Siegfried-Idyll

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t1 Konzertführer
Richard Wagner
Siegfried-Idyll

Wagners Symphoniepläne wurden besonders in den späten siebziger Jahren noch einmal aktuell. Die Idee war, einsätzige Symphonien zu schreiben, von eher lyrischem als dramatischem Charakter, ohne große Kontraste, fern der Beethoven‘schen Tradition. Zwar wurden diese Pläne wie jene zuvor nicht verwirklicht, doch entspricht das Ende 1870 für Cosima komponierte Siegfried-Idyll genau diesen Vorstellungen. Das Werk ist einsätzig, und wenn es auch, mit einigen Modifikationen, der Sonatenform folgt, so meidet es doch die ausgeprägten Gegensätze. Zum einen sind fast alle Themen und Motive beschaulich-lyrischen Charakters; zum anderen ist die möglichst bruchlose Vermittlung zwischen den heterogenen Elementen das Prinzip der Komposition, die ja auf Grund der Herkunft nahezu des gesamten thematischen Materials aus dem Siegfried leicht zum Opernpotpourri hätte werden können.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist vor allem das Verfahren, die zunächst sukzessiv vorgestellten Motive und Themen in der Folge jeweils simultan zu kombinieren; dieses Zwingen in die Gleichzeitigkeit nähert sie einander an, ebnet die Kontraste ein und verflüchtigt auch die dramatischen Gehalte, die ihnen auf Grund ihrer Herkunft eignen. Dass die Mehrsätzigkeit ganz aufgegeben sei, lässt sich nur bedingt behaupten. Es gibt zahlreiche Tempo- und Taktwechsel, sodass der eine oder andere Abschnitt als eigenständiger Satz aufgefasst werden könnte. Dass Wagner mit diesem Werk tatsächlich seinen symphonischen Ehrgeiz befriedigte, zeigt die für Cosima geschriebene Widmungspartitur; dort heißt das Stück „Symphonie“. Der Titel Siegfried-Idyll, mit dem das Werk – übrigens gegen den Willen Cosimas – später publiziert wurde, verbirgt die symphonische Ambition hinter dem privaten Anlass. Es entstand als Retrospektive auf die Zeit, in der Wagners Sohn Siegfried geboren wurde und Wagner selbst die Schlussszene des Siegfried komponierte, als Erinnerung an eine besonders glückliche Zeit, das Idyll des Familienglücks in Tribschen. Die Behauptung, es sei Wagners Wille gewesen, das Stück mit solistischen Streichern zu spielen, ist falsch. Wo immer Wagner das Werk aufführte, verlangte er eine große Besetzung. Nur in Haus Tribschen, wo die erste Aufführung stattfand, musste man sich der Enge des Raums wegen auf solistische Ausführung beschränken.
Egon Voss

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.