Symphonie Nr. 1 C-dur op. 21

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t1 Konzertführer
Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 1 C-dur op. 21

Und bereits in seiner ersten Symphonie zeigt sich Beethovens reflektierte Distanz zur Gattung, auch wenn sich bis heute das Vorurteil gehalten hat, es handle sich bei seinen ersten beiden Symphonien um leichte, unausgereifte Jugendwerke ganz unter dem Einfluss Haydns und Mozarts. Es mag sein, dass, verglichen mit den Schroffheiten der Eroica, die klaren Proportionen, der jugendliche Optimismus, die Frische der ersten Symphonie noch zu verhalten, zu unbeschwert, zu harmlos wirken, dennoch hat Beethoven bereits hier seine Sprache, seine unverwechselbare Physiognomie gefunden und den Weg, der zur Eroica führt, eingeschlagen. Mit Mozart verbindet ihn ohnehin weniger, und so versucht er erst gar nicht, das menschlich-körperliche Antlitz, das dramatische Handeln seiner musikalischen Gestalten nachzuahmen; er knüpft eher an Haydns instrumental konzipierte, experimentell-konstruktive Satztechnik an und übernimmt auch etwas von dessen sprödem Humor. Gleichwohl vermag sich Beethoven mit dem ersten Akkord der C-dur-Symphonie auch von diesem abzusetzen: Die langsame Einleitung beginnt nämlich mit einem dissonanten Septakkord, der in eine Kadenz in der falschen Tonart (F-dur) mündet, sodass die Symphonie erst im achten Takt zu ihrer eigentlichen Grundtonart findet. Man spürt zwar die Nähe Haydnscher Symphonie-Einleitungen und bemerkt vielleicht auch die Anspielung auf den Beginn des Trios in Mozarts Jupiter-Symphonie, aber Beethovens starker Wille, diesen uneigentlichen Beginn konsequent zu Ende zu denken und der Musik ideelle Kraft und Ausstrahlung zu verleihen, hat schon hier die Diskretion Haydns und Mozarts längst überwunden. Beethovens provozierend moderne Haltung äußert sich auch im Menuett, das in seiner radikalen rhythmischen Gleichförmigkeit, seinem motorischen Drive, jede Beziehung zu dem ehemaligen höfischen Tanz leugnet. Diese letzte Reminiszenz der barocken Suite innerhalb der klassischen Symphonie, die Haydn und Mozart in jahrzehntelanger Arbeit kunstvoll überhöhten, wird von Beethoven einfach abgeschafft und durch einen – seinem neuen Selbstverständnis gemäßen – bürgerlichen Scherz ersetzt (die Bezeichnung ‚Menuetto‘ verwendet er hier zum letzten Mal). Daneben ist aber vor allem der neue Ton seiner Musik, der Beethovens Eigenständigkeit manifestiert: denn alle erst der Eroica zugeschriebenen Charakteristika seines ‚reifen Stils‘ – seien es hitziger Ton, agitatorische Haltung, emphatischer Tonfall oder schroffe Klanglichkeit – sind bereits in der ersten Symphonie substantiell enthalten.

Am deutlichsten wird Beethovens aufrüttelnde Tendenz in der Durchführung des ersten Satzes, wenn an dessen Höhepunkt die martialische Bläserfigur sich im plebejischen Geist über die Musik erhebt und mit einer sieghaften Geste die revolutionären bürgerlichen Ideale pathetisch beschwört – in diesem Augenblick glaubt man den Wind der Französischen Revolution zu spüren.
Attila Csampai

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.