Also sprach Zarathustra, Tondichtung frei nach Friedrich Nietzsche, op. 30

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t1 Konzertführer
Richard Strauss
Also sprach Zarathustra, Tondichtung frei nach Friedrich Nietzsche, op. 30

Die ersten Gedanken zu einer Tondichtung Zarathustra notiert Strauss noch vor Beginn der Arbeit am Till (1894/95) und beginnt unmittelbar nach dessen Uraufführung mit ausführlichen Entwürfen. Schon während des Kompositionsvorgangs instrumentiert er die fertigen Teile. Ursprünglich sollte das Werk den Untertitel tragen symphonischer Optimismus in Fin de siècle-Form, dem 20. Jahrhundert gewidmet; statt seiner trägt die Partitur Zarathustras Vorrede aus Nietzsches philosophischem Gedicht, allerdings lediglich als eine Art Einstimmung für den Hörer. Eigentliche Bedeutung als ‚Programm‘ kommt ihr nicht zu. Ebenso wenig hält sich Strauss bei den die einzelnen Abschnitte markierenden Überschriften zwar an den Wortlaut der Kapitelüberschriften Nietzsches, nicht aber an deren Reihenfolge. In dem Werk musikalisierte Philosophie sehen zu wollen wäre verfehlt, zumal der Komponist zu dem Philosophen wegen dessen Ausfällen gegen Wagner ein eher gespaltenes Verhältnis hatte. Zarathustra ist – nicht nur für Strauss – eher eine Symbolfigur für die neu errungene Freiheit des Individuums (daher heißt es im Titel frei nach Nietzsche), das geistig seiner Zeit voraus ist.

Musikalisch ruht das Werk auf der Konfrontation zweier weit entfernter Tonarten, C-dur und H-dur. Ihre tonalen Komplexe beherrschen nicht nur für sich einzelne Teile des Verlaufs, sondern werden in vielfältiger Art verknüpft: Am interessantesten wohl in jenem Fugen-Thema, das dem Abschnitt ‚Von der Wissenschaft‘ zugrunde liegt – nacheinander erklingen in den tiefen Streichern die Akkorde von C-, H-, Es-, A- und Des-dur. In seiner Anlage ist dieses Thema ein Vorläufer der überwiegend aus Akkordtönen bestehenden Grundreihe des Violinkonzerts von Alban Berg (1935), doch geht es Strauss nicht um lineare Entwicklung, sondern um Konfrontation harmonischer Komplexe. Das Orchester ist hier – bis auf kleine Abweichungen – bereits auf die Stärke der Salome-Besetzung gewachsen (mit sechs Hörnern und vier Trompeten), verlangt zusätzlich eine zweite Tuba sowie Orgel; dies alles freilich nicht zur reinen Massierung physischer Klanggewalt, sondern zugunsten einer Differenzierung des Klangbildes, die bis dahin nur Berlioz (etwa in der ‚Scène d‘amour‘ von Romeo et Juliette,) zustande gebracht hatte. Ohne den Zarathustra und sein vielfaches Teilen der Streicher und seine delikate Holzbläserbehandlung wären Partituren wie die genialen Gurre-Lieder Schönbergs kaum denkbar. Strauss hat hier – mehr noch als im Don Juan – eine Musik geschaffen, deren optimistische, ja, euphorische Züge der Seelenlage seiner Generation entsprachen; es ist kaum zu verwundern, dass gerade dieses Werk bei seiner ungarischen Premiere in Budapest den jungen Béla Bartók aus einer tiefen Schaffenskrise riss.
Hartmut Becker

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.