Geistliche Konzerte

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t1 Konzertführer
Wolfgang Amadeus Mozart
Geistliche Konzerte

Die geistliche Dimension der Salzburger Hofhaltung, deren Fürst gleichzeitig Erzbischof war, ließ Mozart schon recht früh und intensiv mit Vertonungen des Ordinarium-Missae-Textes umgehen. Im Gegensatz zu den Proprium-Teilen, die von Sonntag zu Sonntag wechseln, umfasst das Ordinarium die das ganze Jahr über gleichbleibende Teile: I. Kyrie (Bitte um Schuldvergebung), II. Gloria (Gotteslob und – im Mittelteil – wiederum Erbarmensbitte), III. Credo (Bekenntnis der dogmatischen Glaubensinhalte), IV. Sanctus (Gotteslob), V. Benedictus (Preis Jesu Christi), VI. Agnus Dei (Bitte um Vergebung und Friedensbitte). Die Notwendigkeit, den immer gleichen Text zu vertonen, der noch dazu spezifische Probleme in sich birgt (vor allem in den dogmatischen Bekenntnissen), stellt eine enorme Herausforderung an die gestalterische Kraft eines Komponisten dar.

Nach vielen früheren Messvertonungen zu verschiedensten Anlässen entstand 1779 die sogenannte Krönungsmesse KV 317. Sie ist eine jener C-dur-Messen aus dem Archiv der Wiener Hofmusikkapelle (neben KV 317 noch KV 258 und KV 337), die bei Kaiser und Königskrönungen sowie anderen höfischen Anlässen aufgeführt wurde. Die Vermutung, der Titel habe mit der jährlichen Wiederkehr des Krönungsfestes des Gnadenbildes von Maria Plain bei Salzburg zu tun, ist eine fromme Legende. Vielmehr erklang das Werk zum ersten Mal im März 1779 zum Osterhochamt im Salzburger Dorn. Das erklärt auch den feierlichen Charakter der Messe: Das Prinzip des ‚Mächtigen, Erhabenen‘ als eine Erscheinungsform Gottes wird in durchaus irdischer Huldigungsmanier durch kraftvolle, breite Tutti-Anrufungen zu Beginn des Gloria, des Sanctus und des Kyrie beschworen. Den dogmatischen Abstracta des Credo,– dem paradoxen Versuch, das Unsichtbare, die begriffliche Wirklichkeit Übersteigende in Worte zu fassen – stellt Mozart die ‚absolute‘ Form eines Rondos gegenüber: Das Hauptthema, Oktavenrepetitionen auf einem Ton, stellt eine Nähe zum uralten ‚psalmodischen Rezitieren‘ her, kann aber auch als Sinnbild der Einheit Gottes verstanden werden. Bei Et in unum Dominum Jesum Christum setzt das erste Zwischenspiel ein mit seiner Moll-Eintrübung und stetem Forte-Piano-Kontrast. Die Anrufung Genitum non factum bringt die erste Wiederholung der Oktavrepetitionen, eine mit dem konventionellen Signum der ‚Katabasis‘, einer stufenweisen Abwärtsbewegung, die Niederkunft Gottes auf die Erde bildhaft dargestellt wird. Das folgende Zwischenspiel, Zentrum aller Credo-Vertonungen, Et incarnatus est beschwört die intime Szenerie der Geburt Christi, setzt Zartheit, Schlichtheit des Affekts dem unmittelbar folgenden Crucifixus, der Karfreitags-Szenerie am Kreuzeshügel, entgegen. Dann setzen wieder die virtuosen Spielfiguren der Streicher sowie das Rondo-Thema ein: Et resurrexit. Die Wiederholung des ersten Zwischenspiels (Et iterum venturus est) wird durch ein heiteres Sopransolo erweitert (Et in spiritum sanctum). Weitaus leichter ließ sich kompositorisch ansetzen bei der Darstellung des ‚menschlichen, irdischen‘ Aspekts Gottes, verkörpert in der Gestalt Jesu Christi: Solostimmen, das individuelle ‚Hurnanurn‘, gestalten neben der lncarnatus-Szenerie einige Gloria-Abschnitte, den Mittelteil des Kyrie, das Benedictus und den Beginn des Agnus, der besonders innig instrumentiert ist.

Im zweiten Teil des Agnus wiederholt Mozart die Musik des Kyrie und schafft so einen Rahmen, der die im liturgischen Vorgang zeitlich getrennten Messsätze zusammenschließt. Die gewaltige c-moll-Messe KV 427 hat Mozart selbst nie fertiggestellt. Während Kyrie, Gloria, Sanctus und Benedictus ganz bzw. weitgehend vollendet sind, blieb das Credo unvollendet, das Agnus fehlt völlig. Das Werk – auf Grund eines nicht ganz geklärten Gelübdes Mozarts in Zusammenhang mit der Eheschließung und einer Krankheit Constanzes 1782/83 zum Teil in Wien entstanden – wurde in dieser Form in der Stiftskirche St. Peter in Salzburg im Oktober 1783 aufgeführt. Die Stiftskirche unterstand nicht dem Fürsterzbischof, sodass Mozart – nach dem erst kurz zurückliegenden Bruch – den Kontakt mit seinem ehemaligen Dienstherren diplomatisch-elegant vermeiden konnte. Vermutlich konnte bei dieser Aufführung das Credo entfallen (weshalb Mozart die Arbeit daran abbrach) und das Agnus Dei aus einer anderen Messvertonung oder der Musik des Kyrie ersetzt werden. Die auskomponierten Teile weisen jedoch eine zeitliche und inhaltliche Dimension auf, die das Fragmentarische (allzumal in einer Konzertaufführung) vergessen lässt: Schon das stark chromatische Kyrie verbreitet einen tiefen Ernst, der der fugenmäßigen Verschränkung der Singstimmen und dem – schon zu Mozarts Zeit – altertümlichen Thementypus entspringt. Hier zeigt sich besonders deutlich der Einfluss der Oratorien Händels und der Fugenkompositionen Bachs, die Mozart damals in der Bibliothek van Swietens in Wien intensiv studiert hat. Das Christe eleison als virtuose Sopranarie steht dazu in denkbar größtem Gegensatz. Die Fähigkeit, extreme Gegensätze zu einer Einheit zu binden, finden wir auch im großdimensionierten Gloria ausgeprägt: Im prunkvoll einsetzenden Gloria in excelsis fällt die ungewöhnliche Vertonung des Bonae voluntatis auf. Diesem Ausdruck von Gedrücktheit und indifferentem Schmerz folgt im Laudamus te ein arienhaftes, freundlich-virtuoses Sopransolo, dessen Licht vom charakteristischen Quintauftakt ausstrahlt. Barockes Pathos mit punktierten Noten und starker Chromatik erfasst das Gratias agimus. Ebenfalls auf ein barockes Modell, dem Wechsel von (d)-moll-Akkord und vermindertem Septakkord (dieses Modell sollte im Requiem größte Bedeutung erlangen) greift das Domine Deus der beiden Sopransoli zurück. Nach dem wuchtigen Qui tollis und dem Quaniam für das Soloterzett wirkt das Jesu Christe-Adagio wie ein Präludium zur großartigen Schlussfuge Cum sancto spiritu. Der letzte von Mozart geschriebene Satz ist das Benedictus, ein archaisch anmutendes, mit barocker Sequenzierungstechnik arbeitendes Stück für das Solistenquartett. Seit 1985 liegt eine Rekonstruktion der unvollendeten Teile dieser Messe von Helmut Eder vor.

Nach dieser Messe schrieb Mozart keine Kirchenmusik mehr bis zu seinem Requiem (1791) bzw. dem kurz zuvor entstandenen Ave Verum KV 618. Dieses kleine Stück entstand für Fronleichnam 1791 für den Chorregenten Anton Stoll in Baden bei Wien, zu einer Zeit, als Mozart an der Fertigstellung der Zauberflöte arbeitete: Vieles von der feierlich-ruhigen Bewegtheit der Priestermusik dieses Werkes ist in das Ave Verum ebenso eingeflossen wie der Duktus der Freimaurerkompositionen dieser Zeit. Es gehört zu jenen Kostbarkeiten der Kirchenmusik, die beinahe ‚im Vorübergehen‘ entstanden sind, wie wohl auch das Laudate Dominum aus den Vesperae solennes de Confessore KV 339 (1780), die Vertonung des Psalms 116 Lobet den Herrn, alle Völker, ein in getragener Melodik mit reicher Vorhaltsbildung geschriebener Satz für Solosopran und Chor. Ganz dem italienischen Geist verpflichtet ist die Solomotette Exultate, jubilate KV 165, die Mozart im Januar 1773 für den Mailänder prima uomo, den Sopran-Kastraten Rauzzini, komponiert hat und die in ihrer dreiteiligen Anlage höchste sängerische Anforderungen stellt. Nahezu volkstümlich geworden ist daraus das Finale, das Alleluia. Reizvolle Miniaturen sind die insgesamt 17 Kirchensonaten, die Mozart von 1771/ 72 bis 1780 komponiert hat, kurze, einsätzige Stücke für Violinen und Basso continuo.

Mozarts letztes, von ihm nicht mehr vollendetes Werk, sein Requiem KV 626 zählt zu den legendenumwobenen Werken der Musikgeschichte. Dies umso mehr, als Mozart selbst in seinen Briefen darauf nicht Bezug nimmt, die Nachwelt also primär auf die – zum Teil nicht nachprüfbaren – Erinnerungen der Zeitgenossen verwiesen wird, die noch dazu oft erst viele Jahre nach Mozarts Tod niedergelegt wurden. Dies hängt wohl auch mit der Diskretion dem Auftraggeber gegenüber zusammen – Franz Graf Walsegg-Stuppach –, der die Angewohnheit hatte, Werke bei namhaften Komponisten zu bestellen, diese dann abzuschreiben und als seine eigenen auszugeben. So war es auch im Fall des Requiem, das der Graf für seine verstorbene Frau bestimmt hatte und das vermutlich im Juni 1791 ein Mittelsmann des Grafen – der lege ndäre ‚graue Bote‘ – bei Mozart in Auftrag gab und dabei bereits ein Teil des Honorars vorauszahlte – natürlich ohne die wahre Absicht bekanntzugeben.

Mozart begann neben der Fertigstellung der Zauberflöten-Partitur mit der Komposition des Requiem, unterbrach die Arbeit dann, um ab Mitte Juli die Oper La Clemenza di Tito zu schreiben, die im September aufgeführt wurde. Die nächsten beiden Arbeitsphasen erstreckten sich bis unmittelbar vor Mozarts Tod am 5. Dezember. Da Mozart nur die Teile Introitus, Kyrie beinahe vollständig sowie die Sequenz (Nr. 1 bis zum Anfang von Nr. 6, dem Lacrimosa) und das Offertorium in einer Art ‚Gerüstsatz‘ (Singstimmen und Bass, mit den wichtigsten Instrumentationsangaben) – und eine Reihe ‚Zettelchen‘ (Skizzenblätter) auf seinem Schreibpult hinterlassen hatte, musste das Werk von fremder Hand fertiggestellt werden, um dem bereits vorausbezahlten Honorar gerecht zu werden. Mozarts Witwe Constanze beauftragte neben Franz Jakob Freystädtler und Joseph Eybler, die bald aufgaben, Franz Xaver Süssmayr, der das Lacrimosa (Nr. 6) fertigschrieb, Sequenz und Offertorium fertig instrumentierte sowie die Teile Sanctus, Benedictus, Agnus Dei komponierte und die Communio nach der Musik des Introitus und Kyrie gestaltete. Ob Süssmayr Sanctus, Benedictus, Agnus Dei und Communio, ‚völlig neu‘ komponierte oder Skizzenmaterial Mozarts (und in welchem Umfang?) einbinden konnte, wird so lange das –eigentliche – Rätsel des Requiem bleiben, als kein einziges der erwähnten ‚Zettelchen‘ bisher aufgetaucht ist. Seltsamerweise hat Süssmayr jene einzige bis heute bekannte Skizze Mozarts (für eine Schlussfuge des Lacrimosa), die der Musikologe Plath identifizieren konnte, nicht verwendet. Die von Süssmayr komponierten Teile weisen zum Teil eine Kraft der Ideenfindung auf, die dem Kleinmeister wohl nicht zuzutrauen ist, wohl aber auch viel Kleinmeisterliches, das Mozart so nie hätte gelten lassen. Trotzdem hat die Süssmayrsche Ergänzung den Vorteil, noch aus einer lebendigen Tradition zu schöpfen, die uns Nachgeborenen fehlt.
Gerhard Eduard Winkler

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.