Isang Yun

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t1 Konzertführer
Isang Yun
Isang Yun

Tongyong (Korea) 17. September 1917 – Berlin, 3. November 1995

Wie keinem anderen ist es Isang Yun gelungen, asiatische und abendländische Musikvorstellungen zu verschmelzen, ohne äußerlich-exotische Klangtexturen in europäische Formhülsen zu zwingen. Sein umfangreiches, fast alle Gattungen umfassendes Werk weist ihn aus als einen eigenständigen, von zwei Kulturen geprägten Mittler zwischen Ost und West.

Seine erste musikalische Ausbildung erhielt Yun in Seoul, Osaka und Tokio. Von 1946 bis 1956 war er in seiner Heimat als Lehrer und Universitätsdozent tätig. Ein Kulturpreis ermöglichte ihm Ende der fünfziger Jahre einen Studienaufenthalt in Europa. Er lernte unter anderem bei Tony Aubin in Paris, sodann bei Boris Blacher und dem Schönberg-Schüler Josef Rufer in Berlin. Atonale Techniken und serielle Verfahren, mit denen Yun in Darmstadt konfrontiert wurde, boten die Voraussetzung, um Klängen, geboren aus alter ostasiatischer Tradition, ein adäquates Gefäß zu sein. 1967 wurde Yun vom südkoreanischen Geheimdienst verschleppt und vom Park-Regime wegen angeblicher Spionage zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Internationales Bemühen erreichte seine Begnadigung nach zwei Jahren. 1971 wurde Isang Yun deutscher Staatsbürger. Gemäß dem Denken seiner Heimat ging Yun von der Vorstellung aus, dass Töne belebte Individualitäten seien, die vom Ansatz bis zum Verklingen mannigfachen ‚Wandlungen’ unterliegen. Einzeltöne, innerlich fluktuierende Klänge, ja sogar komplizierte Geräuschpassagen können sogenannte ‚Haupttöne’ sein. Sie können auseinander hervorwachsen, sich vielschichtig überlagern, aber auch schroff gegeneinanderstehen. Die Polarität von Yin und Yang ist in Yuns Musik ebenso wirksam – im Detail wie im Ganzen – wie das taoistische Prinzip unendlichen, ziellosen Fließens.

Yuns Musik der siebziger Jahre wirkt spätromantisch-dicht. Ein Kritiker, der die Symphonische Szene (1960) gehört hatte, fühlte sich an einen „seriellen Richard Strauss“, an ein „koreanisches Heldenleben“ erinnert. Die Colloides sonores und Bara (beide 1961) sind vom Kolorit koreanischer Instrumente und von mystizistisch-dunklen Klängen buddhistischer Ritualtänze inspiriert. Klangphantasie und souveräne Formkraft zeigt auch das Orchesterstück Fluktuationen (1964). Im gleichen Jahr entstand die meditativ-ausdrucksstarke Kantate Om mani padme hum (etwa: O du Edelstein von Lotosblüte), in der Worte des Buddha reflektiert oder besser transsubstantialisiert werden. Nach dem Stück Reak (1966), mit seinem vegetativ wogenden Klang und den Dimensionen (1971), in denen „Bewegtheit in Unbewegtheit“ gestaltet ist – als Stimme des Himmels, des Tao, bleibt der Klang der Orgel statisch fast immer präsent –, wurde Yuns Orchestersprache zunehmend durchsichtiger und einfacher. Die seit 1976 entstandenen Konzerte – je eigenständige, vielfach philosophisch inspirierte Werke für Violoncello (1976); Flöte (1977); Oboe und Harfe (1977); Klarinette (1981); Violine (1981 und 1983 – 85), des letzteren Mittelsatz überschrieben mit „Dialog zwischen Schmetterling und Atombombe“; Oboe (1991) – gewinnen den Soloinstrumenten speziell auf den Ebenen der Tongebung und der Verzierungstechnik charakteristisch Neues ab. 1982 hatte Isang Yun damit begonnen, sein Lebenswerk mit einem Zyklus von fünf sehr individuellen Symphonien zu krönen (1982/83; 1984; 1985; 1986; 1987). In Vollendung bediente sich dieser Meister des Prinzips der Variation, des unablässigen Wandels, des musikalischen Kräfteaustausches. Härten und Kontraste werden im Geschiebe der musikalischen Schichtungen durch Weichheit befriedet. Der zweisätzigen Vierten – der als Untertitel ein Wort von Luise Rinser vorangestellt ist: „Im Dunkeln singen“ – liegt ein latentes Programm zugrunde. Schildert der erste Satz die vielfältigen Konflikte menschlichen Zusammenlebens, hoffnungsvolle Ansätze und immer wieder Konfrontation, so gedenkt der zweite der Gedemütigten und Geknechteten. Es ist ein Gesang von unterdrückten Menschen oder für sie. Er „kommt aus dem Dunkeln und versinkt immer wieder in der Düsternis, immer und überall“. In ekstatischen oder meditativen Werken, großen Formarchitekturen, aber auch in intimen Kammersymphonien und filigraner Kammermusik beschwor Isang Yun immer wieder höchst eindringlich und aus einem utopisch-humanistisch grundierten Bewusstsein heraus das mögliche Gute. Er tat dies als ein Künstler, der tatsächlich zwei Kulturen angehört.

Helmut Rohm

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.