Movements

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t1 Konzertführer
Igor Strawinsky
Movements

Zunächst als Konzert für Klavier und Instrumentalgruppen geplant, erhielt das 1958 begonnene, am 30. Juli 1959 beendete Werk seinen Namen auf Grund der Tatsache, dass kein ‚konzertanter‘ Klavierpart, kein eigentlicher Kontrast zwischen Klavier und Instrumentarium vorlag. Tatsächlich ist wohl am ehesten von einer fünfsätzigen Kammerorchesterkomposition mit obligatem Klavier zu sprechen.
Es handelt sich um die dichteste, strengste und hermetischste aller Kompositionen Strawinskys. Fünf Sätze mit klavierlosen Zwischenspielen, in denen serielle Prozeduren mit bemerkenswerter Freiheit angewendet werden. Strawinsky gab an, dass „die Komposition von jedem Gesichtspunkt aus mit ihren Sechser-, Vierer- und Dreierformen usw. seriell bedingt ist. [...] Meine polyrhythmischen Kombinationen sind indessen so zu verstehen, dass sie, ungleich denen einiger meiner Kollegen, vertikal gehört werden sollten. [...] Jeder Satz hat seinen besonderen Instrumentalcharakter [...], aber die Sätze sind mehr durch Tempo miteinander verbunden als durch Unterscheidung von Farbe, ‚Stimmung‘ [mood], Charakter und dergleichen. Die wichtigste Neuerung in den Movements besteht aber wohl in der Tendenz zur Antitonalität.“

Es dürfte eine interessante und lohnende, zur Präzisierung des Tonalitätsbegriffs vielleicht sogar bedeutsame Aufgabe sein zu ermitteln, ob und inwieweit sich in Anbetracht von Strawinskys letztgenannter Äußerung das Korrelationsprinzip anwenden ließe, im Sinne etwa der Frage: Wie hoch sind die Movements als ein antitonales und nicht nur nichttonales Werk negativ korreliert mit tonaler Musik, indem sie ganz bestimmte überkommene Gesetzmäßigkeiten und Regeln, Konventionen, die selber Tonalität implizieren, bewusst vermeidet. Stellen die Movements, so etwas wie ein Negativbild von Tonalität dar? Und ergäben sich aus einem solchen Befund nicht möglicherweise weitere Aufschlüsse über den Inhalt von Strawinskys ‚positivem‘ Tonalitätsbegriff? Der entscheidende Gewinn einer solchen Studie läge nämlich in der Feststellung, dass eine derartige ‚negative‘ Tonalität qualitativ nicht zu unterscheiden wäre von ihrem Kehrbild in anderen Werken Strawinskys und darum die ästhetische Wirkung der Movements nicht notwendig aus ihrer „Tendenz zur Antitonalität“ herrührt. Das wäre allerdings etwas Neues, zumal in Bezug auf Adornos Äußerung von 1962: „Die Spätwerke seit dem Septett [...] sind – mit der Ausnahme der extremen fünfsätzigen Movements für Klavier und Orchester – gegenüber dem übrigen Oeuvre nicht qualitativ neu.“
Manfred Karallus

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.