Symphonie Nr. 7 A-dur op. 92

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t1 Konzertführer
Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 7 A-dur op. 92

Die ersten Skizzen zur siebenten Symphonie Beethovens reichen bis ins Jahr 1806 zurück. Zwischen den preußisch-österreichischen Niederlagen von Austerlitz und Jena entwarf Beethoven den a-moll-Trauermarsch, den späteren zweiten Satz. Bereits zwei Jahre zuvor, nachdem sich Napoleon zum Kaiser gekrönt hatte, hatte Beethoven verbittert die Hoffnung aufgegeben, Napoleon könne Europa befreien. Immerhin hatte er ja noch die Eroica, seine dritte Symphonie, ihm zu Ehren komponiert (auch wenn er im letzten Moment die Widmung zerriss). Danach betrachtete er Napoleon als seinen persönlichen Feind und bekämpfte ihn mit ‚seinen‘ Waffen. In den darauffolgenden Jahren bis zu Napoleons endgültiger Niederlage entstanden zahlreiche wütend ‚in tyrannos‘ gerichtete Kompositionen – so die Coriolan-Ouvertüre (1807), die fünfte Symphonie (1808), die Musik zu Goethes Egmont (1810), die König Stephan-Ouvertüre (1811) und schließlich auch die antinapoleonische Programmsymphonie Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria op. 91 (1813).

Eingerahmt von diesen patriotischen Werken entstand zwischen 1811 und Mai 1812 die unprogrammatische Siebente als weitere „Symphonie gegen Napoleon“ (Harry Goldschmidt), als musikalische Vorwegnahme des Sieges über den Tyrannen, zu einem Zeitpunkt, da dieser gerade den Höhepunkt seiner Macht erreicht hatte. So mussten noch anderthalb Jahre vergehen, bis dieser Sieg wirklich gefeiert werden konnte: Die Uraufführung der Siebenten fand am 8.Dezember 1813 statt, sechs Wochen nach der Völkerschlacht von Leipzig (die Napoleons Untergang einleitete), und zwar anlässlich eines Wohltätigkeitskonzerts für die Invaliden aus den Napoleonischen Kriegen. Und von dieser triumphalen Erstaufführung an, bei der in der Wiener Universität neben Schuppanzigh, Spohr und Hummel auch der alte Salieri im Orchester saß, erklang die A-dur-Symphonie in allen weiteren Aufführungen, die Beethoven leitete, stets gemeinsam mit ihrer programmatischen Schwester, der Schlacht-Symphonie Wellingtons Sieg, und das jedes Mal begeistert zujubelnde Publikum verstand diese Werke von Anfang an als zusammengehöriges Paar, als Einheit von Kampf (op. 91) und Sieg (op. 92) über Napoleon. Bereits die nächste Generation war außerstande, den politischen Kontext mitzubedenken. Sie betrachtete die Symphonie als partikulares ‚Meisterwerk‘, rein musikalisch. Und seither sind die Ansichten geteilt. Weitaus die meisten Kritiker des Werkes vermissten das Poetische, das Lyrische, melodische Substanz. Carl Maria von Weber wollte Beethoven dafür sogar ins „Irrenhaus“ schicken. Hans Mersmann, der bedeutende Beethoven-Forscher unseres Jahrhunderts, sprach vom „absoluten Gipfel der Gestaltlosigkeit“, Wagner nannte sie die „Apotheose des Tanzes“, Romain Rolland eine „Orgie des Rhythmus“.

Der Rhythmus ist in der Tat das beherrschende Element dieser Symphonie. Wenn, wie Dietmar Holland weiter oben (S. 238) behauptet, die Sechste „die epische Schwester der dramatischen, geballten Fünften“ ist, dann darf die Siebente den Anspruch erheben, Beethovens „rhythmische Symphonie“ zu sein. Das Rhythmische, das in Gestalt von vier einfachen Formeln jeden der vier Sätze so eindrucksvoll dominiert und kontrolliert, ist aber niemals Selbstzweck, sondern von der ‚Idee‘ getragen, kollektives (anstatt individuelles) Empfinden musikalisch glaubwürdig zu gestalten. So kennzeichnet bereits den ersten Satz, der nach einer geheimnisvollen langsamen Einleitung im Vivace-Teil von einer einzigen daktylisch punktierten 3/8-Figur monothematisch beherrscht wird, das kollektive Gefühl eines gemeinsam errungenen Sieges: Überall herrscht Siegesstimmung, Taumel, Freude. Und wenn nach der ersten Fermate (in Takt 27) das gesamte Orchester mit dröhnendem Fortissimo plötzlich in den pastoralen Frieden von Flötenmelodie und ruhenden Bordunklängen einbricht und das Hauptthema laut und polternd wiederholt, dann scheint es, als ob die ganze Menschheit in Bewegung gerate und vor Freude miteinander zu tanzen beginne.

Auch der zweite Satz, eine periodisch gebaute, freie Variationenfolge, basiert auf einem einheitlichen daktylisch-spondäischen Sehreitrhythmus und schildert gemeinschaftliches Erleben und Empfinden: Die Tempovorschrift ‚Allegretto‘ mag irreführend sein, da es sich um einen stilisierten Trauermarsch handelt; im Unterschied zum Heldenbegräbnis in der Eroica ist es das idealisierte Totengedenken der siegreichen Aufständischen gegen die Tyrannenherrschaft. Während in der Eroica ein wirklicher (und darum auch ausdrücklich so bezeichneter) Trauermarsch für einen toten Helden, für Prometheus, erklang, transzendiert der ‚heitere‘ Trauermarsch der Siebenten zum ideellen Marsch aller befreiten Völker in eine bessere Zukunft.

In den beiden letzten Sätzen, dem furiosen ‚Scherzo‘ (Presto) und dem fröhlich polternden Finale (Allegro con brio), tritt der Rhythmus wieder in reiner, entfesselter Gestalt in Aktion und entfacht einen wahren Wirbelsturm von mitreißender Tanzbewegung. Der schwer errungene Sieg muss ausgiebig genossen werden! Diese Explosion kollektiver Seelenenergie reißt jeden, der sich ein wenig Lebensfreude bewahrt hat, in seinen Strudel fröhlichster Gefühle und hat vermittelnde Worte nicht nötig. Kaum bekannt ist aber, dass Beethoven im Schlusssatz einer Reihe ‚fremder‘ Stilelemente einbezieht, aus der damals in Wien gerade bekannt gewordenen ungarischen Werbungsmusik. Einerseits faszinierte Beethoven der naturwüchsig-wilde, rebellisch-stolze Gestus des verbunkos, der frisch und unprätentiös wirkte, andererseits konnte er auch mit dem patriotischen Anliegen dieser Musik konformgehen, denn sie verstand sich als musikalische Manifestation des glühenden ungarischen Freiheitswillens. Es war wie frisches Blut für Beethovens Herzensappell, für diese Verbrüderungsinitiative in A-dur.
Attila Csampai

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.