chopin‘sche Instrumentation waren weitreichende Retuschierung und Umarbeitung des Orchesterparts in beiden Konzerten, vorgenommen unter anderem durch so namhafte Pianisten wie Karl Klindworth und Carl Tausig oder Komponisten wie André Messager. Hintergrund dieser Umarbeitungen, die teilweise bis heute gepflegt werden, ist allerdings nicht nur die angeblich so mangelhafte Instrumentation, sondern auch die Tatsache, dass die Konzerte einem Typus angehören, der im Übrigen nicht überlebt hat.

Die beiden Chopin-Konzerte sind die einzigen Exemplare der Spezies des Virtuosenkonzerts im heutigen Repertoire, und es ist deshalb zumindest verständlich, dass sie am übrigen Konzertrepertoire gemessen und ihm angeglichen wurden. Das Virtuosenkonzert legt es nicht auf das differenzierte Wechselspiel, den ‚Wettstreit‘ zwischen Orchester und Soloinstrument, an, es hat weder satztechnisch noch symphonisch besondere Ambitionen. Es dient ausschließlich der möglichst effektvollen Präsentation des Solisten, dessen Herrschaftsanspruch den Dialog mit dem Orchester als gleichrangigem Partner nicht duldet. Das Orchester erfüllt folglich untergeordnete Funktionen; es ist darauf beschränkt, zu begleiten und die Soli, die wie die Auftritte einer Primadonna wirken, durch Einleitungen und Zwischenspiele vorzubereiten. Setzt das Klavier ein, tritt das Orchester sogleich in den Hintergrund. Andererseits präsentiert sich das Klavier selten einmal ganz allein – als sei es auf den Klanggrund wie auf eine tragende Stütze angewiesen. Dieser Klanggrund besteht fast durchgehend aus einer Nachzeichnung des harmonischen Verlaufs, der durch seine im Vergleich zum Klavier stets längeren Notenwerte getragen wirkt und in seiner Instrumentation mit Streichern, vornehmlich in Mittellage, weich und warm klingt, sodass das Soloinstrument wie über einen samtenen Teppich zu schreiten scheint. Die beiden Konzerte sind sich in Form und Ausdruck sehr ähnlich, vermutlich nicht zuletzt auch eine Folge der nahen Entstehungszeit beider Stücke. Chopin schrieb sie in den Jahren 1829 und 1830. Zuerst entstand das später als op. 21 veröffentlichte Konzert in f-moll (Herbst 1829 bis Frühjahr 1830), danach das Werk in e-moll op. 11 (April bis August 1830).

Beide Konzerte sind traditionell dreisätzig (schnell-langsam-schnell), beide wenden das Moll, das den ersten Satz prägt, im weiteren Verlauf ins hellere Dur. Im e-moll-Konzert beginnt der Schlusssatz bereits in E-dur, im f-moll-Konzert vollzieht sich die Wendung nach F-dur erst innerhalb des Satzes selbst, theatralisch-großartig eingeleitet durch ein Signalhorn, das den Dur-Schluss zum Ereignis macht. Zwischenstufen sind jeweils die langsamen Mittelsätze, die gleichfalls in Dur-Tonarten stehen, dennoch aber nicht den Dur-Charakter der Schlusssätze haben. Hier erscheint das Dur verhangen, eingetrübt, als liege der Schatten der voraufgehenden Moll-Sätze noch darüber. Zum langsamen Satz des e-moll-Konzerts verriet Chopin etwas von seiner Intention; er schrieb in einem Brief im Mai 1830: „Das Adagio des neuen Konzerts ist in E-dur. Es ist eine Art Romanze, ruhig und melancholisch. Es soll den Eindruck eines liebevollen Rückblicks erwecken, eines Rückblicks auf eine Stätte, die in uns tausend süße Erinnerungen wachruft. Es ist wie eine Träumerei in einer schönen, mondbeglänzten Frühlingsnacht. Deshalb wird es mit sordinierten Geigen begleitet; das sind Geigen, die durch eine Art Kämme gedämpft werden, die, auf den Saiten angebracht, einen nasalen silbernen Ton bewirken.“ Über den langsamen Satz des f-moll-Konzerts gibt es eine ganz ähnliche Äußerung Chopins; es heißt in einem Brief vom Oktober 1829: „ich habe schon, vielleicht zu meinem Unglück, mein Ideal [gemeint ist die Sängerin Konstantia Gladkowska], dem ich treu diene, obwohl ich schon seit einem halben Jahr nicht mit ihm gesprochen habe, von dem ich träume, zu dessen Gedenken das Adagio in meinem Konzert entstanden ist“. Es ist kein Zufall, dass diese Äußerungen die langsamen Sätze betreffen, Vergleichbares über die anderen Sätze aber fehlt. Der langsame Satz ist offenkundig das bevorzugte Medium zum Ausdruck intimer Empfindungen, der emotionale Mittelpunkt gleichsam. Er gestattet sich darum auch formal die meiste Freiheit. Anfangs- und Schlusssatz scheinen als schützende Hülle um ihn gelegt zu sein, im Charakter deutlich nach außen gewendet und formal, in der mehr oder weniger braven Übernahme von Sonatensatz und Rondo, der Konvention verhaftet. Insbesondere die durch ihre Ausdehnung auffallenden Anfangssätze – der erste Satz des e-moll-Konzerts ist mit nahezu siebenhundert Takten einer der längsten des gesamten Repertoires – zielen auf Repräsentation und große Gestik. Der Anfangssatz ist gleichsam die Auftrittsszene des Virtuosen. Hier gibt er sich, wie es der Tradition entspricht, pathetisch-großartig, zumindest ernst. Der Schlusssatz hat demgegenüber die Funktion des heiteren Kehraus, in deutlichem Kontrast zum Anfangssatz. Hier spielt vor allem rhythmische Prägnanz eine Rolle; der Virtuose spielt gleichsam zum Tanz auf, und dabei bedient er sich selbstverständlich volkstümlicher, also polnischer Tanzmusik. In der Verwendung von Mazurka (f-moll-Konzert) und Krakowiak (e-moll- Konzert) erweist er sich als guter Patriot und nutzt zugleich die mit diesen Tänzen heraufbeschworenen exotischen Reize.
Egon Voss

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.