Violinkonzerte

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t1 Konzertführer
Wolfgang Amadeus Mozart
Violinkonzerte

Konzertante Werke, in denen Streichinstrumente solistisch eingesetzt werden, schrieb Mozart beinahe ausschließlich in den Jahren 1773 bis 1779, das heißt zwischen der Rückkehr von seiner dritten (und letzten) Italien-Reise und der Rückkehr aus Paris. Die intensive Auseinandersetzung insbesondere mit der Violine in jener Zeit war wohl teilweise durch Mozarts Amt am fürsterzbischöflichen Hof in Salzburg wie auch durch das Drängen seines Vaters veranlasst; vor allem aber hatte er in Italien die große geigerische Tradition dieses Landes in sich aufnehmen können, war den bedeutenden Tartini-Schülern Pietro Nardini und Gaetano Pugnani begegnet und hatte in Bologna den Böhmen Joseph Myslivecek kennengelernt, der die Gattung des Violinkonzerts besonders pflegte. Hinzu kam eine offensichtliche Beliebtheit konzertanter Musik für Violine in Salzburg.

Hatte Mozart bis 1773 bereits mehr als zwei Dutzend Symphonien geschrieben, war die Annäherung an die Konzertform bis dahin eher tastend gewesen, so vollzog sich nun in den Gattungen des Streicherkonzerts ein wesentlicher stilistischer Reifeprozess. Vollständig überliefert und zweifelsfrei authentisch sind fünf Konzerte und drei einzelne Sätze für Violine und Orchester der Concertone für zwei Violinen C-dur KV 190 sowie die Sinfonia concertante für Violine und Viola Es-dur KV 364 mit Orchester. Von drei weiteren unter Mozarts Namen geführten Violinkonzerten ist jenes in D-dur KV 271 I (entstanden angeblich im Sommer 1777 in Salzburg) von zweifelhafter Echtheit; die beiden anderen, Es-dur KV 268 und KV Anh. 294 C-dur, genannt Adelaide-Konzert, hat Walter Lebermann 1978 bzw. 1967 als untergeschobenes Werk von Johann Friedrich Eck bzw. als Fälschung von Marius Casadesus nachgewiesen. Sie finden hier keine Berücksichtigung. Das früheste der Konzerte, B-dur KV 207, entstand im April 1773, zeigt nicht nur ein Amalgamieren der italienischen Traditionen eines Vivaldi und Tartini mit den Elementen von Mozarts eigener musikalischer Sprache, sondern ist formal durch seine Dreisätzigkeit und in Bezug auf die Instrumentation (zwei Oboen, zwei Hörner und Streicher) für die ganze Werkgruppe richtungweisend.Der im Mai des folgenden Jahres geschriebene Concertone C-dur KV 190 gehört zu jener in der stilistischen Nachfolge des barocken Concerto grosso stehenden Gattung der Sinfonia concertante, wie sie unter anderem von Johann Christian Bach, den Mozart sehr verehrte, gepflegt wurde; zu den beiden Soloviolinen treten im KV 190 die erste Oboe (die gleichwohl auch Tutti-Aufgaben zu übernehmen hat) und im langsamen Satz ein Violoncello obligato. Die Orchesterbesetzung ist hier um zwei Trompeten erweitert, die Violinen geteilt.

Mit dem D-dur-Konzert KV 211, beendet am 14.Juni 1775, beginnt Mozart, französische Einflüsse aufzunehmen: Das Hauptthema des Kopfsatzes hat eine charakteristische marschartige Punktierung und die Form des Schlusssatzes – in KV 207 noch dem Sonatensatz verwandt – wird nun als Rondo gestaltet. Im Herbst und Winter des gleichen Jahres entsteht dann die Trias jener Werke, in denen Mozart zu völlig individueller Gestaltung und Ausdruck findet.

Die zwischen September und Ende Dezember 1775, also innerhalb weniger Wochen, komponierten Konzerte in G-dur KV 216, D-dur KV 218 und A-dur KV 219 bilden in mehrfacher Hinsicht eine Gruppe. Zum einen sind die Schlusssätze höchst originell und in ihrer Gestaltung voller Überraschungen; so hält Mozart im G-dur-Konzert den Fluss der Musik plötzlich an, lässt – wie eine Erinnerung an die barocken ‚Minore‘-Teile bestimmter Tanztypen – einige Andante-Takte in g-moll folgen, an die sich ebenso unvermittelt das Zitat eines Volksliedes Willem von Nassaw anschließt, ehe die eigentliche Thematik des Satzes wiederaufgenommen wird. Im D-dur-Konzert KV 218 wird das Ritornell gar von zwei gegensätzlichen Gedanken gebildet: Der erste (Andante grazioso) ist melodisch und harmonisch offen und wird vom zweiten (Allegro ma non troppo) gleichsam beantwortet. Schon durch diesen Kunstgriff wäre der Satz sehr abwechslungsreich, doch fügt ihm Mozart außerdem noch eine Andante-Episode ein, die diesmal an die Musette Ballo Strasburghese aus Dittersdorfs Karnevals-Symphonie anklingt; der Solist begleitet hier streckenweise die Melodie selbst durch gleichzeitiges Mitspielen der leeren G-Saite, eine Stilisierung des Musette- (Dudelsack-) Klangs. Im A-dur-Konzert enthält das Rondo eine zentrale Episode in a-moll, deren Gedanken Mozart aus seiner 1772 geschriebenen Ballettmusik Le gelosie de Serraglio zur Oper Lucio Silla zitiert; dass dieses alla turca musikalisch ein all 'ongharese ist, wie Denes Bartha überzeugend nachgewiesen hat, ist indes weniger interessant als Mozarts phantasievolle Umsetzung des Schlagens und Peitschens (des ‚türkischen‘ Schlagwerks) durch das col legno-Spiel der tiefen Streicher. Hier zeigt sich bereits der geniale Instrumentator.

Zum anderen atmen die langsamen Sätze dieser Konzerttrias eine Reinheit und Tiefe des Ausdrucks, wie sie zuvor nur Tartini und nach Mozart erst wieder Beethoven und Spohr erreicht haben. Auch hier setzt Mozart sehr gezielt die Klangfarben des Orchesters ein; so spielen die hohen Streicher im Adagio des G-dur-Konzerts stets con sordino, die tiefen über weite Strecken – einer älteren Praxis folgend – pizziccato, während die Oboen durch die süßer, weicher klingenden Flöten ausgetauscht werden.

Nach diesem ersten Höhepunkt im konzertanten Schaffen Mozarts entstehen zunächst, vermutlich gegen Ende 1776, zwei einzelne Sätze, das Adagio E-dur KV 261 und das Rondo B-dur KV 269; ob sie als Substitute für entsprechende Sätze des KV 219 bzw. KV 207 gedacht waren (briefliche Äußerungen Leopold Mozarts scheinen in diese Richtung zu deuten), muss dahingestellt bleiben. In der Qualität halten sie das Niveau der drei voraufgegangenen Konzerte.

Während seines Aufenthalts in Paris kam Mozart mit der französischen ‚Concertante‘ in Berührung, seine im April 1778 komponierte Sinfonia concertante für vier Bläser und Orchester ist die unmittelbare schöpferische Reaktion. Das zweite Werk dieser Gattung, KV 364 für Violine, Viola und Orchester, das wahrscheinlich im Sommer nach der Rückkehr aus Paris (1779) entstand, zeigt indessen wenig Einfluss von „welschem gout“; es ist Mozarts reifste konzertante Komposition für Streichersoli. Attribute wie Heiterkeit, Feinheit und Eleganz treten hier zurück gegen über einer nervigen Kraft und Entschiedenheit des Ausdrucks, in denen bereits Charakterzüge der reifen Klavierkonzerte der Wiener Jahre vorgeprägt erscheinen. Zum ersten Mal schreibt Mozart einen langsamen Konzertsatz in einer Moll-Tonart (c-moll) – ein dunkles, grüblerisches Andante. Die Hineinnahme symphonischer Elemente in den konzertanten Stil (auch in der Orchesterbehandlung) bot Möglichkeiten zur Intensivierung von Ausdruckswirkungen, von denen Mozart Gebrauch macht, ohne aber in vordergründige Effekte abzugleiten. Erwähnt sei an KV 364 die besondere Hervorhebung des Violenklangs, einmal durch Teilen der Tutti-Violen in zwei Gruppen (Ergebnis ist ein runderer, vollerer Klang des Orchesters), zum anderen durch Skordieren der Soloviola um insgesamt einen halben Ton; durch diese Umstimmung der Bespannung konnte der Spieler in der günstigen Applikatur von D-dur bleiben, sein Instrument hob sich durch den helleren Klang besser vom Tutti ab und verschmolz leichter mit dem der Violine.

Im April 1781 entstand Mozarts letztes Werk für Violine und Orchester, das Rondo C-dur KV 373; in einem Brief an den Vater nennt er es „ein Rondo zu einem Concert für Brunetti“ (den Salzburgischen Hofkonzertmeister). Möglicherweise hatte er noch zwei weitere Sätze geplant, die durch den Bruch mit dem Fürsterzbischof und Entlassung aus Salzburgischen Diensten im Mai 1781 nicht mehr zur Ausführung kamen. Wenngleich Mozart seine Violinkonzerte nicht in erster Linie für den eigenen Bedarf schrieb, so soll doch darauf hingewiesen werden, dass er sie sowohl in Salzburg wie auch außerhalb seiner damaligen Wirkungsstätte selbst gespielt hat. Diese Tatsache gibt einen Eindruck von den beachtlichen geigerischen Fähigkeiten des Komponisten, dessen Hauptinstrument das Klavier war.
Hartmut Becker

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.