Violinkonzert Nr.1 a-moll op. 77 (1947 / 48)

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t1 Konzertführer
Dmitri Schostakowitsch
Violinkonzert Nr.1 a-moll op. 77 (1947 / 48)

Das am 21.Juli 1947 begonnene, am 24. März 1948 beendete Konzert ist David Oistrach gewidmet und teilte mit anderen Werken jener Entstehungszeit, zum Beispiel den Jüdischen Liedern, op. 79, das Schicksal, bis 1955 auf seine Uraufführung warten zu müssen. Inzwischen waren die Beschlüsse des Zentralkomitees der KPdSU vom 10.Februar 1948 verkündet worden, die die Musik von Schostakowitsch, Prokofjew, Chatschaturjan, Popow und Mjaskowsky wie überhaupt Musik von kompliziertem instrumentalen Charakter für „volksfremd und formalistisch“ erklärten und die Komponisten einem rund zehnjährigen Berufsverbot auslieferten. Und das erste Violinkonzert ist nun einmal von hochkonzentrierter Logik in seiner harmonischen und thematischen Struktur: Produkt einer gewissen neugewonnenen Freiheit während der Kriegsjahre. Aber noch etwas kam hinzu, dass das Werk in der Schublade blieb und bei seinem verspäteten Erscheinen zunächst mit der irreführenden Opuszahl 99 versehen werden musste: das Engagement des Komponisten und seiner Musik für die jüdische Volksmusik, deren in Heiterkeit sublimierter Schmerz ihn faszinierte und der er nicht zuletzt durch seinen nur sieben Jahre jüngeren Schüler Benjamin Fleischmann nahegekommen war. Die Skalen und Rhythmen, der Geist dieser Musik sollten sich für Schostakowitsch in diesem Lebensabschnitt besonders fruchtbar erweisen und mit seinem Personalstil verschmelzen – hier ist besonders der zweite Satz, das Scherzo (Allegro), von ihnen geprägt, und unter den „antizionistischen“ Kampagnen von 1948 wäre an eine Aufführung nicht zu denken gewesen. Leichtigkeit und Übermut findet man hier nicht, allenfalls einen in Heiterkeit sublimierten Schmerz, Kontraktion der Strukturen, eine ökonomische Konzentration des Satzes auf Wesentliches; die Dramatik findet unter dem Bewusstsein von Tragik, von möglichen Zerstörungen statt. Das ausgelassene Thema des Satzes, wie ein Protest gegen die Düsternis, taucht in den folgenden Sätzen als Zitat auf. Schostakowitsch hat das Werk bei den Proben zur Uraufführung noch Änderungen unterzogen.
Detlef Gojowy

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.