Symphonie C-dur KV 551(Jupiter)

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t1 Konzertführer
Wolfgang Amadeus Mozart
Symphonie C-dur KV 551(Jupiter)

Mit der C-dur-Symphonie KV 551 setzt Mozart bereits 1788, also drei Jahre vor seinem Tod, den gewaltigen Schlusspunkt seines umfangreichen symphonischen Oeuvres, das 41 Werke zählt. Und es gibt wohl keine andere letzte Symphonie eines Komponisten, die die Rolle des Abschließens, Zusammenfassens und Vollendens so ausdrücklich wahrnehmen und so vollkommen gestalten würde wie dieses Werk. Es spannt noch einmal den ganzen musikalischen Kosmos Mozarts in gedrängter Form vor uns auf und trägt darum das von unbekannter Hand später hinzugefügte Attribut Jupiter nicht ganz zu Unrecht. Es weist einiges darauf hin, dass Mozart diese Symphonie von vornherein im Bewusstsein komponierte, ihr keine weitere mehr folgen zu lassen.

Bereits die Wahl der mittleren vereinigenden Tonart C-dur mag hierfür ein Indiz sein: Sie bekundet Mozarts Absicht, in dieser Gattung noch einmal all sein Können zum Einsatz zu bringen und von der Mitte des Tonsystems aus das gesamte musikalische Ausdrucksspektrum zu entfalten. Und da C-dur die Tonart ist, die von sich aus am wenigsten eine bestimmte emotionale Haltung einnimmt, ist sie am besten dazu geeignet, die gesamte Palette musikalischer Affekte zu realisieren: Auf Grund ihrer neutralen Stellung zwischen den Tonartenkreisen gewährt sie am leichtesten den Zugang zu beiden. Insofern ist die Jupiter-Symphonie, die in allen Sätzen erstaunlich weit in beide Tonartenkreise eindringt, auch Mozarts letzter Appell an die ausgleichenden, zentripetalen Kräfte der Tonart C-dur.

Gleich die ersten Takte der Symphonie bergen den Widerspruch in sich, der das ganze Werk bestimmt: den Gegensatz zwischen dem ‚Außen‘ und dem ‚Innen‘ des Menschen, zwischen Aktion und Passion; zwischen Macht und Ohnmacht, und es gibt kein anderes klassisches Thema, das auf so engem Raum derart gegensätzliche musikalische Haltungen verwirklicht. Zuerst also die dreimal unerbittlich aufschlagende, männlich-drohende Schleiferfigur, die bemerkenswert häufig in Mozarts Werk auftritt, und irdische Macht und Stärke, aber auch drohende Gewalt und den unausweichlichen Zwang verkörpert... und danach, unvermittelt kontrastierend, das weiblich auftaktige, offene, zu uns hingewendete, klagende Streichermotiv, das schmerzlich-unerfüllte Empfindung ausdrückt. Mozarts Genialität zeigt sich hier vor allem darin, wie mühelos es ihm gelingt, diesen schier unvereinbaren Charaktergegensatz, diese Doppelgeschlechtlichkeit, zu thematischer Einheit zu formen und so zu völliger Harmonie zu vereinen, dass das diskontinuierliche Thema bereits beim ersten Hinhören ausgewogen, homogen, ja ganz selbstverständlich erscheint. Auch die Mittelsätze enthalten eine bemerkenswerte und selbst für Mozart ungewöhnliche Fülle kontrastreich-komplexer Substanz und sind so streng, so überaus konzentriert gearbeitet, dass sie den Charakter letzter Worte gewinnen. Das Andante cantabile etwa, eine eigenartige Mischung aus Dacapo-Arie, Sonatensatz und Rondo, entfacht unter der äußeren Hülle einer lang ausgesponnenen Gesangslinie einen wahren Sturm unterschiedlichster Gefühle: es ist nicht mehr der Tradition des einheitlichen Affekts verpflichtet, sondern gibt einen kontrastreichen Gefühlsverlauf wieder, der der Realität menschlichen Empfindens mehr entspricht als der stehende Affekt. Wir haben es hier, wie auch in den späten Opernarien Mozarts, mit innerer dramatischer Aktion zu tun.

Der gewaltige Finalsatz steht außerhalb jeder Konvention. Es ist der erste symphonische Schlusssatz, der den Kopfsatz an Bedeutung übertrifft. Der Form nach ist es keine Fuge, wie immer wieder behauptet wurde, sondern ein Sonatensatz mit mehreren fugierten Teilen, in denen moderne Durchführungstechnik und traditionelles Fugenverfahren kompliziert miteinander verwoben sind und zu ganz neuen, kühnen Klangwirkungen führen. Johann Nepomuk David fand heraus, dass alle Haupt- und Nebenthemen, Übergangsgruppen und Nebensätze der Symphonie aus dem cantus firmus-artigen Hauptthema des Schlusssatzes abgeleitet sind. Noch brisanter ist aber, dass dieses Finalthema aus zwei verschiedenen musikalischen Motiven zusammengesetzt ist, die – wie im Hauptthema des Kopfsatzes – zwei gegensätzliche musikalische Prinzipien verkörpern: der cantus firmus-artige Vordersatz steht für das kontrapunktische Prinzip der Vergangenheit, während der tänzerisch-bewegte, bühnenhaft agierende Nachsatz, der einer opera buffa entnommen sein könnte, das akkordisch-homophone moderne Prinzip vertritt. Man könnte sogar sagen, dass in diesem achttaktigen Gebilde sowohl die metaphysische als auch die realmenschliche Seite der Musik Mozarts, also ihre überirdische wie irdische Macht, zu universaler Einheit verbunden ist. Wir erleben hier womöglich zum letzten Mal eine umfassende, ganzheitlich-universale Musikauffassung, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, der ganze leibhaftige Mensch, im Widerstreit seiner Gefühle, in der Diskontinuität seiner Existenz und in der lebendigen Vielfalt seiner Bestimmungen. Darum ist diese Musik auch nicht einem besonderen Affekt verpflichtet, weist keine emotionale Grundtendenz auf; sie ist also nicht nur heiter oder nur traurig, nicht eher optimistisch oder eher verzweifelt, sondern dies alles zusammen: sie ist zutiefst menschlich.
Attila Csampai

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.