Ottorino Respighi

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t1 Konzertführer
Ottorino Respighi
Ottorino Respighi

Bologna, 9. Juli 1879 – Rom, 18. April 1936

Respighi erhielt seine Ausbildung zunächst am Liceo musicale (dem späteren Conservatorio) seiner Heimatstadt, danach in St. Petersburg bei Rimskij-Korskakow. 1913 wurde er zum Professor für Komposition an Santa Cecilia in Rom ernannt; in der Folgezeit war er neben seiner kompositorischen Tätigkeit als Dirigent eigener Werke im In- und Ausland tätig.
Respighis Frühwerke (bis 1913) stehen unter dem Einfluss von Giovanni Sgambati (1841 – 1914) und Giuseppe Martucci (1856 – 1909) – dem Lehrer Respighis –, die als erste den Primat des ‚melodramma‘ in Frage stellten und eine Rückbesinnung auf die reine Instrumentalmusik anstrebten. Zu den ersten Kompositionen Respighis zählen die Variazioni sinfoniche (1900) sowie das Klavierkonzert a-moll (1902). Mit Preludio, Corale e Fuga – die Zusammenstellung dieser Formen verweist direkt auf César Franck – erregt er bei der Erstaufführung in Bologna Aufsehen (1901) und erhält hierfür das Diplom in Komposition. Die Sinfonia drammatica (1913), die im Orchestersatz deutlich an Richard Strauss gemahnt, bildet den Schlussstein der Frühphase Respighis.

Mit den Fontane di Roma (Römische Brunnen, 1914 bis 1916) hat Respighi ein nach Form und Stil ihm gemäßes Genre gefunden: eine Programmmusik, in der sich seine Vorliebe für naturalistische Tonmalerei mit der Neigung zum „Ausdruck der Empfindung“ verschränkt. Stets gibt der Autor am Anfang der Partitur programmatische Hinweise, um die Phantasie des Hörers in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken, wobei es unerheblich ist, ob die Musik wie im Fall der Fontane die Empfindungen des Komponisten beim Anblick der vier römischen Brunnen widerspiegelt, und zwar zu jenen Tageszeiten, die von dem jeweiligen Brunnen einen besonders charakteristischen Eindruck vermitteln oder ob die programmatische Idee nachgeliefert wird wie bei den Vetrate di Chiesa (Kirchenfenster).
Es hat nicht an Stimmen gefehlt, die Respighi als Eklektiker abqualifizierten, seine Orchesterpoeme als Imitationen der symphonischen Dichtungen Liszts und Strauss‘ denunzierten. Wenn auch nicht zu leugnen ist, dass einige gemeinsame Momente existieren, etwa in den ästhetischen Voraussetzungen oder in den technischen Verfahrensweisen, so sind die Unterschiede doch gravierend genug, um Respighi künstlerische Eigenständigkeit zu attestieren. Der von ihm bevorzugte Typus des ‚poema sinfonico‘ ist nicht einsätzig, sondern viersätzig, wobei die einzelnen Sätze ineinander übergehen und hinsichtlich ihrer Form und ihres Charakters keine Anlehnung an die deutsch-österreichische Tradition der Symphonik erkennen lassen. Was die einzelnen Sätze zu einem Ganzen verbindet, ist eine poetische Idee, die jedoch ohne ein kompositionstechnisches Korrelat auskommt; als zusammenhangstiftend erweist sich also nicht das thematische Material, sondern ein außermusikalisches Moment. Die Satztechnik Respighis zeigt, dass das Modell des vierstimmigen Satzes, das jahrhundertelang die Norm abgegeben hatte, nur noch eingeschränkte Gültigkeit besitzt: An die Stelle getreten sind, ähnlich wie bei Ravel, der hier zum Vorbild geworden ist, Schichten und Klangflächen, wobei die Kategorien ‚statisch‘ und ‚dynamisch‘ einen neuen Stellenwert gewonnen haben.

Mit den Pini di Roma (Römische Pinien, 1923/24) setzt Respighi seine Römische Trilogie fort. Der Aufbau und die zur Anwendung kommenden stilistischen Mittel sind im Wesentlichen die gleichen wie bei den Fontane: vier ineinander übergehende Stimmungsbilder, die inhaltlich kontrastierend angelegt sind. Die stilistische Palette weist einige Erweiterungen auf: Durch modale Harmonik, gregorianisches Melos und mittelalterliche Organumtechniken wird die Vergangenheit im zweiten Satz beschworen, während sich im dritten Satz durch Einbeziehung der Schallkonserve mit dem Gesang einer echten Nachtigall ein Wandel der Klangmalerei zur Klangphotographie vollzieht.

Die Feste romane (Römische Feste, 1928) stehen in ihrer musikalischen Substanz nicht mehr auf der Höhe der beiden anderen symphonischen Dichtungen: Über weite Strecken prägen sie jenen Monumentalstil aus, der sich bereits im Schlusssatz der Pini angekündigt hat und eine fatale Nähe zum offiziellen ‚Kunstgeschmack‘ des Faschimus erkennen lässt. Unüberhörbar ist eine Tendenz zum Lärmend-Banalen, zum hohlen Pathos; das poetische Moment, der inspirierte Augenblick tritt in den Hintergrund. Darüber hinaus läuft die Musik Gefahr, durch die teilweise ungehemmte Deskription von Vorgängen und Abläufen zu einer formlosen Ansammlung von Einzelmomenten zu verkommen und damit ihre Autonomie aufzugeben. Von den Feste romane ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Filmmusik: Die symphonische Dichtung hat Ende der zwanziger Jahre nicht nur längst ihren ‚kairos‘ überschritten, sondern auch ihre künstlerische ‚raison d'être‘ verloren.

Auf Betreiben seiner Frau Eisa Olivieri Sangiacomo, einer ehemaligen Schülerin, setzt sich Respighi intensiv mit der Welt des gregorianischen Chorals auseinander, aus der er Anregungen für eine Reihe neuer Kompositionen schöpft, wobei seine Intentionen darauf abzielen, die Gregorianik aus ihrer starren liturgischen Bindung zu befreien und das Melos in einen neuen klanglichen Kontext einzubetten. Es entstehen das Concerto gregoriano für Violine und Orchester (1921), die symphonischen Impressionen Vetrate di Chiesa (1922), die auf drei Klavierpräludien über gregorianische Melodien zurückgehen, ferner das Concerto in modo misolidio, für Klavier und Orchester (1925) sowie die Metamorphosen über 12 Modi (1930); in gewissem Sinn zählt zu dieser Gruppe auch die Toccata für Klavier und Orchester (1928) – Werke, die aus der Verbindung von archaisch anmutendem Kolorit und Respighis eigenem Idiom ihren besonderen Reiz ziehen.

Noch einmal werden subjektive Eindrücke und persönliche Erlebnisse in Musik gesetzt: das Trittico botticelliano (1927) liegt auf der Linie der Pini di Roma und ist zugleich als Huldigung an den großen Maler des Quattrocento, Sandro Botticelli, zu begreifen, während die lmpressioni brasiliane (1928) Respighis Erfahrungen und Eindrücke reflektieren, die dieser auf seiner ersten Brasilien-Reise gewonnen hat: Charakteristisch ist die Einbeziehung folkloristischer Elemente, so die Sambarhythmen im dritten Satz. Einen wesentlichen Aspekt im orchestralen Schaffen Respighis stellen die zahlreichen Bearbeitungen dar, seine schöpferische Auseinandersetzung mit der italienischen Musik der Vergangenheit: Das Spektrum reicht von Monteverdi – 1908 wird seine Version des Lamento d 'Arianna in Berlin durch Arthur Nikisch erstmals aufgeführt – bis hin zu Rossini, der zweimal das Material aus einigen seiner Gelegenheitskompositionen liefert: im Auftrag von Diaghilew entsteht das Ballett La Boutique fantasque (Der Zauberladen, 1919), sechs Jahre später die Orchestersuite Rossiniana (1925), in welcher der Süden Italiens durch Verwendung verschiedener Tänze wie Barcarole, Siciliana und Tarantella porträtiert wird. Unter den zahlreichen Bearbeitungen ragen zwei heraus: die Antiehe Danze ed Arie per liuto (Alte Tänze und Weisen für Laute), zusammengefasst in drei Suiten (1917, 1923, 1931), die neben den drei römischen Tonpoemen zu den bekanntesten Werken Respighis zählen und auf Lautenstücken des 16. und 17. Jahrhunderts basieren und die Suite für kleines Orchester Gli Uccelli (Die Vögel, 1927), in der Respighi auch französische Vorlagen aus dem 17. Jahrhundert miteinbezieht und auf höchst subtile Weise verschiedene Vogellaute imitiert. Bei diesen Bearbeitungen ist der schöpferische Eigenanteil Respighis höchst unterschiedlich: Die Spanne reicht hierbei von der schlichten Instrumentierung eines ansonsten unveränderten Tonsatzes bis hin zur völligen Neugestaltung des Ausgangsmaterials.
Norbert Christen

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.