Instrumentalkonzerte

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t1 Konzertführer
Joseph Haydn
Instrumentalkonzerte

Nach dem Hoboken-Verzeichnis müssen nahezu ein halbes Hundert Instrumentalkonzerte von Haydn existiert haben, gespielt werden heutzutage gerade noch ein halbes Dutzend. In keinem Bereich des Haydnschen Schaffens herrscht vergleichbare Unklarheit, was die genaue Zahl und Überlieferung der Werke angeht wie bei den Konzerten. Autographe kamen abhanden, sind nur in Skizzen überliefert, oder die Noten wurden bei einem der Brände vernichtet, die in den Jahren 1768 und 1776 das Haus Haydns und im Jahre 1779 das Opernhaus von Esterháza fast völlig zerstörten. In die oftmals abenteuerlich anmutende Überlieferungsgeschichte schlich sich zudem das eine oder andere Werk ein, das Haydn überhaupt nicht zugeschrieben werden kann. Aber es liegt in der Gattung des Instrumentalkonzerts selbst begründet, weshalb sich eine Unzahl von Werken und äußerst lückenhafte Überlieferung gegenüberstehen: Vor allem für einen Komponisten an einer höfischen Kapelle wie Haydn hatten Solokonzerte einen grundsätzlich anderen Status als die übrige symphonische Musik. Hier hieß es, für den Tag, den Anlass und den Solisten zu schreiben. Maßgebend waren der individuelle Leistungsstandard des Instrumentalisten und der geschmackliche Anspruch des Auftraggebers – in diesem Fall des Fürsten Esterházy – und nicht das Experimentieren und intellektuelle Spiel mit den Mitteln der musikalischen Sprache, wie es sonst Haydns symphonische oder kammermusikalische Vorgehensweise war. So gesehen kann es auch kaum verwundern, dass die drei bedeutendsten Konzerte für Klavier, für Violoncello und das für Trompete aus den achtziger und neunziger Jahren stammen, also relativ späte Werke sind, aus einer Zeit, in der Haydn die Grundlagen für die Spezifika des Wiener klassischen Stils geschaffen hat. „Ich war auf keinem Instrument ein Hexenmeister, aber ich kannte die Kraft und Wirkung aller...“ Diese Aussage Haydns gegenüber seinem Biographen Griesinger bringt seine Intentionen auf den Punkt: Haydn war gewissermaßen Demokrat im Umgang mit den Instrumenten, die Zurschaustellung und das Virtuosentum entsprachen nicht seiner kompositorischen Denkweise, deren Maximen vielmehr von der Aufklärung geprägt waren: Geist, Verstand und Geschmack.

Und so muss Haydns Konzerten der Rang von Gelegenheitswerken zugewiesen werden, die ad hoc auf einen bestimmten Solisten zugeschneidert werden mussten, ohne dass sich Haydn dabei aber als Komponist verleugnete. Auch fünf der sechs Konzerte, die – selten genug – im Konzertsaal zu hören sind, wurden für einen namentlich bekannten Instrumentalsolisten geschrieben: das C-dur-Violinkonzert (um 1770) für den Konzertmeister der Esterházyschen Kapelle, Luigi Tomasini, einen wirklichen Virtuosen der Geige, wovon die hohen Anforderungen an die Spieltechnik zeugen. Die beiden Cellokonzerte in C-dur und D-dur (um 1780 bzw. 1783) entsprachen der Virtuosität Anton Krafts, der auch Haydns Kompositionsschüler war; für den Hoftrompeter Anton Weidinger schrieb Haydn 1796 das Es-dur-Trompetenkonzert, das späteste der überlieferten Solokonzerte. Die beiden Klavierkonzerte Nr. 4 in C-dur und Nr. 11 in D-dur (beide um 1782) schrieb Haydn wohl für sich selbst, bekannte er doch: „Ich war kein schlechter Klavierspieler.“ Das Oboenkonzert in C-dur schließlich ist ein Beispiel für die Misere in der Überlieferung Haydnscher Konzerte: Nur in einer ungesicherten Abschrift existierend, wird es unter Vorbehalt Haydn zugeschrieben und aufgeführt.

Von den beiden Cellokonzerten ist zweifellos das D-dur-Konzert (Hob. VIIb: 2) dem früheren Schwesterwerk in C-dur sowohl in der Behandlung des Cellos als auch des Orchesters an Niveau und Qualität überlegen. Haydn verknüpft die drei Sätze durch thematische Verwandtschaft und baut im umfangreichen Allegro moderato-Kopfsatz ganz auf die Präsenz des Soloinstruments. Das Orchester kommt dabei kaum über seine zurückhaltende, aber sensible Begleiterfunktion hinaus. Trotzdem gelingt es Haydn durch kompositorische Unorthodoxie und den ihm eigenen Witz, vor allem in der Durchführung, eine einseitige Vorstellung des Solisten zu vermeiden, der alle Register seines Könnens ziehen muss. Haydn hat sich nicht nur in diesem Konzert gescheut, ein aufgeblasenes, hohles Werk zu schreiben, das unter krasser Disproportion von Soloinstrument und Orchester zu leiden hat. Nach dem Adagio, einem einzigen, ruhigen und kantilenen Spannungsbogen, zieht Haydn aus dem Beginn des zweiten Satzes das Rondothema. Während das Orchester seine tanzmusikartige Haltung nur durch Instrumentationsvarianten belebt, zeigt das Violoncello noch einmal die ganze Breite seiner technischen Möglichkeiten und musikalischen Ausdrucksfähigkeit, besonders im düster-dramatischen Minoreteil. Der Charakter des Instruments – auch dies eine Gemeinsamkeit der Haydnschen Konzerte – prägt den Charakter des Konzerts, im Fall des Cellos gemäß der zeitgenössischen Forderungen, möglichst große Nachahmung des menschlichen Gesangs. Das Klavierkonzert in D-dur (Hob. XIII: 11) ist eines der wenigen Konzerte Haydns, das schon zu dessen Lebzeiten veröffentlicht wurde, meist blieben die handgeschriebenen Noten in den Händen des Solisten. Wie auch beim Cellokonzert bestimmt wiederum der Charakter des Instruments in weiten Teilen die Faktur des Werkes. Besonders deutlich wird dies beim Problem des ‚doppelten Anfangs‘, der Wiederholung der Orchesterexposition durch das Soloinstrument. Um hier der Gefahr einer plumpen Verdoppelung zu entgehen, vernetzt Haydn virtuose Figurationen des Solos mit der relativ selbständigen Begleiterfunktion des Tutti, arbeitet mit motivischen Partikeln aus dem thematischen Material in der Art des von ihm entwickelten diskontinuierlichen Stils und erreicht damit das Gegenteil von bloßer Abbildung: Der Satz gewinnt vitalen Schwung, in dem sich das Klavier nicht in ausschweifenden Partien zelebriert und ihm sogar im Wechsel mit dem Orchester zu federnder, rhythmisch-prägnanter Eleganz verhilft. Die große melodiöse Linie arbeitet der zweite Satz, Un poco adagio, und im Schlusssatz wiederum setzt Haydn auf abwechselnde Reize, die er dadurch steigert, dass er ihn mit dem in der Zeit beliebten ‚exotischen‘ Temperament koloriert. Ob die Thematik des Rondo all'Ungherese nun original aus der magyarischen Volksmusik stammt oder wie in der Forschung behauptet, eher aus dem bosnisch-dalmatinischen Raum, tut der Qualität des Finales keinen Abbruch. Das Klavier lebt hier seine rasche Modulationsfähigkeit auch im Bereich der Klangfarben aus, unvermittelt bricht in die farbige Tanzszenerie ein A-dur-Adagio ein, wie eine getragene Reminiszenz, bevor das schwungvolle Treiben dem Satz ein Ende macht. Haydns einziges Trompetenkonzert in Es-dur (Hob. Vlle: I; 1796) – sein letztes Solokonzert – entstand auf Grund einer Erfindung: Anton Weidinger, für dessen Tochter Haydn 1797 als Trauzeuge auftrat, entwickelte in den neunziger Jahren eine Klappentrompete, die über die Naturtöne hinaus weitere chromatische Töne ermöglichte. Auch Johann Nepomuk Hummels Konzert war für Weidingers „organisirte“ Trompete gedacht, die sich gleichwohl gegen die wenig später aufkommende Ventiltrompete nicht behaupten konnte. Und doch verdanken wir diesem ‚Seitensprung‘ der Instrumentengeschichte das bedeutendste, auf höchstem kompositorischem Niveau stehende Instrumentalkonzert Haydns.

Waren schon bei den beiden anderen, späten Konzerten aus den achtziger Jahren, dem Cello- und dem Klavierkonzert, die Spezifika des Instruments ausschlaggebend für die Komposition, so verknüpfen sich hier die Forderungen der Trompete und ihres Spiels mit Haydns voll entwickeltem Instrumentalstil, mit dem, was gemeiniglich der Stil der Wiener klassischen Musik genannt wird. Das Trompetenkonzert ist in dieser Hinsicht nicht nur das reifste, sondern auch das originellste der Konzerte, weil Haydn die Notwendigkeit, für die Trompete nur in kurzen, atemgerechten Phrasen schreiben zu können, für seine Zwecke auslegt, das heißt das musikalische Geschehen mit kleinen, disparaten Motiven ausfüllt. So gesehen, entspricht das Trompetenkonzert aufs Beste Haydns kompositorischem Verfahren. Schon der erste Satz ist ein höchst differenzierter Sonatensatz in festlichem Es-dur, dessen Höhepunkt in der kunstvollen Durchführung liegt, Virtuosität und symphonischer Gestus behaupten sich gleichermaßen. Im As-dur-Andante kommen die chromatischen Möglichkeiten von Weidingers Trompete naturgemäß am besten zur Geltung, wobei es Haydn nicht versäumt, diese Romanze auf subtile Weise an den Kopfsatz in Harmonik und Melodik zu binden. Auch das erste Tutti des Finales erinnert an das Anfangstutti, beginnt dann aber einen detaillierten Wechsel der Motive und Signale, der aus dem formal einfach konzipierten Rondo einen Schlusssatz bester Haydnscher Prägung macht, voller Witz und Esprit, voller Freude am musikalischen Spiel.

lrmelin Bürgers

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.