Klavierkonzert Nr. 2 G-Dur Sz.95

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t1 Konzertführer
Béla Bartók
Klavierkonzert Nr. 2 G-Dur Sz.95

Sein zweites Klavierkonzert komponierte Bartók vom Oktober 1930 bis zum Oktober des folgenden Jahres als „Gegenstück zum ersten“, das bislang kaum mehr als einen Achtungserfolg erzielt hatte wegen seiner unerbittlichen Härte. Bartók wollte nun eine „thematisch gefälligere“ Musiksprache anschlagen und entschloss sich deshalb, im zweiten Klavierkonzert die thematische Profilierung gegenüber dem Rhythmus in den Vordergrund zu stellen und das Soloinstrument nicht allein als interessante Art von Schlagzeug zu behandeln, sondern als Akkordinstrument. Er näherte sich bewusst den ‚neoklassizistischen‘ Tendenzen, freilich auf ganz eigene Weise. Er fasste nämlich jetzt das Prinzip des Konzertierens als spielerisches Moment auf. Der primär rhythmische Impetus des ersten Konzerts dringt in den Charakter der Themen ein, die auch jetzt ebenso wenig länger ausgesponnen sind wie dort. Nur orientieren sie sich deutlich an erkennbaren Stilmodellen: So beginnt der erste Satz sogleich mit einer von Strawinsky abgelauschten lustigen Trompeten-Fanfare – man denkt sofort an Pétrouschka –, deren hervorstechende, prägnante Diatonik den Charakter des gesamten Satzes bestimmt. Und in den Solo-Episoden, die im Übrigen als Concertino-Episoden wie ein ‚Konzert im Konzert‘ gestaltet sind (das Klavier konzertiert mit den Klanggruppen), machen sich Anklänge an Bachs Inventionen hörbar. Die primitive Fanfaren-Motivik unterwirft Bartók im Verlauf des Satzes jedoch einer äußerst kunstvollen und kompakten kontrapunktischen Arbeit, die trotz aller Kompliziertheit und Dichte doch stets den einmal angeschlagenen, spielerisch-konzertanten Grundton des Konzerts wahrt. Es scheint, als habe Bartók nur die ‚neoklassizistische‘ Attitüde übernehmen wollen und gehe ansonsten eigene Wege.

Der im ersten Satz vorherrschenden Fanfaren-Motivik entspricht die hier gewählte Orchesterbesetzung: Die Streicher schweigen völlig, und die virtuosen Blechbläser treten mit dem Klavier in einen Wettstreit, zu dem die Holzbläser einen eigenen Kommentar abgeben, während das Schlagzeug in den Solo-Episoden mitwirkt. Die stets wechselnden Besetzungen der drei Sätze verweisen auf die innere Dramaturgie des Werkes: Die im ersten Satz ausgesparten Streicher eröffnen allein den langsamen Teil des Mittelsatzes – der Mittelteil ist ein huschendes, geisterhaftes Scherzo, bei dem auch die Bläser hinzutreten – und alternieren mit einem seltsamen Dolce-Thema des Solisten, das wie eine Frage an die undurchdringliche Klangfassade der (vibratolosen) hohlen Streicherquinten wirkt. Die Antwort darauf bringt erst das Finale, das alle Extreme – etwa den Tempokontrast des Mittelsatzes – auflöst, die Klanggruppen vereinigt – erst jetzt ist die Besetzung wirklich komplett – und gegeneinander wirken lässt, die Thematik des ersten Satzes und den Wechsel von Tutti- und Solo-Episoden in die Umkehrung übersetzt und schließlich die befreiende Synthese bringt, indem es „kalte und warme Farben, hohe und tiefe, enge und weite Linienführung“ zusammenfasst (György Kroó).

Die dialogartige Struktur des Adagios, einer Musik unergründlicher, in Worten kaum fassbarer Tiefe in scharfem Kontrast zum spielerisch-lockeren Zug der Ecksätze, erinnert an den langsamen Satz aus Beethovens viertem Klavierkonzert, an dessen unausgesprochenen Dialog zwischen Orpheus und den Mächten des Totenreichs. Auch bei Beethoven sind es die Streicher, die sich der subjektiven Klage des Solisten unerbittlich entgegenstellen. Nur kommt es bei Bartók nicht zu jener versöhnlichen Schlussgeste, die Beethovens Dialog so einmalig macht, wenn schließlich die moralische Kraft des Solisten das Orchester in seinen Bann schlägt und beruhigt. Dafür erhebt bei Bartók der Scherzo-Mittelteil Einspruch gegen die mythische Verschlossenheit des Dialogs zwischen Mensch und Natur mit einer phantastischen Klangvision, die Naturlaute und kunstvolle Clusterbildung, Assoziationen und neuartige Klangbereiche in ein Nachtstück von faszinierender Modernität verwandelt.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.