Sinfonietta

Zurück
t1 Konzertführer
Leoš Janáček
Sinfonietta

Den Anstoß zur Entstehung dieses Werkes gab ein großes nationales Turnfest in Prag, für dessen festlichen Bedarf die Musik des ersten Satzes ursprünglich als selbständige Fanfare gedacht war. Geschrieben für neun Trompeten, zwei Tenortuben, zwei Basstrompeten – also lauter Blechbläser, zu denen sich zwei Paare von Kesselpauken zugesellen –, bildet sie den überaus ungewöhnlichen, sehr glanzvollen Beginn eines verhältnismäßig kurzen Musikstücks, dessen nächster Satz für Streicher, Holzbläser und vier Posaunen seine Inspiration unverkennbar aus den reichen Quellen mährischer Volksmusik zu schöpfen weiß. Für das wunderbare Moderato des dritten Teils mit seiner strömenden Melodik können wir wohl Erinnerungen an schwärmerische, auch schmerzliche Episoden aus dem Leben des Komponisten als Inspiration heranziehen. Allerdings hat sich der Komponist in einem erst später erstellten und veröffentlichten ‚Programm‘ der Sinfonietta bemüht, seine Invention zu versachlichen und auf tragischere allgemeine Momente – die Gefängnisse im Brünner Spielberg und deren nächtliche Schatten und Seufzer – hinzuweisen. Im vierten Satz haben wir es mit Variationen auf ein von der Eingangsfanfare abgeleitetes Thema zu tun, das von den Trompeten vorgestellt wird. Die Atmosphäre tänzerischer Ausgelassenheit ist nicht wegzudenken und ihr Temperament war wohl Janáček nicht nur in seiner Musik zu eigen. Das Blatt wendet sich – der fünfte Satz beginnt mit ernsten Gedanken, die nach geballter Steigerung der Musik einer freudigeren Stimmung weichen, um schließlich nach der bei vielen Komponisten so beliebten Überwindung der letzten Krise wiederum der vom Unisono der zwölf Trompeten eingeführten martialischen Fanfare des Anfangs Platz zu machen.

Janáček hat sein Werk der tschechoslowakischen Armee gewidmet, zur definitiven Bezeichnung als ‚Militärsinfonietta‘ kam es jedoch nicht. Der Autor, der oft nach literarischer Begründung seiner kompositorischen Erfindung suchte, hat über dieses Werk – wiederum mit zeitlichem Abstand – geschrieben, dass er hier den „freien tschechischen Menschen, die Freude und Schönheit seiner Seele, auch seine Kraft und den Mut, durch Kampf zu siegen“ besingen wollte und betonte ein anderes Mal, dass er hier wohl „am besten traf, den einfachen tschechischen Menschen nahe zu sein“. In einem Brief vom 29. März 1926 an Karnilla Stösslová erwähnte Janáček, dass er soeben „eine gar nette Sinfonietta mit Fanfaren“ beende, und schon am 26. Juni 1926 kann er sein neues Opus in einem Konzert der Tschechischen Philharmonie im Rahmen des Prager Turnerfests unter der Leitung von Vaclav Talich hören.
Pavel Eckstein

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.