Die vier Ouvertüren (BWV 1066-1069)

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t1 Konzertführer
Johann Sebastian Bach
Die vier Ouvertüren (BWV 1066-1069)

Bachs Ouvertüren (wie er sie selbst nennt) sind Orchestersuiten. Mit ihnen stehen wir am Ausklang dieser großen Gattung. Vier dieser Orchestersuiten sind uns von Bach überliefert, obwohl er vermutlich mehr komponiert hat. Mit Hilfe von stilkritischen Methoden konnte man für die Suiten Nr. 1-3 eine Entstehung in der Köthener Zeit (1717 bis 1723) wahrscheinlich machen; Nr. 4 stammt, wenigstens in ihrer heutigen Fassung, aus der Leipziger Zeit (um 1725).

Bachs Benennung rührt von den Einleitungssätzen her, bei denen es sich jeweils um eine ‚französische Ouvertüre‘ mit der charakteristischen Folge von langsam-schnell-langsam handelt, gegenüber dem italienischen Concerto ein deutlicher Bezug auf die gleichgewichtige französische Stilsphäre der Zeit. Dort hatte zuerst Jean-Baptiste Lully, der Begründer der französischen Oper, zwei- oder dreisätzige Ouvertüren als instrumentale Einleitungen seiner Opern komponiert. Der Formtyp verbreitet sich rasch über das musikalische Europa und wird in die Orchestersuite, der ebenso höfischen wie zunehmend öffentlich-profanen Konzertmusik, als repräsentatives Entree integriert.

Suite Nr. 1 (C-dur) weist mit elf Sätzen die größte Zahl auf und zeigt wegen des Überwiegens von Satzpaaren gleichen Typs (wie Gavotte I und II) formal eine gewisse Nähe zu den Englischen Suiten für Cembalo. Gleichzeitig finden sich aber auch ausgeprägte Züge des Concerto. Suite Nr. 3 in D-dur, durch Mendelssohns Vortrag bei Goethe und das bekannte ‚Air‘ (übrigens eine Entlehnung aus der Klaviermusik) früh eine der bekanntesten Suiten, hat mit nur sechs Sätzen die niedrigste Zahl. Während die früheste Suite Nr. 1, mit einer Besetzung aus Violinen I und II, Bratschen, Oboen I und II, Fagott und Basso continuo eine ganz übliche Orchesterbesetzung verwendet – allerdings bereichert durch Passagen von konzertierenden Bläsern –, ist die Suite Nr. 2 in h-moll durch die Mitwirkung einer solistischen Querflöte ausgezeichnet. Ihre Behandlung erreicht im Schlusssatz, einer Badinerie, eine derart virtuose Dimension, dass sie zu einem Paradestück der Flötenvirtuosen geworden ist. Mit dieser Suite, die so offensichtlich von der Vorstellung des Solokonzerts durchdrungen ist, liegt auch Bachs einzige Komposition für Soloflöte und Orchester vor. Die dritte Suite (D-dur), und die vierte Suite, ebenfalls in D-dur, werden zusätzlich noch mit drei Posaunen und Pauken verstärkt. Das führt in der vierten Suite zu einem registerartigen Wechsel der Instrumentalgruppen, also einer Art instrumentaler Mehrchörigkeit zwischen Trompeten und Pauken, den Streichern, Oboen und Fagott.
Klaus Peter Richter

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.