Konzert Nr.1 für Klavier, Trompete und Streichorchester C-dur op. 35

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t1 Konzertführer
Dmitri Schostakowitsch
Konzert Nr.1 für Klavier, Trompete und Streichorchester C-dur op. 35

Der sechsundzwanzigjährige Schostakowitsch komponierte dieses parodistische Konzert im Anschluss an seine 24 Präludien und inmitten einer Fülle von Bühnen- und Filmmusiken. Seine beiden Opern, Die Nase und Lady Macbeth von Mzensk, lagen hinter ihm: die eine verboten, die andere noch – vor ihrer parteilichen Verdammung – als Musterbeispiel eines neuen ‚sozialistischen Realismus‘ gefeiert. In diesen frühen dreißiger Jahren konnte Schostakowitsch – bei allen Zugeständnissen an eine neue Popularität, die ihm nicht schwerfiel – einen gewissen Optimismus hegen, was seinen Platz in der Gesellschaft betraf, für die er musizierte. Zwar hatten sich die Verhältnisse seit den zwanziger Jahren gründlich gewandelt. Kein Streben zu neuen Ufern war mehr gefragt, sondern Verständlichkeit der Musik, Volkstümlichkeit, Lebensnähe. Aber hatte nicht die Vereinigung von Kunst und Leben seit jeher zum Programm der Futuristen gehört? Schostakowitsch hatte sich nach seiner Absolvierung des Konservatoriums von allen akademischen Traditionen abgenabelt, war mit seiner ersten Klaviersonate, seiner zweiten und dritten Symphonie, seiner Experimentaloper Die Nase zu einem ‚Wilden‘ in der Musik geworden, der alle Regeln und Fesseln abstreifte – und seien es die neuer, fester Tonorganisationen in Klangkomplexen und Zwölftonreihen. Neue Konturen und Regeln erhielt seine Musik eben aus der Berührung mit den darstellenden Künsten: Theater und Film. Er war nicht nur für das Experimentaltheater Meyerholds, sondern für mehrere Leningrader Jugendbühnen tätig und als Praktiker gefragt, und für den aufkommenden Tonfilm brachte er unschätzbare Erfahrungen mit: Seine Tätigkeit als Kinopianist hatte ihn zu Stummfilmzeiten als Studenten vor dem Hunger bewahrt. Eine neue Logik musikalischen Denkens, musikalischer Formgliederung festigte sich aus dieser Praxis: Musik wurde ‚erzählend‘ und ‚episch‘ in ihren Formen, kümmerte sich nicht mehr um herkömmliche Symmetrie-Architektur, nahm neue Strukturmodelle spielerisch auf.

Ein neues Element im ersten Klavierkonzert ist zum Beispiel – als einziges Blasinstrument! – die Solotrompete, die Schostakowitsch auch anderswo als parodistischen Zeichenstift nutzte: in seiner Filmmusik Das neue Babylon oder in seiner Zeichentrickfilmmusik zu Puschkins Märchen vom Popen und seinem Knecht Balda. Nicht das Klavier, sondern eben sie hat dem Zuhörer im dritten Satz auf übermütigste Weise ein Zitat aus Haydns Klaviersonate D-dur zu verkünden, so wie auch das Theater jener Zeit mit historischem Material zu spielen liebte. Schostakowitsch erklärte dieses Konzert zum Ausdruck einer Epoche ausschließlicher Lebensfreude – die sich freilich als trügerisch erweisen sollte...
Detlef Gojowy

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.