Symphonien

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t1 Konzertführer
Paul Hindemith
Symphonien

Insgesamt sind es acht Orchesterwerke, die von Hindemith ausdrücklich als Symphonien bezeichnet worden sind: Lustige Sinfonietta op. 4 (1916); Symphonie Mathis der Maler (1934); Symphonie in Es (1940); Symphonia serena (1946); Sinfonietta in E (1949/50); Symphonie in B for Concert Band (1951); Symphonie Die Harmonie der Welt (1951); Pittsburgh Symphony (1958). Gleichfalls unter die symphonischen Werke zu zählen sind außerdem noch die Symphonischen Tänze (1937) und die Sinfonischen Metamorphosen Carl Maria von Weber'scher Themen (1943).

Auffallend an dieser Reihe symphonischer Werke ist, dass – sieht man von dem Frühwerk der Lustigen Sinfonietta einmal ab – die Auseinandersetzung mit der symphonischen Form relativ spät einsetzt. Hindemith ist fast vierzig Jahre alt, als er die Symphonie Mathis der Maler schreibt, ein Werk, das im Übrigen keine autogene symphonische Schöpfung darstellt, sondern im Grunde einen orchestralen Extrakt der zur gleichen Zeit entstandenen Oper Mathis der Maler darstellt. Von da an freilich entstehen symphonische Werke in regelmäßigen Zeitabständen, wobei für die Jahre 1949 bis 1951 eine auffällige Entstehungsdichte zu bemerken ist.

Zu den eigenwilligsten Kompositionen Hindemiths gehört ohne Frage seine Lustige Sinfonietta op. 4, was umso bemerkenswerter ist, als ihre Entstehung noch in die Zeit seiner Kompositionsschülerschaft bei Bernhard Sekles am Frankfurter Hochsehen Konservatorium gehört. Ein zweiter Zeitumstand scheint noch interessanter: „Der ganze Krieg ist traurig genug“, schrieb Hindemith im Frühjahr 1916, nachdem er vom Feldtod seines Vaters erfahren hatte, an eine befreundete Familie, „und da ist es gut, wenn man dieser ganzen Zeit die ‚Singspielhalle des Humors‘ gegenüberstellen kann; das hilft über vieles hinweg.“ Wenig später dann – im selben Brief – heißt es: „Eben arbeite ich an dem zweiten Satz einer Lustigen Sinfonietta für Streicher, Holzbläser, Hörner, Trompeten und Bumbum (zum Gedächtnis an den Dichter Christian Morgenstern), deren erster Satz von den Galgenbrüdern handelt – (mit einer Fuge als Durchführung: das große Lalulä!). Der zweite Satz schildert zoologische Merkwürdigkeiten, und der letzte soll Variationen über das Thema ‚Palmström‘ bringen.“ Die Lyrik Morgensterns übte in jenen Jahren eine ganz beachtliche Faszination auf Hindemith aus. Sie vermittelte ihm in ihrer Mischung aus Skurrilität, Humor, Ironie und kritischem Scharfsinn viele Züge, an denen er eigene Persönlichkeitsaspekte wahrnehmen konnte. Die Lustige Sinfonietta könnte als eine Programmmusik missverstanden werden. Nichts freilich liegt ihr ferner als eine Nachzeichnung von Gedichten. Was sie als eine Morgenstern-Symphonie legitimiert, das ist vielmehr der souverän-witzige Umgang des Komponisten mit seinem Material, mit Themen und deren Ausdrucksgehalten. Dabei spielt die Verkehrung des Normalen eine bedeutende Rolle, so etwa, wenn banale Themen einen absichtlich artifiziellen Kontext erhalten oder das Nebensächliche zur Hauptsache, das Wichtige aber zur Nebensache wird. Auch formal erweist diese frühe Sinfonietta die bemerkenswerte Gestaltungskraft Hindemiths. Der erste Satz ist dem Sonatenhauptsatz nachgebildet, ohne ein solcher zu sein, da Hindemith das entscheidende Merkmal symphonischer Gestaltung, nämlich die Durchführung von Themen und Themengruppen durch deren beziehungsvolle Reihung ersetzt. Der abschließende Satz ist als Variationensatz angelegt, in dem die Wegführung vom Thema im Wechsel mit der deutlichen Bezugnahme darauf den Formverlauf ausprägt. Ein Charakterstück von herausragender Qualität bildet das skurrile Intermezzo - ein Stück, das ganz aus dem Geist instrumentaler Farben und Eigentümlichkeiten heraus empfunden ist und in Verbindung damit, dass das Werk durch die Reduzierung auf ein kleines Orchester eine Absage an den großen Orchesterapparat zum Ausdruck bringt, eine auffällige Begabung unter Beweis stellt. Die verblüffende Sicherheit, die Hindemith bereits zu Gebote steht und die Selbstverständlichkeit, mit der er etwa kontrapunktische Satztechniken als formbildende Elemente einsetzt, macht deutlich, dass hier ein Talent am Werk ist, das sich kompositorische Aufgaben zu stellen und diese auch zu lösen weiß. Der Oper Mathis der Maler, deren Text Hindemith selber verfasste, schildert die inneren und äußeren Kämpfe und Probleme des Malers Mathis Gothardt-Neithardt (genannt Grünewald). Noch bevor das Textbuch beendet war, komponierte Hindemith eine Symphonie in drei Sätzen, die er später an besonderen und gewichtigen Stellen in die Oper übernahm. Die drei Sätze tragen die Titel: ‚Engelskonzert‘ – ‚Grablegung‘ – ‚Versuchung des heiligen Antonius‘. Die Symphonie stellt ein tönendes Triptychon nach drei Tafeln des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald dar. Die Komposition gehört zu den meistgespielten Werken Hindemiths und markiert einerseits eine unmissverständliche Abkehr von den experimentellen und provokativen Unternehmungen der zwanziger Jahre sowie andererseits die deutliche Tendenz zu einer ‚großen‘ und bedeutungsvollen Kunstmusik. Vorbereitet worden war solcher Anspruch durch das gemeinsam mit Gottfried Benn geschaffene Oratorium Das Unaufhörliche und durch das Philharmonische Konzert von 1932, eine Auftragsarbeit von Wilhelm Furtwängler zum fünfzigjährigen Jubiläum des Berliner Philharmonischen Orchesters. Symbolik und Stil, ja Stilisierung gewinnen in der Mathis-Symphonie eine für Hindemith tragende Bedeutung. Nach typisch barocker Ästhetik entfaltet die Dreizahl der Satz-‚Bilder‘ ihre Bedeutung bis hinein in die Gestaltung der Einzelsätze. Drei Themen sind es, die den Formverlauf des ersten Satzes bestimmen – entsprechend der Choralzeile „Es trugen drei Engel ein‘ süßen Gesang“, der als thematischer Grundgedanke des gesamten Werkes in einer Einleitung zum ersten Satz exponiert wird. Der Formbau dieses ersten Satzes ist dem Sonatensatz nachgebildet, besteht also aus drei Teilen: Exposition Durchführung Reprise, wobei die Durchführung eine kontrapunktische Verarbeitung der Themen bringt und in der Reprise die drei Themen in umgekehrter Reihenfolge erklingen. Der Satz erscheint demnach nach dem Symmetrieprinzip konzipiert.
Der zweite Satz mit dem Titel ‚Grablegung‘ ist eine Trauermusik aus Streicherdeklamation und Bläserkantilenen: „Alle Kräfte der Vereinfachung erscheinen da konzentriert im Aufbau einer mächtigen melodischen Linie aus einem einzigen Motiv und aus jenem punktierten Rhythmus, der endlich sich entspannt“ (Heinrich Strobel).
Höhepunkt des Werkes ist die ‚Versuchung des heiligen Antonius‘. Hier arbeitet Hindemith im Sinne der Thematik, nämlich der Unversöhnlichkeit der beiden sich gegenübertretenden Welten des Heiligen und dämonischer Versuchung mit Gegenthema und Themenkontrasten, verknüpft mit dem Gegensatz von Diatonik und Chromatik. In manchen Zügen, so etwa in der einleitenden rhapsodischen Melodie oder dann in den starken Dissonanzballungen erinnert der Satz an die Ausdruckshaftigkeit früherer Werke. Abgeschlossen werden Satz und Werk durch den Schlusshymnus Lauda Sion Salvatorem und den von den Blechbläsern intonierten Hallelujachoral. Die Uraufführung dieses Werkes fand am 12. Mai 1934 in Berlin statt. Das Philharmonische Orchester spielte unter Wilhelm Furtwängler. Die Aufführung verschärfte die schwierige Situation Hindemiths im Nazi-Deutschland und löste den ‚Fall Hindemith‘ aus, die öffentliche Auseinandersetzung über Hindemiths und Furtwänglers Stellung.

Drei Jahre später, im Jahre 1937, entstanden die Symphonischen Tänze, an denen ein Zug ins Pompöse und Großartige auffällt, der für einige Zeit die ‚großen‘ Orchesterkompositionen auszeichnen wird. Die wiederum drei Jahre später komponierte Symphonie in Es und dann die Sinfonischen Metamorphosen von 1943 prägen diesen Zug dann noch entschiedener aus. Dieser ‚neue‘ Stil Hindemiths rührt nicht zuletzt von der reichen Verwendung des Blechs her, wobei die harmonische Gestaltung im Vergleich zur kontrapunktischen Technik und zur polyphon-figurativen Arbeit, durch die sich das Werk der zwanziger Jahre auszeichnet, an Gewicht gewinnt. Hinzu kommt eine plastisch geformte, oft pathetisch erscheinende Thematik. Die Symphonischen Tänze entstanden in zeitlichem Zusammenhang mit der Ausreifung von Hindemiths Tonsatzlehre, die ihm für seine weitere Entwicklung zur theoretischen Grundlage wird, wenngleich in einem wesentlich weniger dogmatischen Sinn, als gemeinhin unterstellt wird. Der affirmative Charakter der Symphonischen Tänze könnte immerhin einiges darüber aussagen, welchen Gewinn für Hindemith ganz subjektiv diese Theorie bedeutete. Sie schenkte ihm Selbstvertrauen und unterstellte die zukünftigen Aufgaben einer Perspektive. Ein zweiter Aspekt darf bei den Symphonischen Tänzen nicht übersehen werden: Sie entstanden in Verbindung mit dem Ballett Nobilissima Visione für Leonid Massine und waren ursprünglich in ihrer Konzeption auf das Franziskus-Ballett bezogen. Zwei Jahre nach der Entstehung wurde das Werk dann wiederum in den Zusammenhang mit Ballett gerückt. Hindemith schrieb ein Szenarium – Der Kinderkreuzzug –, nachdem er mit George Balanchine bezüglich Ballett in Kontakt getreten war. Das Projekt kam allerdings nicht zustande.

Die Symphonischen Tänze bilden keine ausgesprochen tanzhaften Kompositionen. Konstitutiv für die musikalische Konzeption ist nicht so sehr die Rhythmik als die Melodie, die oftmals eine Steigerung ins Hymnische erfährt. Bestimmend für die Formverläufe der vier Sätze ist das Wiederholungsprinzip, sind die Folgen ‚melodischer Ostinati‘, die von einer Instrumentengruppe auf die andere übergehen und somit die statische Grundstruktur der Satzgebilde aufbrechen. Ein weiteres Prinzip, das die Statik der Musik beeinflusst, ist die Verwandlung der Themen in andere Gestalten, die Verwandtschaft bewahren und doch etwas anderes sind. Höhepunkt des Werkes bildet wiederum das vielgestaltige Finale mit seiner abschließenden Krönung durch eine Choralmelodie im vollen Orchestersatz.
Noch weiträumiger in der Anlage, gesteigerter noch im breit ausladenden Pathos und noch mehr erinnernd an das Klangbild der Bruckner‘schen Symphonik ist dann die Symphonie in Es von 1940. Das Werk ist viersätzig und beinhaltet eine spannende gegenseitige Durchdringung von Polyphonie und akkordisch-harmonischer Satzgestaltung. Eine thematische Arbeit im klassisch-romantischen Sinn gibt es hier nicht. Alles ist melodische Fortspinnung, wobei die polyphone Gestaltung für An- und Abspannungen sorgt. Der langsame Satz basiert auf einem weiträumig disponierten Melodiegebilde, dem ein zweites Thema entgegengesetzt wird. Der Wiederholungsverlauf bedeutet eine mächtige klangliche Ausbreitung. Das sich anschließende Scherzo mit Trio erscheint sehr stark von Bruckner beeinflusst. Es herrscht eine einheitliche Thematik, die aus der Quart-Quint-Struktur der Einleitungsfanfare (erster Satz) abgeleitet ist. Auf das Scherzo folgt unterbrechungslos das Finale, das eine originelle Mischung aus Passacaglia, Sonate und dreiteiliger Form darstellt und in dem die Verwandlung des thematischen Ausgangsmaterials eine bestimmende Rolle spielt.

Wiederum drei Jahre nach dieser Komposition entstand ein symphonisches Werk, die Sinfonischen Metamorphosen von Themen von Carl Maria von Weber. Diese Komposition ist neben der Mathis-Symphonie Hindemiths populärste Orchestermusik geworden. In diesem aus vier Sätzen bestehenden Werk erscheint das bislang schon mehrfach festgestellte Prinzip der Verwandlung in jeder Hinsicht zum bestimmenden Faktor erhoben. Die Themen, auf denen das Werk bzw. die Metamorphosen basieren, stammen aus Webers Turandot-Musik und aus den vierhändigen Klavierstücken op. 60. Hindemith exponiert die Themen nicht in der Weber‘schen Originalgestalt, sondern zieht sie sofort in seine eigene Stilsphäre. Dabei verlieren diese Themen ihren spezifischen tonartlichen Charakter oder aber sie erscheinen in einer ihnen vom Ursprung her fremden rhythmischen Gestalt. Vielfältig ist der Umgang Hindemiths mit dem Themenmaterial, wobei insgesamt eine Satz- und Formdisposition festzustellen ist, die ein klares Ordnungsdenken belegt und auf eine bunte, helle und poetische Klangatmosphäre zielt. In diesem Sinn von besonderem Reiz ist der zweite Satz, ein Scherzo aus Webers Turandot-Musik. Dank des Schlagwerks entfaltet dieser Satz eine äußerst reizvolle exotische Wirkung, wozu der thematische Gedanke des ‚Trios‘, der von echt Hindemithscher Qualität ist, einen wunderbaren Kontrast bildet. Einer kleinen Episode gleicht das Andantino. Ein Marsch schließt das Werk ab. Er wird eingeleitet durch eine breitspurige Fanfare, die sogleich diesem dann folgenden Marsch einen parodistischen Charakter verleiht. Bemerkenswert an diesem Werk ist die Tatsache, dass es keinem ‚Antiquisieren‘ nachhängt, sondern dass der Komponist die Möglichkeiten der Weber‘schen Musik in moderner Sicht erkundet. Hindemith hat mit diesem Werk keine Bearbeitung vorgelegt, sondern Weber „fermentiert und dies mit der ihm eigenen sanguinischen Idiomatik, die zwischen Nachdenklichkeit und Opulenz einer musikalischen Grammatik huldigt, deren Wesen unverwechselbar und damit einmalig ist“ (Knut Franke).

1946, also wiederum nach drei Jahren Abstand, komponierte Hindemith die Symphonia Serena. Er schrieb das Werk für das Dallas Symphony Orchestra, das am 1. Februar 1947 unter der Leitung von Antal Dorati dann auch die Uraufführung bestritt. Die Viersätzigkeit und die Folge der Satzcharaktere erinnern deutlich an den Typus der klassischen Symphonie. Doch zugleich trägt das Werk Züge eines Konzerts für Orchester. In farbigem Wechsel setzt Hindemith die verschiedenen Orchestergruppen gegeneinander, kombiniert sie und löst den musikalischen Satz immer wieder zu einem von Solisten bestrittenen transparenten Stimmengefüge auf. Die Neigung Hindemiths, die Orchesterkomposition auf ein Konzert für Orchestermusiker hin zu entwerfen, hat ihre Voraussetzung in der innigen Vertrautheit des Komponisten mit dem Instrumentalspiel sowie mit den verschiedenen Aspekten des orchestermusikalischen Musizierens. Hindemith sieht im Orchestermusiker nicht einfach einen anonymen Funktionsträger, sondern eben auch einen Künstler, der in sich eine Individualität und ein Bedürfnis nach Subjektivität und Ausdruck birgt, das zur Entfaltung drängt. Gerade dieses Spannungsprinzip zwischen Tutti-Funktion und solistischer Funktion erscheint in Hindemiths Symphonia Serena für die Form- und Satzgebung nutzbar gemacht. Abwechslungsreich und dabei äußerst klar in den gegenseitigen Abgrenzungen baut Hindemith seine Sätze sowie dann das Werkganze.
Der erste Satz wird im Wesentlichen bestimmt durch die Gegenüberstellung zweier kontrastierender Teile und Gedanken: eines weit ausladenden Hornthemas, eingebettet in einen figurativen, darin aber eigenartig kompakten und als Ostinato eingesetzten Streichersatz, und eines konzerthaft gestalteten, wiederum in sich aus verschiedenen Elementen bestehenden zweiten Teils. Der zweite Satz steht an Scherzo-Stelle und ist eine Paraphrase über Beethovens Militärmarsch von 1809. Er ist nur für Blasinstrumente komponiert, während dann der dritte Satz als langsamer Satz allein den Streichinstrumenten vorbehalten bleibt, die wiederum in zwei Gruppen in Verbindung mit den beiden Spielweisen ‚arco‘ und ‚pizzicato‘ auftreten. Im Abschlussteil dieses Satzes werden die beiden Gruppen miteinander verknüpft. Der Finalsatz greift mit der Gegenüberstellung von zwei kontrastierenden Elementen bzw. Formteilen wieder auf das Konzept des ersten Satzes zurück, sodass die Großform der Symphonie vor allem mit ihrer Aufteilung in Bläser und Streicher in den beiden Mittelsätzen an einem symmetrischen Grundplan orientiert erscheint.

1949 bis 1951 entstehen drei symphonische Werke; zunächst die Sinfonietta in E als ein Auftragswerk für die amerikanische Stadt Louisville. Obgleich im Oktober 1949 geplant, begann Hindemith doch erst kurz vor Weihnachten die Arbeit. Einen Monat später, am 19. Januar 1950, lag das Werk vor. Es ist viersätzig und verlangt die Besetzung des klassisch-romantischen Orchestersatzes. Die diminutive Form des Titels mag darauf ebenso Bezug nehmen wie auf die rein äußerlich gegenüber den vorangegangenen Kompositionen zurückgenommenen Dimensionen. Ein ausgesprochen konzertanter Zug beherrscht dieses Werk, das von den Symphonien Hindemiths noch am stärksten dem klassischen Modell verpflichtet ist, vor allem auch in der ganz auf Balance und Ausgleich ausgerichteten Formkonzeption. Den Rahmen bilden ein virtuos-lebendiger Einleitungssatz und ein Rondo, vorbereitet durch Streicherrezitativ und ein Bläserarioso. Bezeichnend für das Werk sind die Adaptionen barocker Praktiken und Elemente: so das Konzertieren in Gruppen und im zweiten Satz die Kontrastierung des beredten Adagios durch ein Allegretto-Fugato.
Hindemith war von Haus aus Geiger; und doch hatte er von früh an eine besondere Vorliebe für Blasinstrumente. Es gibt eine ganze Reihe von Werken, in denen die Blasinstrumente an Bedeutung die Streicher überragen. Diese Vorliebe liegt mitbegründet in dem ebenso farbigen wie im komplexen Satz harten, aber besser als bei den Streichern durchhörbaren Klang. Die Symphonie in B für Blasorchester entstand im Frühjahr 1951 und wurde bereits am 5. April desselben Jahres in Washington unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt. Die Besetzungsliste sieht vor: Piccolo, Flöten, Oboen, Klarinette in Es, Soloklarinette in B, drei Klarinetten in B, Altklarinette in Es, Bassklarinette in B, Fagotte, Altsaxophone in Es, Tenorsaxophon in B, Kornette in B, Trompeten in B, Posaunen, Hörner in F, Bariton- und Basstuba, Pauken, Schlagzeug mit Glockenspiel.

Hindemith hat 1952 eine Werkeinführung verfasst, die hier auszugsweise wiedergegeben sei: „Von echter symphonischer Musik für Blasinstrumente wird man billigerweise nicht das altgewohnte Klangbild erwarten dürfen, das den üblichen Märschen, Charakterstücken und arrangierten Opern- und Konzertwerken ihr Gepräge gab und durch seine schablonenhafte Anwendung die ganze Gattung zum Verblassen verdammt und bei guten Musikern in Verruf gebracht hat. Es muss vielmehr danach gestrebt werden, die Satz- und Formerwägungen, nach denen die Symphonik unserer gemischten Orchester geschrieben wird, auch hier anzuwenden – nicht durch bloße Übernahme, sondern in bewusster Anpassung an die so gänzlich anders geartete Ausdrucksweise einer ausschließlich aus Bläsern bestehenden Spielergruppe mit ihrem zwar spröderen und starreren, dafür aber ungleich naturklanghafteren Ton.
Die Symphony for Concert Band ist jüngeren Datums. Sie wurde... für eines der vier großen Blasorchester des amerikanischen Heeres geschrieben, die Army Band in Washington mit ihren fast hundert Bläsern. Der erste Satz spielt mit der Variierung und Gegenüberstellung zweier Hauptthemen mit zugehörigem Schlussteil, unterbrochen durch einen fugierten Mittelteil. Im zweiten Satz hört man ein ausgesponnenes melodisches Duett von Kornett und Saxophon. Ein schneller, tanzartiger Teil für alle Holzinstrumente folgt, und schließlich erscheinen die beiden Teile zusammen. Der dritte Satz ist eine Doppelfuge, ein erstes Thema wird in allen erdenklichen Engführungen entwickelt, ihm folgt ein zweites in ähnlicher Verarbeitung. Zum Schluss werden beide kombiniert und vom Hauptthema des ersten Satzes im Blech überstrahlt.“
Ähnlich wie bei der Mathis-Symphonie von 1934 liegen die Entstehungsverhältnisse bei der Symphonie Die Harmonie der Welt. Wie dort, so schlug sich auch im Fall der Beschäftigung mit der Oper die musikalische Phantasie zuerst in einer instrumentalen Symphonie nieder. Den Anlass gab der Auftrag von Paul Sacher, zum 25. Jahrestag des Basler Kammerorchesters ein Werk zu komponieren. Die drei Sätze entstanden im November und Dezember 1951. Am 25. Januar 1952 leitete Paul Sacher die Uraufführung. Hindemith selbst verfasste für das Programmheft eine Einführung: „Die drei Sätze der Sinfonie sind konzertmäßig verarbeitete Musikstücke aus einer Oper. Diese handelt vom Leben und Wirken Johannes Keplers, den ihn fördernden oder hindernden Zeitereignissen und dem Suchen nach der Harmonie, die unzweifelhaft das Universum regiert. Die Titel der Sätze beziehen sich auf die bei den Alten oft anzutreffende Einteilung der Musik in drei Klassen und wollen damit auf all die früheren Versuche hinweisen, die Weltenharmonie zu erkennen und die Musik als ihr tönendes Gleichnis zu verstehen. Die ‚Musica Instrumentalis‘ enthält Musik aus den Opernszenen, in denen widrige äußere Umstände das Handeln des Helden erschweren. Drei konstruktive Hauptelemente werden gegeneinander ausgespielt: ein kurzes ostinates Thema, ein gewichtig voranschreitender Marsch und ein Teil von wilder Ungezügeltheit. Im zweiten Satz, der ‚Musica Humana‘ (den Szenen entnommen, in denen die seelischen Beziehungen der Handelnden das Thema sind), werden zwei langgezogene Melodien erst einzeln, dann zusammengespielt und schließlich mit einem zarten Abgesang beschlossen. Der dritte Satz versucht, die postulierte Harmonie der Welt in einer musikalischen Form zu symbolisieren, in der erst ein breites Fugato entwickelt wird, dann 21 Teile einer Passacaglia über dasselbe thematische Material folgen und schließlich eine breite Coda das Stück zu einem feierlichen Ende bringt.“

Am 13. November 1958 setzte Hindemith die Schlussnoten seines letzten Beitrags auf symphonischem Gebiet. Er beendete die Pittsburgh Symphony, ein Auftragswerk zur Zweihundert-Jahr-Feier der amerikanischen Industriestadt. Die Uraufführung fand am 31. Januar 1959 unter der Leitung des Komponisten statt. Die Pittsburgh Symphony ist für großes Orchester mit einem relativ stark besetzten Schlagzeug geschrieben. Wiederum hat der Komponist zu diesem Werk Programmnotizen geschrieben, die hier ohne die dazu notierten Notenbeispiele referiert seien. Der erste Satz beginnt mit der Exposition eines langgestreckten Themas bzw. Themenkomplexes, der in sich mehrere, sowohl statische als auch vorwärtsdrängende Elemente beinhaltet, die aber auch in verwandtschaftlicher Beziehung zueinanderstehen. „Der ganze Satz besteht aus nichts weiter als einigen stets anders gefärbten Wiederholungen dieser Linie und ihrer Umkehrung. Hauptmaterial des zweiten Satzes, eines langsamen Marsches, ist eine langgezogene, mit Marschrhythmen begleitete Oboenmelodie, die von den Hörnern übernommen wird.“ Eine Coda schließt diesen Formteil ab. „Als heiterer Gegensatz folgt ein Pennsylvania Dutch-Liedchen ‚Hab lumbebruwwel mit me umbeschatz‘, die durch sechserlei Instrumentationsvarianten getrieben wird. Die letzte leitet wieder in den ersten breit-melodischen Teil über; diesmal mit dem ‚Lumbedruwwel‘-Lied begleitet. Auch diese Gruppe (und damit der Satz) wird mit der vorerwähnten Coda abgeschlossen.
Trotz seinem leichten Gewicht und seinem grotesken Übermut möchte ich dieses Lied als das Kernstück der Symphonie ansehen. Die ‚Dutch‘ sind mir wohlvertraut, ihr deutscher Dialekt ist fast derselbe wie derjenige meiner alten Heimat, ihre Sitten und Gebräuche sind mir von je bekannt und ihre Lieder sind diejenigen, welche man noch heute in den Landstrichen singt, aus denen sie kamen. Der Durchdringung der frühen amerikanischen Kolonialszene mit süddeutscher Sprache und süddeutschem Lebensstil, die einen wesentlichen Anteil am Gepräge des Staates Pennsylvanien hat, die aber wegen der Überlagerung durch das englische Element sich allgemeiner Beachtung entzog (und noch entzieht), wollte ich in einem Musikstück, das zu den Bewohnern Pennsylvaniens spricht, ein Denkmal zu setzen nicht unterlassen.
Dem letzten Satz liegt die Tonfolge es-as-b-f-fis-a-e-d zugrunde. Sie erscheint unentwegt, teils als Bass, teils als Mittel- oder Oberstimme, rhythmisch auseinandergezerrt oder zusammengedrückt und ständig in den Klangfarben wechselnd. Mit ihr und gegen sie laufen wiederum sechs verschiedene Materialgruppen, in deren gegen den Schluss des Satzes hin verkürzte, mit dem Ostinato zusammenklingende Form nach einer kurzen Überleitung das signalhafte, die jubilierende Stadt glorifizierende ‚Pittsburgh is a great old town, Pittsburgh –‘ hineinschallt, und damit wird dem biederen, traditionsgebundenen, landbebauenden und am alten Glauben und alten Gebräuchen festhaltenden Pennsylvanien das neue, ungestüme, industrielle und fortschrittliche symbolisch gegenübergestellt.“
Mit Blick auf diese thematische Spannung zwischen Tradition und Fortschritt erscheint diese Symphonie, die bis heute auf wenig Resonanz stieß, als noch einmal sich im Medium der Orchestersprache und der symphonischen Form artikulierender Ausdruck einer vor allem für seine späten Jahre bezeichnenden, zutiefst der Reflexion verpflichteten Haltung.
Dieter Rexroth

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.