Der holzgeschnitzte Prinz, Tanzspiel in einem Akt op. 13

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t1 Konzertführer
Béla Bartók
Der holzgeschnitzte Prinz, Tanzspiel in einem Akt op. 13

Nach der vorerst für die Aufführung abgelehnten einaktigen Oper Herzog Blaubarts Burg, komponiert 1911, griff Bartók die Anregung des Budapester Opernhauses auf, ein Tanzspiel zu schreiben. Wieder war es ein Libretto von Béla Balázs, das Bartók für sein zweites Bühnenwerk heranzog. Ähnlich wie in der einaktigen Oper kleidet Balázs den Stoff in eine symbolistische, märchenhafte Fabel: „Ein Prinz trifft im Wald auf eine Prinzessin, die gerade von der Fee der Natur zurück auf ihr eigenes Schloss geschickt wurde, weil sie in ihrem Übermut die Bäume und Blumen des Waldes zerzaust hatte. Der Prinz versucht, zu der Prinzessin zu gelangen, wird aber von den Bäumen und dem Bach daran gehindert. Um die Prinzessin, die nun an einem Fenster im Schloss am Spinnrad sitzt, auf sich aufmerksam zu machen, schnitzt er eine Holzpuppe, die er mit seinen Kleidern, seiner Krone und sogar mit seinen Haaren schmückt. Die Prinzessin bemerkt die Puppe, sie gefällt ihr, und sie eilt schnell vom Schloss herunter. Aber sie beschäftigt sich nur mit der Holzpuppe, die auf Geheiß der Fee lebendig wird und mit der Prinzessin einen Tanz beginnt. Der Prinz bleibt voller Verzweiflung allein zurück. Doch die Natur erbarmt sich seiner, schmückt ihn mit einem Blumenkranz und einem Blumenmantel und krönt ihn zum ‚Waldkönig‘. Unterdessen ist die Prinzessin der Holzpuppe überdrüssig geworden und bemerkt nun voll Staunen den neugeschmückten Prinzen. Als sie zu ihm will, wird sie von den Kräften der Natur daran gehindert. Erst als sie ihre Verfehlung ehrlich bereut, ist sie seiner Liebe würdig“ (Christian Ehwald). Bartók arbeitete an der Partitur, die von Anfang an als komplementäres Gegenstück zu Herzog Blaubarts Burg geplant war, vom April 1914 mit Unterbrechungen bis zum Sommer 1916 und vollendete die Orchestrierung im Januar 1917, im Jahr der Budapester Uraufführung (17. Mai), die jedoch ohne die Oper stattfand. Erst bei deren Uraufführung (Budapest, 24. Mai 1918) wurde Bartóks Idee Wirklichkeit, beide Bühnenwerke an einem Abend zu geben.

Das Ballett bildet, als spielerisches Allegro, den Gegensatz zum trostlosen Adagio der Oper, ähnelt ihr aber im Aufbau: Beide Werke kehren am Schluss zu ihrem Ausgangspunkt zurück, unterscheiden sich darin grundlegend von Bartóks drittem Bühnenwerk, der Pantomime Der wunderbare Mandarin (1919), die auf ein nicht vorhersehbares Ziel zusteuert. Doch die Wege der beiden früheren Handlungen verlaufen genau umgekehrt zueinander: In der Oper entwickelt sich die Handlung aus der Nacht bis hin zum strahlenden Glanz der geöffneten fünften Tür zur Seele des Mannes und versinkt wieder in der Nacht. Das Tanzspiel dagegen beginnt mit einer eindrucksvollen musikalischen Schilderung des Sonnenaufgangs, verfinstert sich alsbald bis hin zum Leid des Prinzen und schließt mit dem Naturbild des Anfangs. Umgekehrt wie in der Oper bildet die Tonart C-dur in dem Ballett den Rahmen, während sie beim Öffnen der (innersten) fünften Tür in der Oper den Gegenpol bildet zu der nächtlichen Tonart fis, also im Tritonus-Abstand, dem weitesten, der möglich ist (man vergleiche dazu dieselben Tonartverhältnisse in Wagners Lohengrin)! In jedem Werk Bartóks, auch in der Instrumentalmusik, lassen sich solche bewussten dramaturgischen Aufbauprinzipien nachweisen. Bartók selbst machte sogar auf sein Prinzip der „Brückenform“ aufmerksam, das in der Musik zum Holzgeschnitzten Prinzen zum Tragen kommt: „Die Musik des Balletts ist sinfonieartig ausgearbeitet, ein sinfonisches Gedicht, auf das getanzt wird. Drei Teile sind darin klar erkennbar. [...] Der erste Teil endet mit dem Tanz der Prinzessin und der Holzpuppe. Der zweite Teil, viel ruhiger gehalten, gilt als typischer Mittelsatz und dauert bis zum erneuten Auftritt der Holzpuppe. Der dritte Teil ist eigentlich eine Wiederholung des ersten, aber in verkehrter Reihenfolge, wie das sinngemäß aus dem Text folgt.“ Dahinter verbirgt sich eine Fünfteiligkeit mit bogenförmigen Entsprechungen: Die beiden Tänze der Holzpuppe stehen im Umkehrungsverhältnis zueinander, die Eckteile entsprechen sich, und der Mittelteil enthält die lyrischen Szenen des Prinzen, die eine mächtige Steigerung bilden. Im Sujet ist das so ausgeführt: „Die im ersten Satz erwachende Sehnsucht wird im Schlussteil erfüllt, die unsinnige Eitelkeit der Prinzessin im zweiten erhält ihre Strafe im vierten Teil, und die Seele des Prinzen entfaltet ihre Schwingen im Mittelpunkt zwischen diesen Teilen, auf dem Gipfel der Form“ (Antal Molnar).

Der große Tanz der Holzpuppe ist musikalisch eine Steigerung der Groteske bis ins Dämonische hinein und geht darin weit über den dichterischen Vorwurf von Balázs hinaus, ähnlich wie Bartók im Wunderbaren Mandarin die stoffliche Farce musikalisch mit einer unerhörten Tiefendimension versieht (vgl. S. 900). Die Holzpuppe wird in Bartóks Musik zum echten ‚Gegenspieler‘ des Prinzen. Was ist aber damit gemeint? Béla Balázs enthüllte selbst die verborgene Symbolik: „Die Holzpuppe, die mein Königssohn anfertigt, damit sie ihn der Königstochter ankündigt, ist die Schöpfung des Künstlers. Für sie gibt er alles hin, bis das Werk strahlend und vollkommen ist und er selbst arm und ausgeraubt dasteht. Ich dachte an jene tiefe Künstlertragödie, die so häufig vorkommt: Das Werk wird zum Rivalen seines Schöpfers, der Frau gefällt das Gedicht besser als der Dichter, das Gemälde besser als der Maler.“ Es ist im Kern eine subjektive, romantisch pantheistische Vorwegnahme der auf die reale gesellschaftliche Ebene versetzten Handlung des darauffolgenden dritten und letzten Bühnenwerkes von Bartók. Die Musik des Tanzspiels ist denn auch ungleich gefälliger mit ihrem Wechsel von musikalischen Naturbildern, farbenreicher Phantastik, Groteskem und Dämonischem als die unerbittlich brutale Härte im Wunderbaren Mandarin.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.