Macbeth, Tondichtung op. 23

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t1 Konzertführer
Richard Strauss
Macbeth, Tondichtung op. 23

Trotz der höheren Opuszahl ist dieses Werk vor dem Don Juan entstanden und markiert eine wichtige Etappe in der stilistischen Entwicklung des Komponisten. Er selbst nannte Macbeth in einem Brief „eine Art symphonischer Dichtung, aber nicht nach Liszt“, wählte folgerichtig eine fortan stets benutzte Gattungsbezeichnung, die schon vor Liszt existiert hat und wohl erstmals 1830 von Carl Loewe (1796-1869, der berühmte Balladen-Meister) für sein Klavierwerk Mazeppa (nach Byron), op. 27, verwendet. Der zum Vorwurf gewählte Stoff freilich ist sehr ‚nach Liszt‘; Strauss bemüht sich, in dem auf rein musikalische Wirkung angelegten Stück, nach der Art Tschaikowskys (in dessen Romeo und Julia, Francesca da Rimini und Hamlet) die Emotionen der beiden Hauptfiguren des Dramas darzustellen.

In der 1886/87 geschriebenen ersten Fassung misslingt dieses Vorhaben nicht allein wegen des von Bülow gerügten Schlusses (eines „Triumphmarsches des Macduff“); in der 1890 erfolgten Umarbeitung, die außer einem neu komponierten Schluss lediglich Neuinstrumentieren bedeutete (die Partitur verlangt nun dreifache Holzbläser mit Piccoloflöte, Englischhorn , Bassklarinette und Kontrafagott, vierfache Blechbläser mit Basstrompete und Tuba sowie Schlagzeug), wird deutlich, dass musikalische Darstellung von Seelenkämpfen, noch dazu ohne ein detailliertes Programm, nicht Strauss‘ stärkste Seite war. Das formal als großer Sonatensatz gearbeitete Werk ist voll von schier knirschenden Dissonanzen – Hugo Wolf bezeichnete es als „schauderhaft“ – und hat nichts von dem natürlichen Fluss und der Lebendigkeit der Phantasie op. 16. Bis heute gehört Macbeth zu dem am seltensten erklingenden Werken von Strauss, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil es dem so betont lebensbejahenden Naturell seines Komponisten denkbar fernsteht.
Hartmut Becker

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.