Symphonie Nr. 5 B-dur D 485

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t1 Konzertführer
Franz Schubert
Symphonie Nr. 5 B-dur D 485

Innerhalb der sechs ‚Jugendsymphonien‘ nimmt die fünfte Symphonie eine bedeutende Ausnahmestellung ein. Bezeichnenderweise findet sich in Schuberts Tagebuch am 13. Juni 1816, also einige Monate vor der Komposition der Symphonie, folgende Eintragung: „O Mozart, unsterblicher Mozart, wie viele o wie unendlich viele wohltätige Abdrücke eines lichten bessern Lebens hast du in unsere Seelen geprägt.“ Eine Hommage an Mozart mit Worten, denen kurz darauf musikalische Taten folgten: eben die fünfte Symphonie, deren eigenartige musikalische Haltung Stefan Kunze einmal treffend mit den Worten „Mozart auf die Weise Schuberts“ umriss. Im Unterschied zu den anderen ‚Jugendsymphonien‘ fehlt hier die langsame Einleitung und ist die Orchesterbesetzung reduziert auf das klassische Maß. Schubert verzichtet auf Trompeten und Pauken wie Mozart in seiner Symphonie g-moll KV 550. Ein heller, schwebender Klang ist beabsichtigt, die diskrete Leichtigkeit der Musik Mozarts wird beschworen. Wie stark gerade Mozarts späte Symphonie g-moll auf Schubert gewirkt hat, zeigt sich auch daran, dass das Menuett der fünften Symphonie völlig unerwartet ebenfalls in g-moll steht und sich im Ausdruck an dem mürrischen Charaktermenuett Mozarts orientiert, freilich ohne dessen Werkstattgeheimnis der äußerst intrikaten „Zahnradkonstruktion“ (Thrasybulos Georgiades) und der rhythmisch-metrischen Vergegenwärtigung zu kennen. Ein Vergleich der beiden Trios – beide stehen in G-dur – führt uns zu der Einsicht in den fundamentalen Unterschied der satztechnischen Herkunft. Bei Mozart bemerken wir, trotz allen seligen Musizierens, ein unerbittliches Festhalten an der bewussten metrischen Gestaltung – die Gegenstimmen der Bratschen und Bässe wirken heftig als Gegenstöße –, während sich Schubert ganz mit liebevoller Gelöstheit ohne Distanz begnügt, mit dem melodischen Aussingen, das für seine musikalische Haltung kennzeichnend ist. Ähnliche Beobachtungen gelten auch für den ersten Satz. Die diskontinuierliche Satzstruktur Mozarts mit ihren konstruktiv verankerten, überraschenden Wendungen wird von Schubert nur ‚äußerlich‘ eingefangen, indem er das Hauptthema dialogisch auf die Instrumente verteilt, ohne dass das satztechnische Konsequenzen hätte in Hinsicht auf das bei den Wiener Klassikern vorherrschende „Partiturgewebe“ (Georgiades). Und in der Schlussgruppe zwingt Schubert Mozarts Diskontinuität gleichsam ‚naturalistisch‘ herbei dadurch, dass er mit einem vordergründigen Trugschluss (Takt 80) nur die Schlusskadenz hinauszögert.

Die Durchführung verfährt zunächst in der Bahn Mozarts, mit einem Motiv aus der Schlussgruppe zu beginnen, schwenkt aber gleich darauf merkwürdigerweise in den Tonfall Beethovens über, ja zitiert ihn sogar, denn ab Takt 141 erinnert ein neues Motiv mitsamt seinen absteigenden Sequenzen an den zweiten Teil des Menuetts aus Beethovens erster Symphonie – dort sind es die Takte 9 bis 18 –; und das ist sicherlich kein Zufall, sondern ein Zeugnis dafür, wie genau Schubert die Musik der Wiener Klassiker im Ohr hatte, doch mehr auch nicht. Im langsamen Satz sprechen die eigenwillige Harmonik und Melodik bereits im Ansatz Schuberts spätere, eigene Sprache, wenn auch das Seitenthema – immerhin in Ces-dur! – deutlich an das Briefduett aus Mozarts Le Nozze di Figaro erinnert. Das Finale schließlich greift mit seinem Hauptthema auf Haydn und mit dem Seitenthema wieder auf Mozart zurück, ohne jedoch das von den Wiener Klassikern aufgeworfene Problem des Finalgewichts zu berühren. Es ist einfach ein unbeschwerter ‚Kehraus‘, wie denn überhaupt der bewusst reduzierte Klang und Charakter der gesamten Symphonie im Unterschied zu Mozart oder auch Haydn nur fröhlich-unverbindlichen Musiziergeist ausstrahlt. Für einen Augenblick scheint Schubert die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, die scheinbare Natürlichkeit der musikalischen Haltung Mozarts getroffen zu haben: aber nur ihre sinnliche Erscheinungsweise, nicht ihr Wesen. Der Weg Schuberts zur eigenen symphonischen Konzeption war ein ganz anderer.

Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.