Symphonie Nr. 1 B-dur op. 38

Zurück
t1 Konzertführer
Robert Schumann
Symphonie Nr. 1 B-dur op. 38

Als Robert Schumann im Januar 1841 in nur vier Tagen seine erste Symphonie in B-dur entwarf, hatte er es nicht mehr nötig, den Beweis für seine erstrangige kompositorische Stellung anzutreten. Der war in den davorliegenden Klavierwerken und Liedern bereits erbracht, Florestan und Eusebius, die beiden Seelen Schumanns, hatten einen erfolgreichen Kampf gegen die musikalische Dummheit, gegen die Philister geführt. Längst hatte Schumanns auch erkannt, dass auf dem Weg der Siegeszuversicht, den Beethoven so nachdrücklich beschritten hatte, nicht ohne weiteres fortzuschreiten sei. Denn überall waren Niederlagen des fortschrittlichen Geistes zu beobachten, auch scheinbar widerständige Köpfe hatten sich nicht selten schnell und beamtenhaft – und dies sind Schumanns Philister! – den neuen Verhältnissen preußischer Zucht oder Metternich‘scher Unterdrückung ergeben. Ein Blick zurück ins Innere des Menschen schien nötig, um das Geschehene zu begreifen und um nach neuen Kräften Ausschau zu halten. Schumanns Kompositionen nahmen Abstand vom Prozess- und Kampfcharakter der Beethoven‘schen Werke, sie suchten eine Idee, eine Empfindung abzuklopfen, verschiedene Beleuchtungen zu unterwerfen. Dies wohl meint er, wenn er von der poetischen Idee eines Musikstücks spricht, die Konzentration auf das eine, den Blick in die Tiefe. Es erscheint klar, dass im Lied oder im einsätzigen Klavierstück diese Konzentration und Intimität problemloser zu verwirklichen war, als in großformalen Werken. Und dennoch – die Gattung der Symphonie hatte nichts von ihrem umfassenden Anspruch verloren; dies vielleicht noch mehr, da Schumanns wenige Jahre vor der Komposition seiner ersten Symphonie Schuberts große C-dur-Symphonie entdeckt hatte. Vielleicht gab gerade diese Entdeckung die Kraft, nach dem unvollendeten symphonischen Ansatz im Jahre 1832, ein großes symphonisches Werk zu konzipieren. Jedenfalls scheint die Symphonie in fieberhafter schöpferischer Eile entworfen zu sein. Schumanns schrieb damals: „Ich schrieb die Symphonie zu Ende des Winters 1841, wenn ich es sagen darf, in jenem Frühlingsdrang, der den Menschen wohl bis ins höchste Alter hinreißt und jedes Jahr von neuem überfällt.“

Der Name Frühlingssymphonie blieb dem Werk. Und sie kann und will den Aufbruchscharakter nicht verbergen: Aufatmen jedes Menschen im Frühling, aber auch Aufbruch zu neuen Ufern, die nicht mehr vom symphonischen Übergewicht Beethovens belastet sind, schließlich auch das Fortentwickeln des empfindsamen Geistes – all dies stellt sich die erste Symphonie als Programm.
Schon die kurze Entstehungszeit, die Tatsache, dass sie fast so unmittelbar wie etwa ein Lied entworfen wurde, mag auf die Einheitlichkeit des Stimmungsgehalts deuten. Das schlägt sich musikalisch im Beziehungsreichtum der thematischen Gestalten nieder. Die ganze Symphonie lebt aus der melodischen und rhythmischen Zelle, die zu Beginn in den Hörnern und Trompeten vorgestellt ist. Aufschlussreich ist ein Vergleich zum Kopfmotiv aus Beethovens Fünfter, das sich auch durch die ganze Symphonie zieht. Hier ist das Motiv ein Gesetz, das sich im Laufe der Symphonie entwickelt. Bei Schumanns hingegen gibt das Motiv den Charakter der ganzen Symphonie an, es ändert sich nicht im Wesen, die von ihm eingefangene Stimmung wird gewissermaßen verschiedenen Beleuchtungen unterworfen. Es ist ein kühn neuartiges Konzept, das dem Verlust musikalischer Prozesshaftigkeit auszugleichen sucht. So entwerfen die einzelnen Sätze Facetten des im Grundmotiv vorgestellten. Im zweiten Satz etwa wird der melodische Ansatz, also der Terzschritt nach unten und dann schrittweise Rückkehr zum Ausgangston, vertiefend weiterentwickelt, im Scherzo wird der punktierte Rhythmus zu diversen synkopischen Wendungen umgebogen. Nie aber wird der Eindruck erweckt, als würde sich grundsätzlich von der Ausgangscharakteristik entfernt. Und dadurch, dass Schumanns den langsamen Satz und das Scherzo ohne Pause aneinander anschließen lässt, bestätigt sich die Annahme, dass beide Sätze gleiches aus konträren Perspektiven betrachten. Der letzte Satz kehrt bestätigend wieder zur Haltung des ersten zurück. Verblüffend wirkt eine eingeschobene Kadenz der Flöte vor der Schlussstretta. Das ganze Orchester scheint hier den Atem anzuhalten. Es wird hier noch einmal zu bedenken gegeben, dass die Euphorie des Schlusses sich nur auf der Basis eines nach innen gewendeten Blicks entfalten konnte.
Reinhard Schulz

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.