Luigi Cherubini

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t1 Konzertführer
Luigi Cherubini
Luigi Cherubini

Florenz, 8. September 1760 – Paris, 15. März 1842

Geburts- und Sterbeort markieren die zwei topographischen Zentren für Leben und Werk des Maria Luigi Zenobio Carlo Salvatore Cherubini, dessen spätbarock-üppig anmutende Vornamensreihe seine Herkunft aus einer traditionsreichen Florentiner Musikerfamilie widerspiegelt, aber auch auf die Lebensdaten hinweist, auf ein Musikerleben über zwei, wenn nicht drei stilistische Epochen, denen Cherubinis Werk Rechnung trägt.
Zunächst in Florenz aufgewachsen und musikalisch ausgebildet, konnte Cherubini mit achtzehn Jahren bereits 36 Werke – zumeist Kirchenmusik – seinem letzten und renommiertesten Lehrer, Giuseppe Sarti, vorweisen und bald durch Sartis Unterweisung, der ein Meister der zweiten neapolitanischen Opernschule war, damit beginnen, die ersten seiner fast vierzig Opern zu komponieren.

Nach Reisen, die ihn über Paris nach London führten, ließ sich Cherubini 1788 endgültig in der französischen Hauptstadt nieder, Italien sah er nie wieder. Er wandte sich auch kompositorisch von den starren Schemata der italienischen Oper ab, wie er sie neben der Beherrschung des polyphonen Stils von Sarti gelernt hatte. Der in Paris herrschende Zwist zwischen den Gluckisten und den Piccinnisten blieb auch für Cherubini nicht ohne Wirkung: Er reformierte seinen Stil, dramatisierte ihn, vor allem in den Akkompagnato-Rezitativen, die er bei aller Begleitfunktion motivisch differenziert durchgestaltete; er erreichte so einen musikalischen Satz, der in seiner thematisch-motivischen Durcharbeitung und von dramatischer Präsenz geprägten Grundhaltung dem der Wiener Klassik ähnelte, ohne jedoch dessen Spezifika, Diskontinuität und frei einsetzende Impulse, aufzuweisen. Haydn und Beethoven schätzten den Italiener in Paris als einen ihrer bedeutendsten Zeitgenossen, der sich auch nach einer Schaffenspause 1806 bis 1808 – er war bei Napoleon in Ungnade gefallen – den neuartigen ‚romantischen‘ Strömungen nicht verschloss, sondern sie mit in sein Werk integrierte und dafür von Weber, Mendelssohn, Schumann, Brahms und Wagner bewundert wurde.
Die stilistischen Wechsel, die sich während Cherubinis langem Leben in der Musik ereigneten, finden ihren Niederschlag in seiner Musik, ohne dass er jedoch etwas von seiner ganz eigenen, fast solitären Entwicklung eingebüßt hat. Vielleicht zählt Cherubini, der einmal als ‚konservativer Revolutionär‘ bezeichnet wurde, deshalb zu den großen Einzelerscheinungen der Musikgeschichte, die keiner Schule, keinem Stil, keiner festen musikalischen Richtung zuzuordnen sind.

Während seine großen Opernerfolge – heute nur noch ablesbar an den sporadisch aufgeführten Ouvertüren – wie Lodoïska (1791), Médée (1797) und Les deux journées (Der Wasserträger, 1800) in die Zeit vor seiner kompositorischen Pause fallen, spricht aus Les Abencérages (1813), Ali Baba (1833), aus der einzigen Symphonie in D-dur (1815), den beiden Requien in c-moll und d-moll (1817; 1836) und auch den sechs Streichquartetten ein neuer Ton: komplexe, farbige Kontraste in Harmonik, Melodik und Themenerfindung, eine dramatisch-erregte Stimmung durch differenzierte Instrumentation und lyrisch-sensible Passagen voller gesanglicher Ausdruckskraft, ohne dass der einmal erreichte theatralische Impetus der Opernwerke eingebüßt worden wäre.
In den Ouvertüren, für die sich – wie für das ganze Werk von Cherubini – Arturo Toscanini vehement in Konzerten und auf Schallplatte eingesetzt hat, überzeugt vor allem die Freiheit über die Form, die sich Cherubini genommen hat. Fernab von weisungsgebundenen Stilschulen erprobte er die verschiedensten Formvarianten unabhängig von der beispielsweise in Wien fast verpflichtenden Sonatensatzform. Gleichzeitig kombinierte er die formale Gestalt mit einer ebenso eigenständigen melodischen Durcharbeitung und charakterisierender Instrumentation, sodass sich an den Ouvertüren als Mikrokosmos die vielfältige und differenzierte Welt seiner Opern abbildet.

Die Symphonie in D-dur (1815), die neben ausgewählten Ouvertüren und der Trauerkantate Chant sur la mort de Haydn (1809) für Sopran- und zwei Tenorstimmen und Orchester gelegentlich, doch zu selten zu hören ist, entstand in London, wo Cherubini die Möglichkeit hatte, die in Paris seltener gespielten Symphonien Haydns und Beethovens zu hören, und die deshalb auch als Ergebnis von Cherubinis Auseinandersetzung mit dem Satz der Wiener Klassiker angesehen werden kann. Trotz unleugbarer Anklänge an die vierte Symphonie von Beethoven im ersten, aber auch im dritten und vierten Satz gelingt es Cherubini, hier seine Opernhaltung gemäß den Anforderungen der Symphonie zu transformieren, eine durchsichtige, abwechslungsreiche Instrumentation zu schaffen und die opernhaften Formeln in eine symphonische Durcharbeitung einzubeziehen. Wie ihr Komponist selbst bleibt Cherubinis D-dur-Symphonie aber auch eine einzigartige Sondererscheinung in der musikhistorischen Topographie.
Irmelin Bürgers

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.