Klarinettenkonzert A-dur KV 622

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t1 Konzertführer
Wolfgang Amadeus Mozart
Klarinettenkonzert A-dur KV 622

Mit dem Klarinettenkonzert A-dur KV 622 komponiert Mozart Anfang Oktober 1791, zwei Monate vor seinem Tod, sein letztes Solokonzert: Adressat ist der Logenbruder und Klarinettist an der Wiener Hofoper Anton Stadler. Und obwohl Mozart für das von ihm so sehr geliebte Blasinstrument nur dieses eine Konzert verfasste, schuf er damit das wohl bedeutendste, tiefsinnigste Werk der gesamten Gattung. Neuere Forschungen haben zwar ergeben, dass Mozart es ursprünglich nicht für die A-Klarinette, sondern für die Bassettklarinette, eine Eigenkonstruktion Stadlers, konzipierte, doch gibt es die umstrittene Fassung für die A-Klarinette immerhin schon seit 1801. Seither hat die normale Klarinette das Werk endgültig zu ‚ihrem‘ Konzert gemacht.

Die Partitur dieses typischen Spätwerks belegt nicht nur ein weiteres Mal die überragende kompositorische Meisterschaft Mozarts, eine kaum noch zu überbietende Dichte und Innerlichkeit des musikalischen Geschehens, sondern enthüllt auch seine tief sinnliche, ja erotische Beziehung zum Soloinstrument, dessen Charakter er genau trifft. Mozart behandelt die Klarinette – die in ihren Stimmlagen die weiblichen Stimmlagen vom Sopran bis zum tiefen Alt umfasst – wie etwas Menschliches, Beseeltes und haucht ihr Leben ein, indem die verschiedenen Stimmlagen als Affektbereiche ein und desselben mehrschichtigen Charakters begreift. Während die beiden ersten Sätze wie zwei große Arien wirken, die unter einem riesigen musikalischen Spannungsbogen eine Fülle verschiedener, teils auch gegensätzlicher musikalischer Gedanken zu einer Einheit verschmelzen, weist der dritte Satz spielerisch-offene Struktur und maskeradenhafte Gestik auf, wobei die diversen Register des Soloinstruments – teils untereinander, teils mit dem Orchester – sich in scherzhafte Dialoge verwickeln und durch häufigen Lagen- und Funktionswechsel (einmal sogar als Bassinstrument!) Versteckspiel und Verwechslungskomödie entstehen. Und dennoch können weder die Verspieltheit des Rondos noch mannigfaltig eingestreute heitere Gedanken in allen Sätzen die tiefgründige Trauer, die das ganze Werk von innen her erfasst, verdecken. Dieser Grundzug des Mozartschen Spätwerks, nämlich das Überhandnehmen von traurigen Gedanken und schmerzlichen Wendungen selbst in den ‚heiteren‘ Dur-Tonarten, kennzeichnet schon die beiden letzten Klavierkonzerte (D-dur KV 537 und B-dur KV 595). Stendahl nannte das die „Melancholie“ Mozarts, während Arthur Schurig einen Ausspruch Giodano Brunos anwendete: „In tristitia hilaris, in hilaritate tristis“ („In Heiterkeit traurig, in Traurigkeit heiter“). In diesem Punkt pflichtete sogar Georgi W. Tschitscherin Schurig bei und umschrieb es mit eigenen Worten als den „unentwegt, bohrenden, tief innen sitzenden, dabei nicht selten hinter einem sichtbaren Lächeln lauernden Schmerz, mit einer wahrnehmbaren seltsamen Klarheit über innerem Dunkel“.
Attila Csampai

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.