Symphonie Nr. 7 C-dur op. 60 (Leningrader)

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t1 Konzertführer
Dmitri Schostakowitsch
Symphonie Nr. 7 C-dur op. 60 (Leningrader)

Mit der Leningrader Symphonie begründete Schostakowitsch seinen Weltruhm als Symphoniker. Zumindest die ersten Sätze komponierte er im belagerten, von deutschen Truppen eingeschlossenen Leningrad. Die Stadt lag unter ständigem Beschuss, was Schostakowitsch in der Episode des ersten Satzes, die er Die Invasion betitelte, musiksymbolisch in einen ostinaten Trommelwirbel umsetzte. Im Oktober wurde er mit seiner Frau und seinen Kindern aus der belagerten Stadt ausgeflogen; nach Kuibyschew evakuiert, komponierte er die Symphonie dort am 27. Dezember zu Ende. Hier wurde sie am 5. März 1942 unter Samuil Samossud uraufgeführt, später in Moskau, selbst im blockierten Leningrad, in Nowosibirsk, Jerewan, Orenburg und Baku – wo immer sich die evakuierten sowjetischen Orchester befanden – und nahm von hier ihren Siegeszug um die Welt: Auf Mikrofilm über Persien und Ägypten in den verbündeten Westen ausgeflogen, wurde sie zum Symbol des Widerstandswillens, in England, Nord- und Südamerika von den namhaftesten Dirigenten als „Kriegssymphonie“ präsentiert.

Eben die Etikettierung des ersten Satzes als Die Invasion, sollte in den 1948er Kampagnen gegen die Neue Musik ideologische Verurteilungen sogar dieser Symphonie bewirken – ein Missverständnis, welches seinen Grund in Interpretationsmechanismen des ‚sozialistischen Realismus‘ hat. Nach diesen haben in der Symphonik positive und negative Gestalten miteinander zu ringen (und die positiven den Sieg davongetragen); ein Thema muss immer ‚etwas‘ verkörpern, und nach solchem Allegorismus hatte also der erste Satz mit seinem ostinaten, von Trommelwirbeln untermalten und elfmal wiederholten Thema „die hässliche Fratze des Faschismus“ zu repräsentieren. Eifrige Autoren haben sich immer wieder nachzuweisen bemüht, wie satirisch und grotesk Schostakowitsch dessen Bild gezeichnet habe; andererseits setzten auch hier die Argumente von Schostakowitsch Gegnern wie Tichon Chrennikow an: Er habe sich „viel tüchtiger erwiesen, um die unheildrohenden Gestalten des Faschismus und eine Welt subjektiver Reflexionen auszudrücken, als die heroischen Vorbilder unserer Gegenwart zu verkörpern“. Wirklich kann man bezweifeln, ob Schostakowitsch, der in seinem Leben viel satirische und groteske Musik geschrieben hat, ausgerechnet hier auf ein satirisches Porträt des Faschismus aus war, denn das Mitreissende des Satzes besteht unter anderem eben in der ostinaten, elfmaligen Wiederholung des Themas in immer neuen Facetten der Instrumentation, Kontrastierung mit Gegenstimmen und Tonhöhenlage. Da es absolut unsinnig wäre, Schostakowitschs Patriotismus in Zweifel zu ziehen, scheint vielmehr die gängige Identifizierung dieses Themas als eine Verkörperung des Faschistenheeres nicht zu stimmen, zumal auch seine Ähnlichkeit mit dem Hauptthema von Tschaikowskys fünfter Symphonie gewöhnlich oder geflissentlich übersehen wird. Eben hier dürfen für Schostakowitsch, der sein eigenes Verhalten und Werk durchaus an den Größen des russischen Geistes zu messen gewohnt war, die entscheidenden Anregungen gelegen haben, und es wäre vorstellbar, dass Schostakowitsch mit diesem befeuernden, ostinaten Thema der kämpferischen Konsequenz seiner Landsleute ein Denkmal setzen wollte, wie es Tschaikowsky in seiner Ouvertüre 1812 getan hat.

Unter seinen Anregungen nannte Schostakowitsch selbst – in Gesprächen mit Solomon Volkow – den 79. Psalm, die „Klage wider die Zerstörer Jerusalems“ – und hatte hierbei nicht nur seine gegenwärtigen, sondern auch seine bisherigen Zerstörer und Unterdrücker im Sinn. Als Vorbild besagter Variationsreihe im ersten Satz hat er den Boléro Ravels nie verleugnet.
Detlef Gojowy

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.