Kompositionen für Violoncello und Orchester

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t1 Konzertführer
Sergei Prokofjew
Kompositionen für Violoncello und Orchester

Gemessen an den Klavier- und Violinkonzerten stehen die drei Kompositionen für Violoncello und Orchester von Prokofjew eher im Hintergrund, das mag auch an den Entstehungsumständen liegen, vor allem wohl aber daran, dass sie Prokofjew letztendlich auf einen bestimmten Instrumentalisten zugeschnitten hat, so gänzlich dessen technischen Fähigkeiten und individueller Meisterschaft gefolgt ist, dass sich kaum andere Interpreten – trotz vereinfachender Alternativangebote innerhalb der Solopassagen – an die drei Stücke heranwagen. Der Instrumentalist, der selbst auch mit in die Kompositionen eingegriffen hat, ist Mstislaw Rostropowitsch, und die drei Werke sind im Einzelnen: das Konzert für Violoncello e-moll op. 58, das Symphonische Konzert für Violoncello und Orchester e-moll op. 125 und das Concertino für Violoncello und Orchester g-moll op. 132.

Die größte und entscheidendste Rolle hat Rostropowitsch bei diesem letztgenannten Stück gespielt, das zu den letzten Kompositionen Prokofjews überhaupt gehört. Bei seinem Tod am 5. März 1953 lag nur der zweite Satz im Klavierauszug fertig vor, die beiden Ecksätze in mehr oder weniger ausführlichen Skizzen, die Rostropowitsch im Klavierauszug ergänzte. Der Komponist Dmitri Kabalewsky instrumentierte alle drei Sätze nach den detaillierten Notizen, die Prokofjew hinterlassen hatte, und so wurde das Concertino am 18. März 1960 mit Rostropowitsch als Solisten uraufgeführt. Das kurze Stück – es dauert etwa eine Viertelstunde – fordert alles, was der Instrumentalist geben kann. Bereits im eröffnenden Andante mosso findet sich eine genau fixierte Kadenz, die fast ausschließlich im Violinschlüssel notiert ist, mit Doppelgriffen und Flageolett-Tönen und höchsten grifftechnischen Finessen aufwartet. Dennoch gibt sich das Concertino nicht bedenkenlos blendender Virtuosität hin. Der Orchestersatz weist ähnliche Transparenz und klare, ja abgeklärte Schlichtheit auf, die sich etwa auch in der siebenten Symphonie finden. Lyrischer Ton und melodiöse Kantilenen zeichnen den Mittelsatz, abermals ein Andante, aus, bevor das Schluss-Allegretto dann noch einmal den großen, dramatischen Auftritt des Soloinstruments bringt.

Das erste Violoncellokonzert hatte Prokofjew 1933 noch in Paris begonnen, es dann aber erst, wieder nach Moskau zurückgekehrt, 1938 vollendet. Nach dem Uraufführungsmisserfolg überarbeitete er das Stück, sodass 1940 eine zweite Fassung fertig war, die Prokofjew aber immer noch nicht zufriedenstellte. Nach der Bekanntschaft mit Rostropowitsch machte sich Prokofjew 1950 an eine weitere Überarbeitung, entschloss sich aber dann zu einem ganz neuen Stück aus dem Material des ersten Konzerts, dem Symphonischen Konzert op. 125, das in Zusammenarbeit mit seinem Cellistenfreund 1950 bis 1952 entstand.

Er übernahm die ungewöhnliche formale Anlage mit einem Andante als Kopfsatz, einem schnellen Mittelsatz und wiederum einem getragenen Finale. Auch die Tonart e-moll und Teile des thematischen und motivischen Fundus bezog er aus dem früheren Konzert. Während das Violoncellokonzert von 1933/38 unter den Einfluss des Misserfolgs des Symphonischen Lieds op. 57 nicht nur in der Form, sondern auch in Melodiegebung und musikalischer Ausgestaltung etwas verkrampft und starr geraten wirkt, ist das Symphonische Konzert tatsächlich beinahe zu einer Symphonie mit obligatem Cello angewachsen. Prokofjew hat reicher instrumentiert, geht freier mit der Form um: Im dritten Satz wird aus dem ursprünglich deutlich konturierten Thema mit Variationen ein uneingeschränkter, fließender Variationssatz, der sich organisch entwickelt. Das Zusammentreffen von alt und neu im Symphonischen Konzert entspricht Prokofjews damaliger Arbeitsphase der sechsten Symphonie und der letzten Klaviersonaten. Was im Violoncellokonzert fast verknöchert, steif und gewollt klingt, ist in der Metamorphose des Symphonischen Konzerts zu einer Komposition mit Biss und Elan geworden. Prokofjew findet zu einem originellen Orchestertimbre zurück durch die differenziertere Instrumentation, er ergibt sich auch nicht den konventionellen Vorstellungen von Virtuosität, und doch ist das Symphonische Konzert – vielleicht nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit Rostropowitsch – zu einem musikantischen und gleichzeitig hochanspruchsvollen Werk der Konzertliteratur für Violoncello geworden, das das ursprüngliche Konzert op. 58 nicht nur verdrängt, sondern mehr als ebenbürtig ersetzt hat.
lrmelin Bürgers

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.