Im Juni 1788, mehr als achtzehn Monate nach der Prager Symphonie (KV 504), komponiert Mozart die Symphonie in Es-dur KV 543, diesmal wieder mit Menuett, als erste einer Trias von drei letzten Beiträgen zu dieser Gattung, die alle ohne äußeren Anlass und auch ohne Aussicht auf eine Aufführung entstehen. Vermutlich hat Mozart seine letzten drei Symphonien selbst nicht mehr gehört. Es ist viel darüber gerätselt worden, warum Mozart in einer Zeit großer innerer und äußerer Belastungen, in der sein gerade erst erworbener Ruhm in Wien schon wieder zu verblassen begann, freiwillig derartige kompositorische Anstrengungen auf sich nahm, die ja dann sein Bedeutendstes auf dem Gebiet des Symphonischen hervorbrachten: War es die pure Herausforderung des Gekränkten an sich selbst oder womöglich doch der Versuch, mit aller Kraft sich an erfolgreichen symphonischen Vorbildern zu orientieren? Zweifellos war die zweite Möglichkeit durch die Publikation von Joseph Haydns sechs Pariser Symphonien von 1787 gegeben. Und es ist wohl kein Zufall – Ludwig Finscher wies erst unlängst darauf hin –, dass die ersten drei Pariser Symphonien Haydns dieselben Tonarten verwenden wie die letzten drei Mozarts, nämlich C-dur, g-moll und Es-dur. Wie schon bei seinen sechs Streichquartetten der Jahre 1782 bis 1785, die Mozart ausdrücklich seinem Vorbild und väterlichen Freund Haydn widmete (gedruckt 1785), wäre Haydn erneut das Vorbild für Instrumentalkompositionen Mozarts, diesmal der erfahrene und erfolgreiche Symphoniker Haydn. Diese Vermutung wird auch durch die konkrete Gestalt der Es-dur-Symphonie bestätigt. Eine langsame Einleitung findet sich auch in Haydns Es-dur-Symphonie (Hob.I: 84), noch deutlicher ist der Haydnsche ‚Ton‘ im Finalsatz, der die tänzerische Heiterkeit, die Experimentierfreude und den trockenen Humor Haydnscher Schlusssätze trefflich imitiert.
Dennoch bleibt insgesamt, wie in den Streichquartetten, die Annäherung an Haydn auf Äußerliches beschränkt, da Mozarts Musik auch hier zu deutlich von konkreten Vorstellungen, von opernhaften, dramatischen Gesten und Charakteren geprägt ist, und von jener „Theaterhaltung“, die auch in den Instrumentalwerken den Gegenstand seiner Musik, den leibhaftigen Menschen in all seinen Möglichkeiten, niemals aus dem Auge verliert. Die reine symphonisch-experimentelle Struktur Haydns ist Mozarts Sache nicht. So vermittelte auch diese Symphonie den Deutern allerlei bildhafte Inspiration, insbesondere der mit einer würdevollen langsamen Einleitung versehene Kopfsatz: H. C. Robbins Landon spürte „spätherbstliche Reife“, während Hermann Kretzschmar sogar „Mozarts Eroica“ ausmachen wollte, am häufigsten registrierte man „hochgestimmtes, schweres Pathos“ (Hermann Abert), das die opera seria-artigen mächtigen Akkorde des Adagios anschlagen und das die Freimaurerwelt seiner späteren Oper Die Zauberflöte ankündigt. Durch die Nacht des dunklen Ritus führt der Weg über eine fahle Überleitung ins Allegro-Reich echter Brüderlichkeit und Menschlichkeit. Und selbst im Gesangsthema des friedlichen Allegro-Hauptteils entdeckte Alfred Einstein Freimaurerisches, entdeckte er „jene ‚Bindungen‘, die freimaurerische Brüderlichkeit symbolisieren“. Feierliches, strenges Pathos verströmt auch der Andante-Satz in der für Mozart seltenen Tonart As-dur: das aus einem winzigen Motiv entwickelte, sehnsüchtig aufsteigende Hauptthema mündet in einen dreimal mahnend klopfenden Hochton, der dem Ganzen einen zeremonienhaften, rituellen Anstrich gibt. Doch auch hier, in der vergleichsweise förmlichen Atmosphäre, gibt es, wie so oft bei Mozart, überraschende Eintrübungen oder plötzliche emotionale Ausbrüche wie in der f-moll-Episode, die spüren lassen, wie schmal zu jener Zeit bereits der Grat geworden ist, der Hoffnung und Trost von Schmerz und Verzweiflung trennt.
Attila Csampai