Rhapsodien Nr. 1 und 2 für Violine und Orchester

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t1 Konzertführer
Béla Bartók
Rhapsodien Nr. 1 und 2 für Violine und Orchester

Wie das erste Violinkonzert für die Geigerin Stefi Geyer geschrieben wurde, so widmete Bartók seine beiden Rhapsodien (in Klavier- und Orchesterfassung erschienen) den Geigern Joseph Szigeti und Zoltán Székely, die auch beide jeweils die Uraufführung spielten (Nr.1: 22. Oktober 1929 in der Fassung für Violine und Klavier und am 1. November in der Orchesterfassung; Nr. 2: 19. November 1928 in der Klavier- und 26. November 1929 in der Orchesterfassung). Bartók komponierte beide Stücke im Sommer und Herbst 1928, gleichsam als Ruhepause nach den konzentrierten und überaus avantgardistischen Streichquartetten Nr. 3 (1927) und Nr. 4 (1928), in denen er sich sehr stark an der Wiener Schule Schönbergs orientiert hat. Die Rhapsodien dagegen sind wieder Früchte seiner Volksmusik-Studien, wenn auch keinesfalls Nebenwerke. Es ging ihm vielmehr darum, darin unterstützt von seinem Verleger, den Erfolg der Tanzsuite in konzertanter Weise zu wiederholen. Was lag also näher, als das mit zwei verschiedenen Arten des Arrangements von siebenbürgischen, ungarischen und rumänischen Volksweisen zu tun? Und die Satzordnung der Rhapsodie (langsam-schnell) entsprach ohnehin seinen Neigungen zu musikalischen Kontrasttypen, wie ja die Beispiele der Deux portraits op. 5, der Deux images op. 10 und der Sonate Nr. 2 für Violine und Klavier hinreichend beweisen. Die beiden Rhapsodien unterscheiden sich darüber hinaus in der Art der Klavier- (bzw. Orchester-) Begleitung und in dem unterschiedlichen Verfahren, die Volksmusik umzusetzen in künstlerische Struktur.

Die erste Rhapsodie verwendet die musikalische Folklore fast blank, und das Orchester (oder das Klavier) hält sich begleitend zurück. Allerdings führte Bartók die außerordentliche Nähe zu den originalen Melodien in der Orchesterfassung dazu, ein Zimbal zu verwenden, auf das er sonst nirgends zurückkam. (Bei Kodály spielt es eine wichtigere Rolle.) Und die Klarinettenstimme ist mit reichen Verzierungen versehen, wie es in der Tradition der echten ungarischen Volksmusik üblich ist. Bei aller virtuosen Schreibweise für das Soloinstrument bewahrt Bartók dennoch den charakteristischen rustikalen Vortragsstil, wie er sich besonders im Presto-Teil bemerkbar macht. Er enthält auch einen Tanz mit Dudelsackbegleitung, bei dessen Wiederholung die Solovioline mit Flageolettönen eine Hirtenflöte nachahmt. Den Höhepunkt bildet ein ‚Vivacissimo‘, ein Tanzwirbel von wildem Gestus, der aber plötzlich abbricht und der Wiederkehr des anfänglichen Lento-Satzes Platz macht.

Die zweite Rhapsodie ist kompositorisch um einiges anspruchsvoller, lässt auch die Begleitung dem Soloinstrument gegenüber als ebenbürtig hervortreten. Die neun herangezogenen Melodien schmilzt Bartók in seine eigene Sprache um; auch die virtuose Haltung ist stärker. Die Tanzfolge des schnellen Teils erscheint als kunstvolles Geflecht von Dorfgeigerszenen und phantastischen Höhenflügen der Konzertsaalvirtuosität. Die folkloristischen Elemente sind vielfach gebrochen durch Bartóks kompositorisches Temperament, und es herrscht in dieser Rhapsodie eine durchgehende Spannung, die an die Ausführenden höchste Ansprüche stellt.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.