Klavierkonzert a-moll op. 16

Zurück
t1 Konzertführer
Edvard Grieg
Klavierkonzert a-moll op. 16

Gleich das erste herausragende Werk Griegs, das Klavierkonzert a-moll op. 16, werten Kritiker als unbefriedigendes Durcheinander musikalischer Gedanken, volkstümlicher (An-) Klänge und instrumentaler Effekte. Ohne innere Einheit sehen sie es reichlich im Fahrwasser des Schumann‘schen Klavierkonzerts gleicher Tonart schwimmen, und tatsächlich bezeichnet das Etikett von der ‚Phantasie für Klavier und Orchester‘ das Werk treffender als sein eigentlicher normativer Titel.
Das 1868 entstandene, dem deutschstämmigen Pianisten Edmund Neupert gewidmete dreisätzige Konzert (Allegro molto moderato, a-moll; Adagio, Des-dur; Allegro moderato molto e marcato, a-moll / A-dur) leugnet sowohl in der Tonartenfolge als auch in der Binnenstruktur der einzelnen Sätze einen eventuellen Vorbildcharakter des klassischen Solokonzerts deutscher Provenienz.

Die um zwei kontrastierende Themen kreisende formale Anlage des ersten Satzes erscheint durch die sehr eigenständige Klavierarabeske (Animato, nicht selten als zweites Thema bezeichnet) gespreizt und gestattet in der knappen, durch harmonisch kühnste Konstellationen angereicherten Durchführung nurmehr die Behandlung des kantablen Nachsatzes des ersten Themas. Einer vollständigen Reprise folgt vor der auf thematisches Material bezogenen Coda eine an Liszt’sche Virtuosität gemahnende Kadenz. Dem hymnisch anmutenden, harmonisch facettenreichen und klanglich weit aufgefächerten streicherbetonten (‚con sordini‘-) Zwischensatz schließt sich Griegs eigenem Willen folgend der dritte Satz ‚attacca‘ mit einem tänzerisch inspirierten, vom Klavier exponierten Thema an, das je nach seiner Stellung in dem unentschieden zwischen Sonaten- und Rondoform anzusiedelnden Satz sowohl in Moll als auch in Dur harmonisiert, im Vierviertel- oder Dreivierteltakt rhythmisiert erscheint, im Andante maestoso des Schlusses aber der martialischen Augumentation des rhythmisch schwebenden, lyrisch gehaltenen Seitenthemas weichen muss.

Charakteristisch erscheint neben abwärts geführten Leittönen die aus kurzgliedrigen Folgen von kleinen und großen Sekundenschritten akkordisch gestützte Themenbildung, die ihren elegischen Widerpart in einer aus Sekund-Quart-Anstiegen gestalteten kantablen Melodik findet. Wechselvolle Harmonisierung, entweder durch die latente Harmonik des Themas oder frei untermalend durch häufige Motivwiederholung gefordert, sowie die Vorliebe für eine mit komponierten Rubati kontrastierende rhythmische Skandierung konstituieren die typischen Elemente des unverwechselbaren Grieg‘schen Tons dieses Konzerts.
Norbert Bolin

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.