Symphonie g-moll KV 550

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t1 Konzertführer
Wolfgang Amadeus Mozart
Symphonie g-moll KV 550

Am 25. Juli 1788 trug Mozart in sein eigenhändiges „Verzeichnüß aller meiner Werke“ eine Symphonie in g-moll ein, von der wir sonst nicht mehr kennen, als zwei Fassungen, die erste ohne, die zweite mit Klarinetten. Weder ist eine Aufführung zu Mozarts Lebzeiten überliefert noch der Grund, warum Mozart die Symphonie, zusammen mit zwei weiteren (KV 543 und 551), überhaupt komponierte. Es gibt nur einen vagen Anhaltspunkt, dass die Klarinetten-Fassung möglicherweise in zwei Wohltätigkeitskonzerten der ‚Tonkünstler-Societät‘ unter Antonio Salieri am 16. und 17. April 1791 in Wien erklang, bei denen die beiden mit Mozart befreundeten Klarinettisten Johann und Anton Stadler mitwirkten. Das wäre jedenfalls eine Erklärung für die Neufassung. Wie dem auch sei, die g-moll-Symphonie, nach KV 183 die zweite in dieser Tonart, ist ein genauso einsames Werk wie die beiden anderen Symphonien des Sommers 1788 auch; jede steht für sich ein, und alle drei vermitteln uns Mozarts tiefste Einblicke in Leben und Welt und sind die absoluten Höhepunkte seines symphonischen Schaffens. Doch zwischen uns und Mozart steht das 19. Jahrhundert, das für diese Musik nur ein sehr beschränktes Aufnahmevermögen hatte. Die C-dur-Symphonie wurde zur Jupiter-Symphonie zurechtinterpretiert, die Es-dur-Symphonie zum Schwanengesang und die in g-moll völlig missverstanden. Robert Schumann sprach von „griechisch schwebender Grazie“, und Kleingeister wie ein gewisser H. Hirschbach ereiferten sich in Schumanns Neuer Zeitschrift für Musik (im Jahrgang 1838):

„Diese sogenannte Symphonie verdient eigentlich gar nicht diesen Namen, sondern ist ein weder durch Erfindung noch durch Arbeit hervorragendes, gewöhnlich mildes Musikstück, das zu schreiben (wenn man alle tieferen Anforderungen unserer Zeit beiseite setzt) durchaus nicht so schwer fallen müßte.“ Die philisterhafte Überheblichkeit dieses Schreiberlings, so lächerlich sie uns heute auch erscheinen mag, ist ein bezeichnendes Dokument dafür, welche Musikvorstellung wir überwinden müssen, um an den Kern des von Mozart tatsächlich Komponierten heranzukommen. Denn in Hirschbachs Einwand steckt ja auch etwas Richtiges: Ohne es zu merken, spricht er nämlich von Mozarts einzigartiger musikalischer Diskretion, ja von seiner abweisenden Geschlossenheit, die es uns nicht erlaubt, die musikalische Haltung der g-moll-Symphonie etwa als Ausdruck von persönlichen Nöten des Komponisten aufzufassen (wie es immer noch geschieht). Wir wissen ohnehin sehr wenig über Mozarts gesellschaftliche Isolation der letzten Wiener Jahre, aber es ist ästhetisch unhaltbar, seine biographischen Umstände mit dem Charakter seiner Musik zu verwechseln. Dafür ist sie zu wenig subjektiv. Was dagegen musikalisch zur Sprache kommt, sind die Affekte von Unruhe, Klage oder Verzweiflung als musikalische Charaktere, die ganz für sich selbst stehen. Freilich sind es auch hier, wie immer bei Mozart, immanent dramatische, anthropomorphe musikalische Gestalten, die so agieren, wie sonst die Menschen auf Mozarts Opernbühne. So ist es denn auch kaum erstaunlich, dass der erste Satz den Typus der aria agitata benutzt, wie ihn beispielhaft die Arie Non so piu cosa son cosa faccio des Cherubino in Le Nozze di Figaro vertritt, und dass der ebenbürtige letzte Satz tänzerischen Impuls erhält, statt bloßer ‚Kehraus‘ zu sein. Was jedoch im Menuett geschieht, steht außerhalb der Konvention: Mozart deutet den höfisch-grazilen Tanz um zu einem mürrischen Charakterstück mit einer kontrapunktischen Zahnradkonstruktion und metrischen Konflikten, die den außerordentlichen Ausbrüchen aus der Ordnung in der Durchführung des Finales kaum nachstehen. In beiden Fällen stößt Mozart an die Grenze der Ästhetik des ‚Schönen‘ vor, ohne sie jedoch zu verstoßen. Solches würde seiner Grundanschauung zuwiderlaufen, Musik dürfe nicht „schwitzen“, sondern solle „angenehm in die ohren“ sein, was aber nicht ausschließt, dass sie auch einen schroffen ‚Ton‘ annehmen kann; aber so, dass die distanzierte Haltung gewahrt bleibt. So schrieb Mozart bereits am 26. September 1781 (anlässlich der Komposition der aufgebrachten Arie des Osmin) an den Vater, dass die Leidenschaften, ob heftig oder nicht, niemals bis zum Ekel ausgedrückt werden dürften und die Musik deshalb „auch in der schaudervollsten Lage das Ohr niemalen beleidigen, sondern doch dabey vergnügen muß, folglich allzeit Musick bleiben Muß“. Damit ist keiner Ästhetik des Maßhaltens das Wort geredet, sondern der Musikauffassung des 18. Jahrhunderts.

Schon die Wahl der Tonart g-moll war eine bewusste Entscheidung Mozarts für negative Tonfälle: Diese Tonart steht ein für leidenschaftlich erregte (erster Satz!), gemischte oder sogar trostlose und abgründige Haltungen. Man denke nur an solche g-moll-Stücke wie Mozarts Streichquintett KV 516, an die Arie der Konstanze Traurigkeit ward mir zum Lose und natürlich an die Arie der Pamina. Doch befremdet die Unerbittlichkeit, ja Desillusionierung, mit der Mozart in der g-moll-Symphonie in dieser Tonart redet. Die Durchführung des Finales beginnt mit einem erschreckend zerklüfteten Motiv, das nicht allein Ausdruck einer unerhörten Abgründigkeit ist, sondern darüber hinaus hundertfünfzig Jahre vor Schönberg eine Zwölftonreihe aufstellt, was an dieser Stelle zumindest bedeutet, dass die Grenze der Tonalität erreicht ist. Zugleich ist es ein nur noch mühsam gebändigter Ausbruch, der auch an die Grenze der klassischen Ästhetik stößt und Dimensionen aufreißt, die erst in der Musik des 20. Jahrhunderts eingelöst werden.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.