Konzert e-moll für Violine und Orchester op. 64

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t1 Konzertführer
Felix Mendelssohn Bartholdy
Konzert e-moll für Violine und Orchester op. 64

Das letzte konzertante Werk Mendelssohns ist sein bestes; die Gefahr, dass dem phänomenalen Klaviervirtuosen ‚geläufige Figuren‘ unterlaufen, bestand hier nicht. Sechs Jahre hatte der Komponist um die Ideen und deren Gestaltung zu ringen (1838 bis 1844), die Anforderungen und Gegebenheiten eines Violinkonzerts waren von anderer, für ihn komplizierterer Art. So nimmt es nicht wunder, dass Mendelssohn sich in mancher Hinsicht an einer der bedeutendsten Autoritäten des damaligen Musiklebens orientierte – an Louis Spohr, dem bedeutendsten Geiger der deutschen Romantik, der der Gattung des Solokonzerts richtungweisende Impulse gegeben hatte. Spohr war überdies der Lehrer des Gewandhaus-Konzertmeisters Ferdinand David gewesen, für den Mendelssohns sein Konzert schrieb. Die Orgelpunktwirkung des Soloinstruments zu hohen Holzbläserakkorden (zweites Thema des Kopfsatzes), der tänzerische Schwung des Finales, die Noblesse des Ausdrucks, die den Eindruck eines äußerlichen Virtuosenstücks zu vermeiden weiß, selbst die Wahl der Tonart – all dies sind auf Spohrs Vorbild weisende Züge. Sie verbinden sich in diesem Konzert aufs glücklichste mit den formalen Neuerungen, die Mendelssohns bis dahin erarbeitet hatte: Vorstellen des Hauptthemas durch den Solisten statt durch das Tutti des Orchesters, ‚attacca‘-Anschluss des langsamen Satzes, separate Einleitung des Finales. Als Besonderheit fügte der Komponist zwischen Durchführung und Reprise des Kopfsatzes eine Kadenz ein, die in die Organik des Satzes integriert und damit obligat ist.
Hartmut Becker

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.