Symphonie Nr.103 Es-dur (Mit dem Paukenwirbel)

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t1 Konzertführer
Joseph Haydn
Symphonie Nr.103 Es-dur (Mit dem Paukenwirbel)

Die Symphonie Nr.103 wurde genau einen Monat später als die Nr. 102 zur Uraufführung gebracht (am 2. März 1795 im King's Theatre London) und erstaunte von Anfang an die Zuhörer wegen ihres solistischen Gebrauchs der Pauke am Beginn. Heinrich Eduard Jacob hat darauf hingewiesen, dass Haydn diesem Instrument ganz neue Wirkungen abgewann: „Bekanntlich ist die Pauke kein grobes, sondern im Gegenteil ein sehr empfindlich-nervöses Instrument.“ Das macht Haydn zum ersten Mal wirklich hörbar, später auch in den leisen Paukenschlägen der Missa in tempore belli (1796), dort allerdings nicht als Effekt von Erwartung, sondern der Bedrohung (durch Napoleons anrückendes Heer). Den berühmten Paukenwirbel des ersten Taktes der langsamen Einleitung zur Symphonie Nr. 103, der dieser Symphonie den (nicht authentischen und quellenmäßig nicht nachweisbaren) Beinamen gab, versieht Haydn mit der Bezeichnung Intrada, was an ältere Musizierpraktiken erinnert, etwa an Eingangsfanfaren zu Opernvorstellungen (man denke nur an Monteverdis Orfeo), und mit einem Abschwellen der Klangstärke, was für damalige Begriffe höchst modern gewesen sein muss (daher der Beiname der Symphonie). Aber das ist nicht das einzig Erstaunliche an dieser außergewöhnlichen Einleitung. Im Gegensatz zu anderen Einleitungen Haydns enthält sie ein sechstaktiges Thema, das dreimal in Varianten wiederholt wird und jedes Mal in einer zweitaktigen Kadenz gipfelt. (Dadurch wird dann doch wieder das Prämissenhafte, Vorläufige, eben das ‚Einleitende‘ betont.) Und vor allem: Es kehrt im Hauptsatz (Allegro con spirito) mehrfach wieder, zunächst ganz unscheinbar, kurz vor dem Eintritt des volkstümlich-tänzerischen Seitenthemas, dann in der Mitte der Durchführung und schließlich in der Reprise, jetzt sogar im Tempo der langsamen Einleitung und mit dem Paukenwirbelbeginn. So etwas wie diese Wiederholung der Einleitung am Ende des Hauptsatzes gab es bisher noch nicht. Der Uraufführungsbericht sprach denn auch von „the deepest attention“, die das erregte, und ist es nicht auch mehr als Zufall, dass der Anfang der ersten thematischen Phrase dieser Einleitung an die Intonation des Dies irae unüberhörbar anklingt? Mag Haydn daran gedacht haben oder nicht, jedenfalls stimmt diese Anspielung gut zu dem geheimnisvollen Eröffnen, das er ganz sicher im Ohr hatte, als er auf den originellen Gedanken verfiel, so auf die Symphonie vorzubereiten, ja zum ersten Mal Einleitung und Hauptsatz zu integrieren, in einen auskomponierten, zusammenhangvollen Gegensatz zu bringen.

Ähnliches geschieht ja auch mit den beiden Themen der Doppelvariationen des langsamen Satzes: Sie sind selber Varianten voneinander, obwohl es zwei verschiedene Volksmelodien sind, die Haydn hier zusammenspannt. Das fremdartige Kolorit (Zigeunertonleiter im ersten und lydische Quart im zweiten Thema) ist bis heute nicht verblasst: „Denn diese Synthese von einem Volkslied und einem gedämpft hinstelzenden Marsch, mit ihrer sich selbst aufhebenden Plumpheit, ist von so fremdartiger Harmonik und neuer Instrumentierung durchtränkt, dass sie wie spätromantische oder neuromantische Musik klingt“ (H. E. Jacob).

Der ‚volkstümliche‘ Charakter des Menuetts ist ein weiteres instruktives Beispiel für Haydns Art, den höfischen Tanz umzudeuten in eine Äußerung des dritten Standes, in diesem Fall mit ausdrücklichen Jodlergesten (Wiederholungen!) und stampfendem Betonen des Metrums. Doch die Krone der Symphonie ist das Finale, eine der ingeniösesten Formerfindungen Haydns überhaupt. Ist es ein Rondo, eine Sonatenform oder irgendein anderes ‚Schema‘? Nein, es ist der Versuch, auf drei verschiedenen Wegen zum Abschluss zu kommen. Das mag eine simple Fragestellung sein, aber wie das Haydn konkret-musikalisch beantwortet, das bezeichnete H. C. Robbins Landon mit Recht als „sophisticated“, was ja nichts Anderes bedeutet als das italienische ‚con spirito‘, das Haydn dem Satz beigab. Wie sich hier Buffo-Tonfall, kontrapunktische Meisterschaft und strengste thematische Integration miteinander verbinden, ohne dass die Musik ins Schwitzen käme, das gehört zu den Geheimnissen Haydns, von denen das 19. Jahrhundert nichts wissen wollte, wenn es solche Sätze als ‚Kehraus‘ bezeichnete. Und es ist sicher kein Zufall, dass Haydn zwei Schlüsse komponierte, von denen er den späteren als den endgültigen ansah, sicherlich auch, weil es hier noch einmal die Pauke ist, die verantwortlich ist für die letzte Steigerung und so den Kreis der Symphonie schließt. Sie hatte das erste und behält das letzte entscheidende Wort.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.