Boris Blacher

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t1 Konzertführer
Boris Blacher
Boris Blacher

Newchang (China), 6. Januar 1903 – Berlin, 30. Januar 1975

Hans Heinz Stuckenschmidt sprach von einem „Minimum an Mitteln und einem Maximum an Wirkung dieser Mittel“, er beschrieb die Musik von Boris Blacher als eine ‚creatio ex nihilo‘, einen „Extremfall künstlerischer Ökonomie“. Boris Blachers Musik könnte in der Tat gewissermaßen als Prototyp deutscher Musik der Jahrhundertmitte gelten, in der sich eine strenge rationalistische Haltung mit direkter, unmittelbarer Verständlichkeit und Eingängigkeit verbindet.

Ein biographischer Umstand verweist Boris Blacher jedoch von vornherein auf eine eigenständige Position, die ihm den unorthodoxen Umgang auch mit heterogenen musikalischen Mitteln ermöglichte. 1903 wurde Blacher – als Sohn deutsch-baltisch-russischer Eltern – in einer chinesischen Hafenstadt geboren. Im sibirischen Irkutsk wurde er als Geiger, im mandschurischen Charbin in der Komposition ausgebildet. Seit 1922 lebte er in Berlin, wo E. Koch – ein Schüler Humperdincks – sein Lehrer wurde und wo er auch musikwissenschaftliche (Arnold Schering) und musikethnologische (Ernst Moritz von Hornbostel) Vorlesungen hörte. Bis zum Jahre 1938 lebte er als freier Komponist und Arrangeur in Berlin. Seine Professur als Direktor der Kompositionsklasse am Dresdner Konservatorium musste er 1939 wegen Schwierigkeiten mit den Nationalsozialisten räumen. Seit 1948 war Blacher Professor an der Berliner Hochschule der Künste, von 1953 bis 1970 deren Direktor. Zu seinen Schülern zählen Von Einem, Klebe, Reimann, Sheriff. Boris Blacher starb 1975 in Berlin.

Seit der Concertanten Musik, die 1937 gegen den Widerstand der Nationalsozialisten in Berlin uraufgeführt wurde, zumindest jedoch seit den berühmten Paganini-Variationen (1947) hat sich ein Element in Blachers Musik als konstant erwiesen, das als geradezu personaltypisch für ihn kennzeichnend wurde: die Vorherrschaft rhythmisch-motorischer Momente gegenüber sensuell-emotionalen Wirkungen. Blacher teilt damit die Sachlichkeit und Anti-Romantik der Hindemith-Generation, die jedoch bei ihm durch eine ungemeine Transparenz der formalen Proportionen ergänzt wird. Häufig sind es Ostinati, die ornamentale melodische Linien tragen. Immer sind es – zumindest seit 1950 – intervallisch und rhythmisch klar definierte Zellen, die in einem Ausdehnungs- und Schrumpfungsprozess klare formale Ordnungen und Orientierungen ermöglichen. So erscheint Blachers Musik weniger von der deutschen Tradition geprägt als von der französischen, von Satie, Milhaud, von Strawinsky und – vom Jazz. So zeigen seine Gesänge des Seeräubers O'Rourke und seiner Geliebten Sally Brown, ein Konzertstück mit imaginärem Szenario, Affinitäten zum Jazz, zu pointillistischen Effekten, gar zum Liedstil Kurt Weills. Auf diese Weise vereinigt das Werk Boris Blachers in sich auf eine undogmatische Art Tendenzen unterschiedlichster Provenienz und begründet darin seine spirituelle Leichtigkeit. Seit 1950 hat sich Blacher auch mit seriellen Fragen auseinandergesetzt, das Verfahren jedoch gleich auf die Dimension der Metren ausgeweitet („metrische Reihen“). Er experimentierte mit der Variabilität von Reihen, auch mit den Möglichkeiten elektronischer Klangverfremdung, verlor sich jedoch niemals in ästhetischer Spekulation, sondern suchte die handwerkliche Rückversicherung: „Die Spekulation hat in seiner Musik nur soweit Raum, als sie durch Experiment und Erfahrung bewährt wurde“ (H. H. Stuckenschmidt). Die Originalität der Werke liegt so eher in ihrer rhythmisch-kapriziösen Beweglichkeit, die auch die Gattungen, Titel und Vorlagen seiner Orchesterwerke bestimmt. Deren Spannweite reicht von Instrumentalkonzerten (für Klavier, Violine, Viola), Tondichtungen (Hamlet), Balletten, Oratorien bis hin zur Abstrakten Oper Nummer 1, (ohne Handlung und Text) oder dem Requiem und den Vokalisen.

Lothar Mattner

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.