Symphonie Nr. 10 e-moll op. 93

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t1 Konzertführer
Dmitri Schostakowitsch
Symphonie Nr. 10 e-moll op. 93

Unter einer Reihe von Filmmusiken und Gelegenheitskompositionen, auf die sich Schostakowitsch nach den 1948er ZK-Beschlüssen zurückziehen musste, steht dieses symphonische Werk, dessen Uraufführung Jewgenij Mrawinskij am 17.Dezember 1953 ermöglichte, für sich da. Die Uraufführung löste eine dreitägige Debatte im Komponistenverband sowie eine Serie von Diskussionen in der verbandsoffiziösen Zeitschrift ‚Sowjetskaja Musyka‘ aus, die sich bis 1957 hinzog. Erst die hohe Anerkennung, die das Werk im Westen – nicht zuletzt durch Herbert von Karajan – erfuhr, ließ seine Verurteilungen schließlich verstummen. Im Unterschied zur kurzgefassten, grotesken neunten Symphonie ist hier wieder die großräumige, dramatische Konzeption der Symphonien Nr. 7 und 8 verfolgt, allerdings nicht ohne groteske Exkurse: Im zweiten Satz hat Schostakowitsch, nach dem Zeugnis seines Sohnes, „das schreckliche Gesicht von Stalin beschrieben“. Überhaupt muss man die Symphonie wohl als autobiographisches Zeugnis aus seiner schwersten Zeit verstehen: Aller Lehrämter enthoben und Aufführungsverboten ausgesetzt, litt er sogar wirtschaftliche Not, musste wieder als Pianist Konzerte geben, und seine Frau war gezwungen, im entfernten Kaukasus Arbeit zu suchen – wo sie starb. Die gedehnten, ausgesponnenen Linien erzählen in klassischer Klarheit auch von persönlichem Leid. Der Ton dieser Symphonie hat nichts mehr von Leichtigkeit und Spott, sondern ist der Ton der Trauer und der Klage oder vielleicht der Hoffnung. Hier rückt – namentlich im letzten Satz – die Symphonik Tschaikowskys wie ein Vermächtnis in stilistische Nähe. Auch der Surrealismus der achten Symphonie ist aufgegeben: Karikaturen erfolgen, wo überhaupt, zornig. Das Initial ‚D-Es-C-H‘ (der Name des Komponisten) spielt, wie in vielen Werken, auch hier im Schlusssatz eine Rolle.
Detlef Gojowy

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.