Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-moll op.102

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t1 Konzertführer
Johannes Brahms
Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-moll op.102

In seinem Doppelkonzert (1887) verweigert Brahms ein vordergründig virtuoses Werk, auch bietet er kein wiederbelebtes Concerto grosso oder eine aktualisierte Version des Beethovenschen Tripelkonzerts an, sondern er präsentiert die konzertante Erzählung zweier Instrumente. Seine Erzähler sind keine sich produzierenden Selbstdarsteller, die mit Furore die Bühne betreten, nachdem das Orchester den Auftritt vorbereitet hat, sondern unprätentiös, ohne protzige Kadenz stellen sie sich gleich zu Beginn vor. Es wird zu einem spannenden, nicht die Sinne betäubenden Erlebnis, zu verfolgen und zu erfahren, was Orchester und Solisten allein durch das erste Thema mitteilen.

Dieses Thema ist, wenn die Solisten zum ersten Mal auftreten in den Erzählfluss des Orchesters, ein anderes geworden: Es wächst um zwei Takte, wird detaillierter, konturierter und damit komplexer. Allein der Gang der Erzählung, des Satzes, vollzieht sich nicht nur an diesem einen Thema. Es wird im harmonischen Bereich nicht von einer oder zwei thematischen Figuren berichtet, wie dies im Andante-Satz geschieht, sondern hier vollzieht sich die Handlung auf der Ebene der formalen Struktur. Der Satz bietet neue Gedanken, neue thematische Kombinationen, die die Frage provozieren: Was ist geschehen? Was hat sich verändert? Was ist neu? Brahms bedient sich differenzierter Erzählstrategien: Er lässt beide Instrumente gleichzeitig reden, erlaubt einmal der Violine, dann dem Cello, das Primat des Vortrags zu übernehmen, verschmilzt beide zu einem einzigen homogenen, wortgewaltigen Erzähler. Daneben steht das Orchester als teils gesonderter, teils miteinbezogener Partner. Als drittes Thema wird das a-moll-Violinkonzert von Viotti zitiert: nicht nur eine kurze Reminiszenz, sondern ein gültiger Beweis auch musikalischer Intertextualität.

Brahms gibt während des ganzen Satzes das Prinzip strukturierten Erzählens an keiner Stelle zugunsten bloß tradierter Konvention auf, verzichtet beispielsweise auf eine pompöse Kadenz.
Der langsame Satz verfährt nicht nach den Regeln sukzessiven Erzählens: Er gewinnt die Komplexität seiner Aussage nicht aus der Abfolge formal geschlossener thematischer Gedanken, sondern aus dem immer dichter werdenden Verlauf verschiedener Strömungen, die schließlich in einem Moment der Gleichzeitigkeit zusammenfließen. In dem dreiteilig angelegten Andante mündet am Ende die Melodie der Solisten aus dem Mittelteil in das erste Thema, gleichzeitig verbinden die begleitenden Holzbläser den ersten und den mittleren Teil in ihrer Passage, und zu der abschließenden Solistenkadenz klingt der Quartenruf der Hörner, der in den beiden ersten Takten den Satz eingeleitet hatte. In dieser Engführung werden all die heterogenen Elemente des Satzes verbunden und zusammengeschmolzen zu einer synchronen Aussage. Ein Verfahren, das nur in der Musik, nicht aber in der Sprache möglich ist. Der dritte Satz entspricht wohl mehr als die beiden vorangegangenen den Vorstellungen eines kunstfertigen, mit Finessen versehenen Solistenkonzerts. Er ist vitaler, schwungvoller, auch leichter eingängig als der gewaltige erste Prosasatz und auch einfacher in der musikalischen Aussage als der verdichtete, konglomerierte Andante-Satz. Und doch oder gerade deshalb bedingt das Konzert als sinnvolle, ökonomisch konzipierte Einheit den Satz. Diese lebhafte Burleske stellt den Ausgleich her zu den beiden schweren Sätzen, vollendet die Erzählung der beiden Instrumente mit einem humorigen Finale, das vor rhythmischer und charakterlicher Pointiertheit strotzt und die Fähigkeiten der Solisten eindeutig unter Beweis stellt.
lrmelin Bürgers

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.