Symphonie D-dur KV 504 (Prager)

Zurück
t1 Konzertführer
Wolfgang Amadeus Mozart
Symphonie D-dur KV 504 (Prager)

Die sogenannte Prager Symphonie – die Bezeichnung stammt nicht von Mozart – ist die einzige unter den vier letzten großen Symphonien Mozarts, von der wir Ort und Datum der Uraufführung kennen. Mozart vollendete die Symphonie am 6. Dezember 1786 in Wien (Eintragung ins eigene Werkverzeichnis). Es ist nicht sicher, ob er schon zu diesem Zeitpunkt an die Uraufführung in Prag dachte, jedenfalls wurde er kurz danach dorthin eingeladen, seine opera buffa Le nozze di Figaro zu dirigieren. Aus diesem Anlass fand im Prager Ständetheater auch die Uraufführung der neuen Symphonie statt (19. Januar 1787), in genau dem Theater, das auch ein dreiviertel Jahr später der Schauplatz der Uraufführung des Don Giovanni war. Die Symphonie steht also zwischen Figaro und Don Giovanni, und das hört man ihr auch an. Es sind sogar – eine Seltenheit bei Mozart – Skizzen dazu überliefert, die beweisen, wie hart Mozart daran gearbeitet hat. Tatsächlich markiert die Prager Symphonie einen deutlichen qualitativen Sprung im Symphonieschaffen Mozarts. Ihr außerordentlicher Rang wurde vorn Prager Publikum auf Anhieb verstanden. Dennoch rätseln die Betrachter bis heute an ihrer Dreisätzigkeit. Ob man nun, wie Hermann Kretzschmar, meint, das Menuett fehle, weil die Stärke und Echtheit der angespannten Gemütskräfte keinen Tanz duldeten, oder ob man, mit Alfred Einstein, gern auf das Menuett verzichtet, „weil in drei Sätzen alles gesagt ist“ – eines ist gewiss: die Dreisätzigkeit ist kein Rückgriff auf die italienische Opern-Sinfonia. Es handelt sich vielmehr um eine ganz neuartige Werkkonzeption, drei sehr dicht gearbeitete Sonatensätze ohne stilistisches Gefälle, das durch ein Menuett unweigerlich hinzukäme, nebeneinander zu stellen.

Der erste Satz ist so streng gearbeitet, dass dem Seitenthema nur Episodencharakter zufällt. Das dramatisch-pulsierende Hauptthema wächst aus unruhigen Synkopen erst heraus und gemahnt an das Allegro der (späteren) Zauberflöten-Ouvertüre. Wird es bereits in der ausgedehnten Exposition als kontrapunktisches Verhältnis mehrerer eigenständiger Motive vorgestellt, also gleichsam durchführungsartig, dann beherrscht es vollends und ausschließlich die gewaltige Durchführung, die „ernsteste, kriegerischste Durchführung in Mozarts Schaffen“ (A. Einstein), in der wirklich kein Platz mehr bleibt für das episodische, kantable Seitenthema. Die beiden Themen vertreten übrigens die zwei charakteristischen musikalischen Prinzipien des späteren 18. Jahrhunderts: den Gegensatz von ‚Galantem‘ und ‚Gelehrtem‘. Nur ist das ‚Gelehrte‘ bei Mozart keine trockene Handhabung des bereits überlebten Kontrapunkts, sondern nichts weniger als dessen dramatische Umdeutung. Wieder zeigt sich Mozarts „Theaterhaltung“ (Thrasybulos Georgiades), seine singuläre Fähigkeit, auch in der Instrumentalmusik musikalische Menschendarstellung zu verwirklichen. Wie in seinen Opernensembles, so treten auch hier die einzelnen Motive ‚frei‘ ins Geschehen ein und agieren mit- und gegeneinander. Aus dem Zusammenprall entsteht die dramatische Spannung. Mozart vermenschlicht gewissermaßen den Kontrapunkt. Im (langsameren) Mittelsatz geht Mozart sogar noch einen Schritt weiter: Er verschmilzt, wie Alfred Einstein es nannte, „Kantabilität mit polyphoner Haltung“; eine noch subtilere Art, das ‚Gelehrte‘ den Hörer nicht merken zu lassen. Der Satz ist alles andere als ein Intermezzo. Und das Finale lässt den konventionellen Kehrauscharakter, wie ihn selbst noch Haydn pflegte (wenn auch nicht so häufig), weit hinter sich. Wie im ersten Satz, so sinkt auch hier das kantable Seitenthema zur Episode herab und fehlt auch wieder in der Durchführung. So steht die Prager Symphonie in Mozarts Zeit auf einsamer Höhe und lässt bereits den kontrapunktischen Triumph der letzten Symphonie ahnen.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.