Dante-Symphonie

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t1 Konzertführer
Franz Liszt
Dante-Symphonie

Im Schatten der Faust-Symphonie steht die wesentlich geringer profilierte Symphonie zu Dantes Divina Commedia für Frauenchor und Orchester, die Liszt selber am 7. November 1857 in Dresden zur Uraufführung brachte (komponiert 1855 bis 1856). Wieder war es Wagner gewesen, der entscheidend Stellung nahm zur Konzeption des Schlusses (ihm ist die Symphonie auch gewidmet). Liszt plante nämlich noch die Komposition eines Paradiso-Satzes, doch Wagner machte ihn darauf aufmerksam, dass es unmöglich sei, so etwas musikalisch zum Ausdruck zu bringen. Stattdessen schrieb Liszt zwei Alternativschlüsse, beide mit Chor auf den Text des liturgischen Magnificat, der eine ätherisch verschwebend, der andere in einen dröhnenden Halleluja-Ruf mündend. Beide Schlüsse sind indessen in gleicher Weise unbefriedigend, da der ‚präraffaelitische‘ Charakter des süßlichen Frauenchors kaum erträglich ist.
Der erste Satz, mit dem (instrumental gefassten) Motto Dantes ‚Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate‘, die musikalische Darstellung von Zügen aus Dantes Inferno, leidet allzu sehr unter der unprofilierten Thematik, die sich lediglich auf chromatische Gänge und abgegriffene pathetische Bläserintonationen marschartiger Prägung stützt. Bedeutende kompositorische Innovationen sind freilich die Verwendung des 5/4 und 7/4-Taktes (!) der ‚Amoroso‘-Episode – der Dante-Kenner weiß, dass es sich um das Liebespaar Paolo und Francesca da Rimini handelt – und das darauffolgende Hohngelächter. Ähnlich wie in einigen Episoden der großen Klaviersonate h-moll erfindet Liszt in den Klagen der Liebenden (‚Nessun maggior dolore‘) eindrucksvolle instrumentale Rezitative, die eine ungeahnte Befreiung von der traditionellen Taktmetrik bedeuten und weit in die Zukunft weisen.

Der seltsamste Teil der Dante-Symphonie ist der sehr ausgedehnte zweite Satz (Purgatorio), in dem Liszt immerhin die Zeitlosigkeit (!) zu gestalten hatte. Auf zwei zeitlupenartige, melodische Strophen (Solobläser) folgt eine überaus fremdartige Choralintonation (mesto), die mit ihrer archaisierenden Harmonik und den reinen Quintklängen an den Zeilenabschlüssen die ferne Welt des Mittelalters beschwört und zugleich von abgründiger Traurigkeit erfüllt ist. Diese Atmosphäre verdichtet sich in einer Lamentoso-Fuge in der ‚schwarzen‘ Tonart h-moll, die zum Sonderbarsten gehört, was Liszt jemals komponierte. Das Magnificat wirkt danach wie eine Geschmacksverirrung.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.