Zwei Porträts op. 5 und erstes Violinkonzert

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t1 Konzertführer
Béla Bartók
Zwei Porträts op. 5 und erstes Violinkonzert

Im Jahre 1908 hatte der junge Bartók zwei wesentliche Werke seiner bald darauf überwundenen spätromantischen Schaffensphase beendet: ein (unveröffentlichtes) Violinkonzert für die von ihm leidenschaftlich geliebte Geigerin Stefi Geyer und vierzehn Bagatellen für Klavier. Beide Werke wurden zum Ausgangspunkt der erst 1914 gedruckten Zwei Porträts op. 5. Der erste Satz des Violinkonzerts, dessen Manuskript Stefi Geyer bis zu ihrem Tode (1956) bewahrte, aber niemals gespielt hat, ist, nach den Worten des Komponisten, „das musikalische Bild der idealisierten Stefi Geyer, überirdisch und innig“, der zweite Satz dagegen „das Porträt der lebhaften Stefi Geyer, ein fröhliches, geistreiches, amüsantes“; und in einem Brief an die Geigerin erwähnt Bartók den Plan zu einem dritten Satz, der „die gleichgültige, kühle und stumme Stefi Geyer“ in Musik setzen sollte. (Die Liebe des Komponisten zu der Geigerin blieb unerfüllt.) Er findet sich aber nur als letztes Stück in jenem Bagatellen-Zyklus für Klavier, und zwar mit der bezeichnenden Überschrift „Ma mie qui danse“ („Meine Geliebte tanzt“). Es handelt sich um eine Art Hexensabbat, eine groteske Walzerverzerrung des der Geigerin zugedachten „Leitmotivs“ (so Bartóks eigene Bezeichnung) aus dem ersten Satz des Violinkonzerts. Diese vierzehnte Bagatelle stellt bereits einen künstlerischen Reflex auf die vollzogene Trennung von der vergeblich geliebten Stefi Geyer dar. Und dieses „Leitmotiv“, das gleich zu Beginn des Violinkonzerts von der Solovioline unbegleitet intoniert wird, findet sich in zahlreichen Stücken Bartóks aus dieser Zeit.

Es zeigt also, wie stark Bartóks frühe Musik von unmittelbarem persönlichen Erleben bestimmt wurde. Das Ende der Liebesaffäre brachte Bartók auf den Gedanken, ein Werk von allgemeiner Gültigkeit zu schaffen. So kombinierte er den ersten Satz des Violinkonzerts mit einer eigens angefertigten Orchesterversion der vierzehnten Bagatelle – instrumentiert um 1911 – (ohne Solovioline!) und nannte das motivisch zwar verzahnte, aber im Charakter krass divergierende Satzpaar (op. 5) „Ein Ideal“ und „Ein Zerrbild“. Der autobiographische Hintergrund trat jetzt zurück. Möglicherweise sind es genau diese Züge, die Bartók davon abhielten, den ursprünglichen zweiten Satz des Violinkonzerts zu veröffentlichen, denn er enthält Anspielungen auf Erlebnisse mit Stefi Geyer, die einem Außenstehenden nicht unmittelbar verständlich sind. Immerhin besaß Bartók eine Abschrift davon, hätte also das Violinkonzert, unabhängig von der Geigerin, aufführen und drucken lassen können. Auch die Charaktere der beiden Sätze des Violinkonzerts sind kontrastierend. Ganz im Gegensatz zur Ruhe und innigen Kantabilität des ersten Satzes bietet der zweite eine äußerst virtuose Haltung und eine aufgebrochene Faktur, die durchsetzt ist mit allerlei Anspielungen auf fremde Musik, die ein Geheimnis zwischen Stefi Geyer und dem Komponisten bleiben müssen. Dennoch ist dieser Satz eine der interessantesten und gewichtigsten musikalischen Äußerungen des jungen Bartók und zeigt ihn bereits auf dem Weg zu der umfassenden Variationskunst der späteren großen Instrumentalwerke, vor allem des zweiten Violinkonzerts.

Die Welt der beiden Porträts dagegen entstammt ganz dem 19. Jahrhundert: Das erste Bild klingt unverhohlen nach Wagners Tristan, das zweite lässt an Liszts Mephisto-Walzer etwa oder auch an Richard Strauss denken. Die Idee, gegensätzliche Charaktere zu entwerfen, die im Verhältnis von Original und Verzerrung zueinanderstehen, geht auf die Symphonie fantastique von Berlioz und insbesondere auf die Ecksätze der Faust-Symphonie von Liszt zurück (der dritte Satz, die musikalische Darstellung des Mephisto, ist eine verzerrte, höhnische Variante des Faust-Satzes). Mit den beiden Porträts op. 5 schließt denn auch Bartók seine kompositorische Aufarbeitung der musikalisch entscheidenden Innovationen der Musik des 19. Jahrhunderts ab und erschließt der Musik neue Ausdrucksbereiche.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.