Richard Wagner: Konzertmusiken

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t1 Konzertführer
Richard Wagner
Richard Wagner: Konzertmusiken

Leipzig, 22. Mai 1813 – Venedig, 13. Februar 1883

Wagner hat zwar erstaunlich viele Kompositionen für den Konzertsaal hinterlassen, aber die Stücke, die am häufigsten in Konzerten gespielt werden, sind Ausschnitte aus seinen Bühnenwerken: Ouvertüren und Vorspiele, Überleitungen und Schlüsse sowie Arrangements für Orchester allein. Wagner selbst hat diese bis heute nicht abgerissene Tradition begründet, jedoch nicht, weil er der Meinung war, die ausgewählten Stücke seien als Konzertmusik tauglich oder gar als absolute Musik rezipierbar. Ganz im Gegenteil: Alle Konzerte, in denen er selbst Musik aus seinen Opern dirigierte, dienten einzig und allein dem Zweck, für die Aufführung der Werke auf der Bühne zu werben, Propaganda für die Realisierung auf dem Theater zu machen; denn allein das Theater erschien Wagner als der angemessene Ort für seine Musik. Da er nicht einmal die vergleichsweise neutralen Ouvertüren und Vorspiele als absolute Musik aufgefasst wissen wollte, schrieb er zu jedem dieser Stücke – von Feen, Liebesverbot und Rienzi abgesehen – eine „Programmatische Erläuterung“, die in knapper Form mit dem jeweiligen Sujet vertraut macht und die darin verfolgte Idee zu veranschaulichen sucht (diese Erläuterungen finden sich in der Ausgabe der Sämtlichen Schriften und Dichtungen Wagners). Aber nicht nur durch diese erläuternden Texte, die Wagner unter das Konzertpublikum verteilen ließ, wurde auf die Bühnenwerke selbst verwiesen, sondern auch – von den Ouvertüren und Vorspielen abgesehen – durch die Eigenart der Ausschnitte, die Wagner für den Konzertvortrag auswählte. Seine Tendenz ging stets dahin, szenisch und dramaturgisch wichtige Abschnitte vorzustellen und nicht etwa solche, die durch inhaltliche und formale Geschlossenheit sich für den Konzertvortrag gleichsam anbieten. So ließ Wagner das berühmte ‚Lenzlied‘ Siegmunds aus der Walküre (‚Winterstürme wichen dem Wonnemond‘) nicht, wie heute allgemein üblich, mit den Pianissimo-Pendelakkorden der Bläser, wenige Takte vor Einsetzen der Singstimme, beginnen, sondern mit dem Fortissimo-Akkord, der das vorangehende und Siegmunds Gesang erst begründende szenische Ereignis – das Aufspringen der großen Tür, die den Blick auf die Frühlingsnacht freigibt – musikalisch veranschaulicht. Wagner beschränkte sich selten auf reine Orchesterstücke, bezog vielmehr, wann immer es möglich war, Singstimmen mit ein. Den ‚Einzug der Götter in Walhall‘, heute ein gängiges Orchesterstück, führte er nur mit Singstimmen, also im Original, auf; das gleiche gilt für das ‚Venusberg-Bacchanal‘ aus dem Pariser Tannhäuser. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die geläufigen Arrangements wie ‚Waldweben‘, ‚Siegfrieds Rheinfahrt‘, ‚Trauermarsch‘, ‚Karfreitagszauber‘ sämtlich nicht auf Wagner zurückgehen. Einzig der ‚Walkürenritt‘ ist eine von Wagner selbst stammende Einrichtung.

Wagner begann als Instrumentalkomponist. Als er 1832/33 an die Komposition seiner ersten Oper ging, umfasste sein Werk neben einem Streichquartett und einer Reihe von Klavierwerken nicht weniger als acht Ouvertüren und eine Symphonie. Mehrere dieser Kompositionen gingen verloren, sodass uns heute an vollständigen und aufführbaren Stücken nur die folgenden vorliegen: Konzertouvertüre Nr. 1 d-moll (1831), Ouvertüre zu Ernst Raupachs Trauerspiel König Enzio (1832), Konzertouvertüre Nr. 2 C-dur (1832) und Symphonie C-dur (1832). Diese Kompositionen sind Stilkopien, orientiert an den Wiener Klassikern, vor allem an Beethoven. In der Folgezeit wandte sich Wagner anderen Vorbildern zu, die er insbesondere unter den italienischen und französischen Opernkomponisten fand, aber auch in Mendelssohn Bartholdy und Berlioz. Zwischen 1835 und 1844 schrieb Wagner: Ouvertüre zu Theodor Apels Drama Columbus (1835), Ouvertüre Polonia (1836), Ouvertüre Rule Britannia (1837), Eine Faust-Ouvertüre, erste Fassung (1839/40) und Trauermusik nach Motiven aus Webers Euryanthe (1844). Abgesehen von der Faust-Ouvertüre, die einen Sonderfall darstellt, zeichnen sich diese Stücke durch eine sehr unvermittelte Mischung aus Tendenzen zum Monumental-Erhabenen und Trivial-Volkstümlichen aus. Wagner knüpfte später mit seinen drei Märschen - Huldigungsmarsch für Ludwig ll. von Bayern (1864), Kaisermarsch (1871) und Amerikanischer Festmarsch (1876) – an diese Tendenzen an. Die ungeschliffene Grellheit der älteren Ouvertüren ist hier freilich auf Grund souveränerer Handhabung des Metiers einer abgerundeten Sonorität gewichen.

Wagner hatte zeit seines Lebens symphonischen Ehrgeiz. Meist kam es jedoch nicht zur Komposition, sondern blieb bei Plänen. Den Abschluss der Kompositionsstudien bei Thomaskantor Theodor Weinlig bildete 1832 eine Symphonie in C-dur, die einzige viersätzige Symphonie, die Wagner vollendete. Sie ist wie alle frühen Werke eine Stilkopie, in der sich kaum Züge des späteren Personalstils Wagners finden. Sie geht jedoch nicht darin auf, Zeugnis für das brav gelernte Handwerk zu sein, obwohl keine Gelegenheit ausgelassen wird, Kontrapunkt, Kanon und Fuge anzuwenden, sondern ist zugleich der Versuch, eigenständige Lösungen für Form und Ausdruck zu finden. Das Stück möchte seiner Intention nach den klassischen Vorbildern, besonders Beethoven, gerecht werden und sie doch zugleich übertrumpfen. Dieser gleichsam hybride Anspruch macht das Werk interessant und hörenswert.
Egon Voss

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.