Symphonie Nr. 7

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t1 Konzertführer
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 7

Mahlers siebente Symphonie, die 1905 vollendet wurde, war selbst unter seinen treuesten Anhängern von Anfang an umstritten. Den Anlass zu diesem Disput, der heute noch die Mahler-Gemeinde beschäftigt, gab die – nach der wuchtigen Geschlossenheit der Sechsten – so unentschiedene Haltung der Siebenten, die eigenartig zum Positiven, zur versöhnlichen Dur-Seligkeit hinstrebende Tendenz aller fünf Sätze, insbesondere aber die Jubelstimmung des Finales, das unvermittelt und recht aufdringlich theatralisch dröhnende Freude mit Hilfe ‚strahlender‘, aber platter C-dur-Fanfaren zu verbreiten sucht und unbekümmert hohler Diatonik frönt. Den meisten kritischen Bewunderern Mahlers erschien dies wie ein „Rückfall in längst überwunden geglaubte tonale Kraftmeierei“ (H.-K. Jungheinrich). Gerade von Mahler, dessen Musik alle traditionellen Ideale von Homogenität, Ausgewogenheit, Schönheit radikal zu brechen wagte und bei der selbst das Positive stets zugleich die Negation seiner selbst beinhaltet, hatte man einen kritischeren Umgang mit der ‚affirmativen‘ Tonart C-dur erwartet, ein C-dur etwa, das weniger Assoziationen weckte an Meistersinger-Fröhlichkeit und Zarathustra-Gigantomanie.

Paul Bekker, der große Mahler-Deuter der ersten Stunde, versuchte das unbequem bequeme Finale der Siebenten in eine programmatische Konzeption zu integrieren, welche, von offensichtlichen musikalischen Beziehungen ausgehend, die Zusammengehörigkeit der drei instrumentalen Symphonien Mahlers, also der Fünften, Sechsten und Siebenten, propagierte. „Vom cis-moll-Trauermarsch der Fünften bis zu dem C-dur-Dithyrambus der Siebenten führte der Weg... Die Hammerschläge [der Sechsten; A. C.] haben nicht zerschmettert, sie haben gestählt. Ein neuer Kreis ist durchschritten, die Jubelfanfaren des Schlusses verkünden einen neuen Sieg.“ Dagegen stand Otto Klemperer, der zu den wichtigsten Wegbereitern Mahlers zählte, auch 1960, als die Mahler-Renaissance bereits voll im Gange war, zu seiner Auffassung, dass das Werk „auch heute noch namentlich im ersten und letzten Teil sehr problematisch ist“. Und auch Theodor W. Adorno, der große philosophierende Apologet Mahlers, wandte sich in seinem Mahler-Buch gegen „jenes ominös Positive“ der Siebenten und bemängelte vor allem das Finale, das „auch den in Verlegenheit bringt, der Mahler alles vorgibt“. Und weiter heißt es: „Ein ohnmächtiges Missverhältnis zwischen der prunkvollen Erscheinung und dem mageren Gehalt des Ganzen wird man auch bei angestrengter Versenkung kaum sich ausreden lassen. Technisch trägt Schuld die unentwegte Diatonik, deren Monotonie bei so ausgiebigen Dimensionen kaum zu verhindern war. Der Satz ist theatralisch: so blau ist nur der Bühnenhimmel über der allzu benachbarten Festwiese.“ Jedoch weder dieses breitangelegte Jubelfinale noch der ganz anders sich gebende, konzentrierte, ernste, vielschichtige Kopfsatz, der noch ganz der Sechsten verhaftet ist, sind die eigentlichen ‚Ereignisse‘ der Siebenten, sondern ihre drei dunklen Mittelsätze: die beiden Nachtmusiken und das schattenhafte Scherzo.

In der ersten Nachtmusik mischen sich in einem zwischen und c-moll schwankenden, gedämpften Marsch, der wie eine Geisterschar an uns vorüberzieht, eine Menge verschiedenartiger Naturlaute, die wie eine dunkle Erinnerung an eine weit entfernte, weit zurückliegende Realität wirken. Weniger unheimlich ist die zweite Nachtmusik, die im leichten Andante amoroso-Schritt daherkommt und mit Hilfe eigenartiger Soloinstrumente, nämlich Harfe, Gitarre, Mandoline und Violine, einen träumerischen Serenadenton anschlägt. Ein zutiefst romantisches, idyllisches Bild von einem nächtlichen Ständchen. Äußerlich ist alles ruhig, doch unter der Erde brodelt es bereits mächtig: Bedrohung, Angst und Schrecken kündigen sich an. Endzeitstimmung. Die Ruhe vor dem großen Sturm – der jedoch im fünften Satz ausbleibt. Eingerahmt und geschützt von diesen ruhigen Nachtstücken steht das Scherzo als ‚schwärzester‘ Satz von allen in der Mitte der Symphonie. Es ist nur noch das verzerrte, schattenhafte, bizarre Abbild, die dunkle Vorstellung, der Alptraum von einem Scherzo, gleich einem unheimlichen mitternächtlichen Spuk, der – mitten in Wien stattfindet. Die Geister der Nacht tanzen einen Walzer, einen nicht mehr ganz intakten Walzer, dessen Melodie nach einem herrlichen Anfangsschwung plötzlich ganz platt abklingt.
Vielleicht ist die siebente Symphonie gerade in ihrer Zerrissenheit, ihrer kritisch-unkritischen Doppeldeutigkeit ein besonders typisches Werk Gustav Mahlers, typischer als manch andere geschlossener wirkende Symphonie. Denn Mahlers Musik kennt nicht nur den dialektischen Widerspruch, die reflektierte Distanz zu allem Seichten und Hohlen, sondern sie produziert in demselben Maße auch Kontradiktorisches, das krasse Gegeneinander von höchster kritischer Qualität und gefährlicher Naivität, ernst gemeinter Banalität, billigem Pathos. Diese zerrissene Welthaftigkeit, die teuer bezahlt ist um den Preis von Zerstörung, Gebrochenheit und auch des Widersinns, ist das eigentlich Bedeutende an Mahler, weist ihn als einen der aufrichtigsten Gestalter der Widersprüche seiner Zeit, seiner Gesellschaft aus.
Attila Csampai

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.