Symphonien Nr. 3-5

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t1 Konzertführer
Sergei Prokofjew
Symphonien Nr. 3-5

Sergej Prokofjews dritte Symphonie c-moll op. 44 entstand im Jahre 1928, als der Komponist in Frankreich lebte (er kehrte 1932 in die Sowjetunion zurück). Die Symphonie ist kein völlig neues Werk, sondern entstand im Kontext der Oper Der feurige Engel, einer ‚Hexenoper‘, die im mittelalterlichen Köln spielt und deren Handlung und Musik von äußerster Drastik geprägt ist. Da die Uraufführung der Oper inszenatorische Schwierigkeiten bereitete, beschloss Prokofjew, aus dem musikalischen Material eine Suite zu erstellen, ein Plan, der sich schließlich, unabhängig vom Opernstoff, zu symphonischen Dimensionen ausweitete. In seiner Autobiographie schreibt Prokofjew über das Werk: „Die so entstandene dritte Symphonie halte ich für eine meiner wesentlichsten Kompositionen. Ich habe es nicht gern, wenn sie die ‚Symphonie des Feurigen Engels‘ genannt wird. Das hauptsächliche thematische Material wurde vielmehr unabhängig vom ‚Feurigen Engel‘ komponiert. Als es in die Oper einging, nahm es natürlicherweise eine Färbung vom Stoff an, die es beim Übergang von der Oper zur Symphonie wieder verlor, sodass ich möchte, der Hörer nähme die dritte Symphonie einfach als Symphonie ohne jede gegenständliche Vorstellung.“


Wenn Prokofjew einmal unterschied zwischen Musik, „die fähig ist, sogar den führenden Musikern Aufgaben zu stellen“ und „ernsthaft leichter Musik“, so ist die dritte Symphonie eindeutig dem ersten Typus zuzurechnen, ist sie doch eine der experimentellsten und kühnsten Arbeiten des Komponisten. Abgesehen vom Ruhepol des zweiten Satzes entwickelt sie dynamische Energien nahe an der Grenze zur Brutalität. Darin zeigt sich nicht zuletzt der szenische Charakter der Symphonie, dem Hörer drängen sich Bilder auf; zugleich aber bewahren sich die musikalischen Strukturen auch ihre Autonomie als ein Experiment mit Formen grenzüberschreitender Dynamik. Als der Pianist Swjatoslaw Richter das Werk zum ersten Mal hörte, schrieb er: „Nichts Ähnliches hatte ich im Leben beim Hören von Musik empfunden. Sie wirkte auf mich wie ein Weltuntergang.“


Im ersten Satz dominieren herbe Marschmotive und dunkel instrumentierte choralartige Melodien. Sie wirken fetzenhaft zusammengestellt, grelle Farben prallen aufeinander. Am Schluss versinkt der Satz brodelnd in tiefsten Orchesterregionen.
Der zweite Satz ist der konventionellste der Symphonie, gleichsam ein sakraler Ruhepol vor dem Hexenritt des Scherzos, dessen Streicherglissandi und flirrende Motivbruchstücke jeglichen thematischen Charakter abgestreift haben. Lediglich im Trioteil gibt es konkrete melodische Gestalten, doch schnell kehrt der Satz wieder zum grellen Flackern des Scherzos zurück.
Das Finale hat resümierenden Charakter: Es verarbeitet collagenartig Thementeile der vorangegangenen Sätze, wodurch sich letztlich ein noch schrofferer Eindruck als im ersten Satz ergibt. In die wegen der Überlagerungen bisweilen chaotisch anmutenden Abschnitte sind dabei gleichsam ruhigere ‚Ermattungspartien‘ eingeschoben. Am Schluss steht ein letztes ungewöhnliches Aufbäumen mit nahezu gewaltsamen Zügen. Die Konsequenz, mit der Prokofjew diese in seinem Werk durchführt, mag dazu beigetragen haben, dass die dritte Symphonie heute selten in Konzerten zu hören ist.


In der Entstehungsgeschichte vergleichbar, im Charakter jedoch diametral entgegengesetzt ist die vierte Symphonie C-dur op. 47 (nach Umarbeitung op.112). Auch dieser Symphonie liegt ein Bühnenwerk zugrunde, das 1928 geschriebene Ballett Der verlorene Sohn. In die neue Symphonie, an der Prokofjew in den Jahren 1929/30 arbeitete, floss vor allem musikalisches Material ein, das im Ballett keine Verwendung mehr fand. Obwohl Prokofjew das Werk sehr schätzte, fand es kaum Anklang beim sowjetischen Publikum. So erstellte der Komponist 1947 eine Neufassung, die hauptsächlich im ersten Satz wichtige Ergänzungen aufweist. Heute ist fast ausschließlich diese zweite Version zu hören.


Die vierte Symphonie ist sehr ausgeglichen im Charakter, sie wirkt moderat und zurückgezogen. Das drei Sätze lang vorherrschende gemäßigte Tempo (Andante – Andante tranquillo – Moderato quasi allegretto) wird bewegter erst im vierten, einem zunächst etwas verhetzt scheinenden, dann jedoch sich zuversichtlich lösenden Satz. Die ganze Symphonie ist geprägt von einer Fülle an thematischen Einfällen, fast einem Übermaß an Ideen. Charakteristisch für den ersten Satz ist ein feierlicher bis hymnischer Ton mit lyrischen Einschüben, der zweite besticht durch seine in mildes Licht getauchte Anmut, formal durch einen zwingenden Bogenbau. Nach dem verhaltenen dritten Satz führt das Finale schließlich zu einem freudigen, wenngleich (dem Grundcharakter der Symphonie gemäß) nicht überschwänglichen Durchbruch.


Die fünfte Symphonie B-dur op.100 entstand fast fünfzehn Jahre später, im Kriegsjahr 1944. Prokofjew war seit einem Jahrzehnt wieder Bürger der Sowjetunion, eine Zeit, in der sich auch sein Kompositionsstil beträchtlich gewandelt hatte. Nicht mehr Provokation stand im Zentrum seiner Musiksprache, sondern ein Zug zu breiterer Verständlichkeit. Prokofjew hat diesen Wandel auch theoretisch begründet und – in Anlehnung an die Maximen des ‚sozialistischen Realismus‘ – die Notwendigkeit von leichterer Musik betont, ohne die kompositorische Qualität zu vernachlässigen oder gar ins Triviale abzugleiten.


Die fünfte Symphonie ist ein Hauptwerk dieses neuen Stils, der Prokofjews Spätwerk kennzeichnet. Sie ist ganz spontan zugänglich und wahrt doch in ihrer Fülle des melodischen Einfalls höchstes kompositorisches Niveau. Charakteristisch für das Werk ist die eigenwillige Harmonik, die durch Tonartenwechsel innerhalb der Themen und geschärfte Intervalle eine eindeutige tonale Zuordnung erschwert. Die Symphonie ist sehr durchsichtig instrumentiert, geprägt von häufigen Farbwechseln; der formale Aufbau entspricht den klassizistischen Normen. Seit der Uraufführung im Jahre 1945 zählt die fünfte Symphonie zu Prokofjews meistgespielten Werken.


Schon das erste Thema deutet gleichsam programmatisch an, wie Prokofjew mit lntervallrückungen arbeitet. Zunächst nämlich erscheint es in Flöten und Fagott, dann in ‚ungebrochener Gestalt‘ in B-dur, bei der Wiederholung in den Streichern, um einen Halbton gestaucht, sodass das Thema in A-dur schließt. Wie ein Motto durchzieht dieses Verfahren die ganze Symphonie.
Der erste Satz (Andante) bleibt relativ verhalten, bestimmend ist das Moment des Diskursiven, des abwägenden Arbeitens mit Instrumentalfarben, Harmonien und Kontrapunktik. Eine ähnliche Ruhe herrscht auch im dritten Satz (Adagio), wo – wie es der Prokofjew-Biograph Israil Nestjew einmal beschrieben hat – ein getragen „betrachtendes“ Thema an konflikthaften und tragischen Situationen vorbeiführt.


Im zweiten und vierten Satz, einem Scherzo und einem Rondofinale, tritt der melodische Witz Prokofjews wohl am stärksten in Erscheinung. Vielgestaltig ist der zweite Satz angelegt, in immer neuen Perspektiven und Klangfarben tauchen die Themen über einem ‚marcato‘ gespielten Begleitmotiv auf, auch das Klavier wird als neue Klangfarbe einbezogen. Ähnliche Prinzipien kennzeichnen auch den vierten Satz. Das Hauptthema ist spontan eingänglich trotz des komplexen harmonischen Aufbaus mit Wechsel zwischen B-dur- und G-dur-Bereichen. Der Satz beeindruckt durch die Fülle der musikalischen Gedanken wie durch seine rhythmische Vielfalt. Gerade das unkompliziert Wirkende ist dabei außerordentlich differenziert ausgearbeitet; tänzerischer Elan und künstlerisches Vermögen gehen eine glückliche Verbindung ein.
Reinhard Schulz

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.