Karlheinz Stockhausen

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t1 Konzertführer
Karlheinz Stockhausen
Karlheinz Stockhausen

geb. Mödrath bei Köln, 22. August 1928 – gest. Kürten-Kettenberg, 05. Dezember 2007

Karlheinz Stockhausen war nach 1945 der wohl kompromissloseste Sucher und Finder neuer Klangwelten und damit auch einer der fruchtbarsten Anreger und Impulsgeber der Neuen Musik. Nach dem Schulmusikstudium in Köln (1947 bis 1951) und dem Kompositionsunterricht bei Frank Martin offenbarten sich ihm bei den ‚Darmstädter Ferienkursen‘ neue ungeahnte Möglichkeiten seriellen Komponierens. Messiaens Klavieretüde Mode de valeurs et d’intensités, diese, wie er es nannte, „phantastische Sternenmusik“, war ihm ein Initialerlebnis. Sowohl seine rationalistisch-technische Begabung als auch seine mystisch-irrationale Veranlagung, die sich gern in kosmischen Metaphern ausdrückt, sind nachhaltig angeregt worden. Bei Pierre Schaeffer in Paris arbeitete Stockhausen mit konkreten und elektronischen Klängen. Beeinflusst auch von der filigran-equilibristischen Musik des späten Anton Webern, arbeitete Stockhausen in den wichtigen Orchesterwerken der frühen fünfziger Jahre an der Durchstrukturierung aller Dimensionen des Klangmaterials. Im frühen Spiel (1952) erinnern die Tonkonstellationen an „Kristallblumen“. Rhythmisch, farblich und dynamisch genau kalkulierte Klangereignisse bestimmen auch die atomistisch durchstrukturierte Musik der Punkte (1952, revidiert 1962) und der Kontrapunkte (1952 / 53), für deren „lebendiges Ganzes jedes noch so kleine Teilchen“, selbst die Negativformen der Pausen, „wichtig und gut“ sind. Ging es zunächst um die komplizierte „neue Ordnung des Klangs in der Zeit“, so bald auch um die Disposition im Raum: etwa in den wichtigen Gruppen für drei Orchester (1955 bis 1957) oder in Carré für vier Chor- und vier Orchestergruppen (1959/60), Überlagerungen mehrerer Zeit- bzw. Temposchichten, wandernde Klänge im Raum, einander kreuzend und durchwebend. Tradiert vermittelte Formvorstellungen sind in Carré endgültig überwunden. Die Konzentration bezieht sich auf das Jetzt. Vertikale Schnitte sind in jedem Augenblick möglich, „Schnitte, die eine horizontale Zeitvorstellung quer durchdringen bis in die Zeitlosigkeit, die ich Ewigkeit nenne: eine Ewigkeit, die nicht am Ende der Zeit beginnt, sondern die in jedem Moment erreichbar ist“. Mit synthetischen Mitteln gelang es Stockhausen in der berühmten elektronischen Komposition Gesang der Jünglinge im Feuerofen (1955/56), auf ähnliche Weise Stimme, Klang und Geräusch in eine imaginierte Raumzeit zu verweben.

Nach den determinierten Strukturen und den richtungweisenden Ergebnissen mit Formmobiles, Aleatorik und gelenktem Zufall versenkte sich Stockhausen seit den späten sechziger Jahren zunehmend in mystisch-okkulte Klangvorstellungen. Symbolbefrachtete Tonkonstellationen wurden Grundlage für meditatives, gelegentlich von Live-Elektronik durchwirktes Musizieren. Am Puls des oszillierenden Universums sollen die Spieler etwa bei
Ylem (1972) fühlen, einer Musik, „die am besten gelingt, wenn die Spieler telepathische Verbindung untereinander (sie spielen mit geschlossenen Augen) und mit einem Dirigenten haben, der in der Saalmitte äußerst konzentriert zuhört, aber sonst nicht in Aktion tritt“ (Stockhausen).

Ab 1977 beschäftigte sich Stockhausen nahezu ausschließlich mit seinem großen, siebenteiligen Opernzyklus Licht. Begonnen wurde das gewaltige Werk mit einer Ballettkomposition, die auch als reine Orchesterversion gespielt werden kann: Der Jahreslauf (die Originalfassung ist für das Kaiserliche Gagaku-Ensemble in Japan komponiert), der in den Dienstag integriert wurde. Viele Teile des Opernkomplexes wurden ausgeklinkt und können auch konzertant gegeben werden. Darunter ist freilich viel Kammermusikalisches, am spektakulärsten wohl das so genannte Helikopterquartett. Auf orchestralem Gebiet erregte das parallel in zwei Räumen aufzuführende Stück Hoch-Zeiten, das 2003 auf Gran Canaria uraufgeführt wurde, die größte Aufmerksamkeit. Es sind zwei zusammengehörige Chor-Orchester-Stücke, die indes nur imaginär verbunden sind, vom Publikum aber nacheinander gehört werden (es bleibt, in zwei Hälften geteilt, in seinem jeweiligen Saal, zur Pause wechselt das Orchester). Allein elektronische Fenster lassen kurzfristig Klänge aus dem Paralleluniversum vernehmen.

Helmut Rohm

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.